«Die Post geht Abt – Entdeckung eines verlorenen Schatzes» – Heute lesen, was morgen im EA steht
«Silja Walter – Benediktinerin und ihr Weckruf in die Kirche und Gesellschaft»: Am Mittwoch startete im Kloster Fahr ein Forschungs-
projekt, das sich um den unveröffentlichten Nachlass Silja Walters aus der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils dreht.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Das Kloster Fahr besitzt seit einigen Jahren wesentliche Teile des Nachlasses der Dichterin Silja Walter aus der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, der bisher unbearbeitet und unveröffentlicht ist. Dazu gehören 22 dicht beschriebene Bände mit religiösen Tagebüchern und weiteren Akten. Enthalten sind insbesondere Briefe von Silja Walter an Abt Raymund Tschudi (1914 bis 2011) von Einsiedeln.
Dieses Forschungsprojekt der Universität Luzern in enger Zusammenarbeit mit dem Kloster Fahr wird es möglich machen, die spirituellen Texte von Silja Walter ursprungsnäher zu interpretieren und sie im Zusammenhang zu verstehen.
Irene Gassmann, Priorin im Kloster Fahr, schilderte an einer Pressekonferenz den Lebenslauf von Silja Walter und wie die Ordensfrau und Dichterin zum Schreiben kam. Sie habe unermüdlich geschrieben: Tagebücher, Briefe, liturgische Texte, Liederdichtungen, Mysterienspiele.
Wie ein Schatz auf dem Estrich des Klosters landet
Eines Tages im Jahr 2015 wird im Estrich des Klosters Einsiedeln ein Harass gefunden, eine Kiste voller Bücher: Ein verschollen geglaubter Schatz wird entdeckt. Er enthält 22 Bände mit insgesamt über 11’000 Seiten Papier, verfasst von Silja Walter.
Pater Martin Werlen, ehemaliger Abt des Klosters Einsiedeln, war während zwanzig Jahren der geistliche Begleiter von Silja Walter: Er erhält von Abt Urban den Auftrag, den Schatz zu sichten.
«Der Beichtvater im Kloster Einsiedeln fungierte als Pöstler: Ihm übergab Silja Walter die Briefe für Abt Raymund Tschudi», sagte Pater Martin an der Medienorientierung im Kloster Fahr: Silja Walter habe es geschafft, in ihren Schriften das monastische Alltagsleben im Kloster mit der Benediktregel und dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu verbinden.
«In diesen Briefen kommt zum Ausdruck, wie Silja Walter die Kirche wahrnimmt, wie sie nach dem Sinn des Lebens sucht und wie sie erkennt, dass jeder Mensch ein Original ist mit seinen ganz eigenen Talenten», führte Pater Martin aus.
Abt Urban Federer thematisierte die Bedeutung von Silja Walter bezüglich des Liedguts im Kirchengesangbuch: «Eine grosse Stadt ersteht», ein dreistrophiges, katholisches Kirchenlied, das im Jahr 1965 von Silja Walter gedichtet wurde, sei von Pater Theo Flury neu vertont worden.
«Silja Walter knüpft mit ihren Werken an die mystische Tradition an, die seit dem Mittelalter überaus bedeutsam für die Kirche ist», erläuterte Abt Urban: So sei das Kloster Einsiedeln im Besitz des ersten Buchs deutscher Mystik – «Das fliessende Licht der Gottheit» von Mechthild von Magdeburg (1207 bis 1282).
Abt Urban schilderte eine Begegnung mit Silja Walter in St. Gallen: «Wir hätten vor Ordensleuten ein Referat halten sollen, befürchteten aber, dass dies für Langeweile sorgen könnte.» So sei man auf die Idee gekommen, statt eines Vortrags ein Rollenspiel aufzuführen: «Hanna und Simeon warten gemeinsam» – Simeon und Hanna haben ein Leben lang auf die Erfüllung ihrer Träume gewartet.
Oral History – Zeitzeuginnen-Befragung rückt in den Fokus
Esther Vorburger, Verantwortliche für Projektbearbeitung, Universität Luzern, berichtete über den Ablauf der Forschungsarbeit: In einem ersten Schritt werde im Sinne von Oral History eine Zeitzeuginnen-Befragung von Schwestern durchgeführt, die in Beziehung mit Silja Walter gestanden sind. Dann gehe es darum, die Schriften auszuwerten, zu erschliessen und schliesslich vorzustellen und zu publizieren. Mit ersten Egebnissen sei in zwei Jahren zu rechnen.
Zeitzeugin für Umbrüche in der Kirche und in der Gesellschaft
«Silja Walter trägt vieles bei zur Geschlechtergeschichte und zur Rolle der Frau in der Kirche», konstatierte Vorburger: «Es geht in ihren Texten darüber hinaus um Gottesbeziehung und Alltagsgeschichte.» So berichte Silja Walter davon, dass die Glocken für das Stundengebet sie des Öftern aus dem Schreibprozess herausgerissen haben.
Zu guter Letzt referierte Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern, über die Bedeutung des Forschungsprojekts für die Kirche und die Gesellschaft von heute und über die historische Bedeutung und die Aktualität des Nachlasses von Silja Walter: «Sie war eine ermutigende Stimme im Kulturleben, eine wichtige und wesentliche Zeitzeugin für Umbrüche in der Kirche und in der Gesellschaft und eine gesellschaftliche Impulsgeberin für uns in der heutigen Zeit.»