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«Der schönste Job der Welt!»

«Der schönste Job der Welt!» «Der schönste Job der Welt!»

Ein Leben für den Lokaljournalismus: Walter Kälin unterhielt sich im Museum Fram mit Victor Kälin

Am Donnerstagabend lud der Fram-Club zu einem Gesprächsabend mit dem scheidenden Chefredaktor Victor Kälin. Gastgeber Walter Kälin unterhielt sich mit dem Vollblutjournalisten über seinen Werdegang und seine Pläne für die bevorstehende Zeit als Privatier.

«So viel Publikum hatte es an einer Fram-Veranstaltung noch nie», konstatierte Gastgeber und Gesprächsleiter Walter Kälin am vergangenen Donnerstagabend. Der Grund für den Grossaufmarsch war das Gespräch mit dem abtretenden Chefredaktor des Einsiedler Anzeigers, Victor Kälin. Es waren so viele Leute im Saal, dass sich Walter Kälin bemüssigt fühlte, zum ersten Mal überhaupt auf die Notausgänge hinzuweisen. Jedoch verliess in den folgenden anderthalb Stun-den niemand den Raum fluchtartig. Gebannt und gespannt verfolgten die Anwesenden das sehr persönliche Gespräch zwischen den beiden Kälins.

», beschrieb er seine Gefühle nach dem Gespräch erstaunlich gefasst. Mit Emotionen umzugehen, gehört zu seinem Job.

Zeitlebens unterwegs

Nun sass er auf dem Podium und war für einmal nicht der Fragende, sondern der Befragte. Walter Kälin begann das Gespräch bedächtig, indem er Victor Kälin über seine kürzlich erfolgte Reise nach Rom erzählen liess. Viel und gut gegessen und getrunken habe er, die Kultur genossen und den Römerinnen und Römern bei der Bewältigung ihres alltäglichen Chaos’ zugeschaut.

Victor Kälin bezeichnet sich selbst als Stadtwanderer, er laufe meistens einfach los, ohne bestimmtes Ziel. Das tat er nicht nur in Rom, auch durch Einsiedeln wanderte er zeitlebens. Oft im Dienst als Journalist, Berichterstatter von Generalversammlungen und politischen Sitzungen, öfters als Bürger dieses Ortes, auf dem Weg zum Feierabendbier.

«Eine halbe Stunde später war ich Chefredaktor»

DieerstenjournalistischenTexte– über die Pfadi und über die erste Mannschaft des FC Einsiedeln – veröffentlichte der Einsiedler Anzeiger im Jahr 1983. Nachdem Victor Kälin am Seminar Rickenbach 1985 das Lehrerdiplom erworben hatte, intensivierte er seine Einsätze für das Lokalblatt. Dennoch entschied er sich 1987 für eine Lehrerstelle, die er aber bereits nach einem Jahr zugunsten der Zeitung wieder auf-gab. Dennoch möchte er dieses eine Jahr mit einer «Tschupplä Erstklässler» nicht missen. Kälin ist aber überzeugt, dass er das Lehrerdasein nicht 35 Jahre lang ausgehalten hätte. Am 1. April 1988 trat er seine Stelle als Redaktor des Einsiedler Anzeigers an. Als der langjährige Chefredaktor Gerhard Oswald 2001 pensioniert wurde, bewarb sich Victor Kälin beim Verwaltungsrat als verantwortlicher Redaktor, liebäugelte aber auch mit dem Wechsel an die Neue Zürcher Zeitung. Wochen vergingen – eine Reaktion auf seine Bewerbung in Einsiedeln blieb aus.

Schliesslich teilte er dem damaligen Verwaltungsratspräsidenten mit, er ziehe seine Bewerbung zurück, weil er tatsächlich ein Angebot der NZZ erhalten hatte. Die Reaktion kam dies-mal prompt: «Eine halbe Stunde später war ich Chefredaktor des Einsiedler Anzeigers.» Er habe es nie bereut, nicht bei der NZZ gelandet zu sein, beteuert Victor Kälin: «Ich bin ein Alphatier, Chefredaktor beim Einsiedler Anzeiger zu sein, ist der schönste Job der Welt.» «Ich habs gesehen» Und doch, jetzt, vier Jahre vor Erreichung des AHV-Alters, zieht er sich zurück. «Man kann sich nicht vorstellen, weshalb ein scheinbar voll motivierter Lokaljournalist einfach so aufhören kann», bemerkte Walter Kälin ungläubig. Doch Victor Kälin wink-te ab, es hätten sich mehr und mehr Abnützungserscheinungen bemerkbar gemacht, er sei in einem schleichenden Prozess zunehmend ungeduldig und schnippisch geworden: «Ich habe alles schon so oft durchlebt, musste mir immer eine öffentliche Meinung bilden und habe auf alles wieder und wieder meinen Senf geschmiert – ich habs gesehen.» Es sei für ihn immer schwieriger geworden, sich für den Job zu motivieren und den eigenen Ansprüchen zu genügen. «Ich hatte keine Nerven mehr, Alltägliches zu bewältigen», begründete er seinen Entschluss, den Einsiedler Anzeiger zu verlassen.

leistet.

Eine Wanderung nach Dresden

Victor Kälin hat sich für seine Zeit als Privatier einiges vorgenommen. Aus einem mitgebrachten Rucksack zog er Gegenstände zur Veranschaulichung seiner Pläne. Allen voran ein Schachbrett, um seinen «Kampfsport», wie er das Schachspiel bezeichnet, zu perfektionieren. Weiter einen Bleistift, denn: «Es gibt Leute, die sagen, ich könne bes-ser zeichnen als schreiben», sowie ein Notenheft, um das vernachlässigte Klavierspiel neu zu beleben.

Der Rucksack selbst wird den Stadtwanderer auf einer Fernwanderung begleiten. Victor Kälin möchte nach Dresden wandern, um seinen Mentor und Freund, den langjährigen EA-Redaktor Hansruedi Humm, zu besuchen: «Diese Wanderung wird mir Gelegenheit geben, etwas hinter mir zu lassen, ohne davonzurennen. » Andererseits gibt er sich gelassen: «Ich weiss nicht, ob ich das schaffe, vielleicht mache ich dann Autostopp oder kehre wieder um.» Walter Kälin dankte Victor Kälin am Ende des neunzigminütigen Gesprächs für die enorme Leistung, welche der Einsiedler Anzeiger unter seiner Leitung erbracht hat. Auf die Schlussfrage, ob er keine Angst habe, nicht doch in ein Loch zu fallen, sinnierte Victor Kälin: «Man wird sehen. Vielleicht werde ich zur Sicherheit jeweils am Montag und am Donnerstag noch auf das gewohnte Feierabendbier mit der Redaktion gehen, um nicht in Trübsal zu versinken.»

Fotos: Gina Graber und Eugen von Arb


Dinge, die Victor Kälin im Leben begleiten – Manschetten, zu Puppen umfunktioniert …

… und ein Schachspiel für den «Kampfsport» unterwegs.

Einen guten Wein für den Gast nach einem interessanten Gespräch im Museum Fram.

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