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«Aufgeführt wird nichts weniger als die Biggest Show on Earth»

«Aufgeführt wird nichts weniger als die Biggest Show on Earth» «Aufgeführt wird nichts weniger als die Biggest Show on Earth»

Lukas Bärfuss führt als Autor das Einsiedler Welttheater auf dem Klosterplatz auf – zusammen mit dem Regisseur Livio Andreina: «Eine wunderbare Tradition feiert heuer ein grosses Jubiläum.»

Wie sind Sie dazu gekommen, das Welttheater Einsiedeln zu übernehmen? Das ist eine lange Geschichte. Mit Livio Andreina arbeite ich bereits seit geraumer Zeit zusammen. Bereits im Jahr 2013 ist die Idee aufgekommen, dass wir uns gemeinsam für das Einsiedler Welttheater bewerben könnten. Dabei war von Anbeginn klar, dass es eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist, Calderóns Mysterienspiel «Das Grosse Welttheater», diesen unglaublichen Stoff, umzusetzen. Umso grösser war dann die Freude unsererseits, dass uns die Welttheatergesellschaft im Jahr 2017 die künstlerische Leitung anvertraut hat. Wie hat sich das Stück in den letzten Jahren verändert? Wir sind seit acht Jahren mit diesem Stück beschäftigt, und just in dieser Zeit haben sich die Welt und die Gesellschaft fundamental verändert. Das Wort «Krieg» hatte im Jahr 2019 eine ganz andere Bedeutung als heutzutage. Das Setting des Stücks hat sich gewandelt – parallel zu den gesellschaftlichen Veränderungen: Es ist dialogischer geworden, auch der Zugang zum Stück hat sich verändert. Ebenso hat die Corona-Pandemie ihre Spuren im Stück hinterlassen und zu einem anderen Umgang mit Körper und Körperlichkeit geführt.

Sie sind bekannt als progressiver und zeitkritischer Autor. Kommt im Stück eine Kritik an den herrschenden Machtverhältnissen zum Ausdruck? Das Welttheater ist kein politisches Stück. Vielmehr werden existenzielle Fragen aufgeworfen: Es geht um Leben und Sterben und welche Rolle ich in meinem Dasein einnehmen soll. Es geht im Stück gleichsam um Gerechtigkeit: Klar ist, dass in Fragen der Gerechtigkeit auch die Machtverhältnisse zum Thema werden – ohne dass im Stück Zeitkritik geübt würde. Gibt es auch negative Stimmen zum Stück? Nein, ganz im Gegenteil: Die Leute sind begeistert vom Stück. Mit meinem Ruf, ein linker Schriftsteller zu sein, werden Klischees bedient. Dabei bin ich ein Autor und Dramaturg, dessen Theaterstücke auf der ganzen Welt aufgeführt werden. Das Welttheater gehört Einsiedeln, nicht mir. Es geht nicht um meine Befindlichkeit, mein Ego hat hintanzustehen.

Was ist das Spezielle an der Aufführung des Welttheaters 2024? Eine wunderbare Tradition feiert ein grosses Jubiläum: Hundert Jahre nach der ersten Spielzeit wird heuer das Welttheater Einsiedeln zum 17. Mal als Freilichttheater vor der barocken Klosterkirche aufgeführt. Überaus faszinierend ist, wie sich ein ganzes Dorf auf dieses Theaterspiel einlässt, mit Haut und Haar: Wie sich Generationen von Einsiedlerinnen und Einsiedlern vom Kind bis zum Greis mit Tiefe und Leidenschaft die-ser Auseinandersetzung stellen und mit Feuer und Flamme dabei sind. Sie alle leben dieses Welttheater.

Aus welchen Gründen sollte man es keinesfalls verpassen, das Einsiedler Welttheater in diesem Jahr zu besuchen? Aufgeführt wird nichts weniger als die Biggest Show on Earth: Ein Mordsspektakel, ein wunderbares Bühnenbild, eine stimmungsvolle Musik – aufgeführt von einem prächtig aufgelegten Spielvolk mit Hunderten enorm engagierten Darstellern, unter denen es keine Statisten gibt, weil alle zusammen das Ganze ergeben. Dies vor einer Kulisse auf einem Klosterplatz einer Kirche, deren Gnadenbild der Schwarzen Madonna seit Jahrhunderten die Gläubigen anzieht. Gibt es Gott oder gibt es keinen Gott?

Aus der Sicht des Stücks sind wir alle Suchende: Es gibt uns Raum zum Nachdenken über Gott und die Welt. Aus persönlicher Sicht kann ich keinen Namen geben dafür, welche Bedeutung Gott für mein Dasein hat. Nur so viel: Metaphysik hat mich als Schriftsteller wie als Mensch immerzu sehr interessiert.

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