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«Und am Abend ist man erschöpft»

«Und am Abend ist man erschöpft» «Und am Abend ist man erschöpft»

Swiss Beer Award: Knapp 50 Experten und Expertinnen machen Einsiedeln zur temporären Bier-Hauptstadt

Es wird degustiert, beurteilt und bewertet. Stundenlang und in höchster Konzentration. Und das alles, um die besten Biere der Schweiz zu küren.

VICTOR KÄLIN

Vergessen Sie das Feierabendbier, den grossen Schluck und alles, was mit Durstlöschen und Entspannen zu tun hat. Biertesten ist Schwerstarbeit. Zumindest auf jenem Niveau,das in diesen Tagen im Einsiedler Beachplus an der Allmeindstrasse zusammenkommt. Dort brüten Experten und Expertinnen über den Bieren: Braumeister, Diplom- Biersommeliers, lizenzierte Bier-Sensoriker oder Inhaber eines sonstigen Zertifikats, welches dem Träger bescheinigt, bedeutend mehr als nur zwischen dunklem und hellem Bier unterscheiden zu können.

38 Männer und 7 Frauen

45 Personen sind es, aus allen vier Sprachregionen der Schweiz und mitnichten nur Männer, welche noch bis zum 10. Dezember die besten Biere der Schweiz herauszufiltern versuchen. Auch sieben Frauen haben sich derselben Passion verschrieben: die schiere Unendlichkeit an Bierstilen zu ergründen. Für den Swiss Beer Award 2022 sind es exakt 429 unterschiedliche Biere, welche 74 Brauereien der Schweiz eingereicht haben! 46 Bierstile sind vertreten. Einige Müsterchen:

• Lager hell

• Leichtbier

• Amber

• Zwickel

• Alkoholfreies Bier

• Starkbier

• Bockbier

• Doppelbock

• Barleywine

• Märzen

• Schwarzbier

• Rauchbier

• Kristallweizen

• Witbier mit Koriander

• Dubbel

• Trippel

• Altbier

• Pale Ale

• Porter

• Stout

• Holzfassgereiftes Sauerbier

• Lernendenbier

• Panaché

• Biermischgetränke

• Fruchtbier

• Gemüsebier

• Pflanzenbier

• Honigbier Ob auch die Einsiedler Brauerei Rosengarten vertreten ist? «Das darf ich nicht verraten», stellt Christoph Lienert klar. «Alle Degustationen sind anonym.» In seiner Funktion als stellvertretender Direktor des Schweizer Brauerei-Verbandes ist der 36-jährige Willerzeller für einen reibungslosen und korrekten Ablauf der Degustationen verantwortlich. Da wird nicht geflunkert. Die Biere werden in einer «verbotenen Zone» gelagert.

600 Gläser pro Tag

An Arbeit mangelt es Lienert und seinen Helferinnen und Helfern nicht: Korrektes Einschenken, sorgfältige Anonymisierung, Auftischen und Wegräumen sowie Einsammeln der Bewertungsblätter. Nur Abwaschen muss er nichtselbst.DafürgibtsimBeachplus glücklicherweise einen Geschirrspüler. Sie lachen? Bei 600 Gläsern pro Tag hört der Spass auf.

Doch Spass haben sie, die Tester und Testerinnen, auch wenn sie sich mit heiligem Ernst durch die Bewertungsblätter kämpfen. Ein kleines Müsterchen gefällig, was alles untersucht und kategorisiert werden muss?

• Optik

• Schaumstruktur

• Bierklarheit

• Carbonisierung

• Perlage

• Aromatik

• Fehlaromen

• Geschmack

• Mundgefühl

• Nachtrunk Das geht pro Tag 6,5 Stunden lang so. Am Morgen die eine Hälfte, am Nachmittag die andere. Die Tester werden für maximal zwei Tage aufgeboten. Pro Tag müssen rund 39 Biere geprüft werden. Das ergibt etwa zehn Minuten Zeit pro Bier. Servieren, abräumen, einschenken, einsammeln. Nein, langweilig wird es Christoph Lienert nicht. Und auch den Testern nicht.

Auflösung am 28. April 2022 Es fordert einen, meint einer der Teilnehmer. «Am Abend ist man erschöpft.» Doch nachlässig sein geht gar nicht. Dafür sorgt eine weitere Eigenheit des Swiss Beer Awards. Die Experten arbeiten in Gruppen von drei bis fünf Personen. Um ihren trotz Rasterfragen subjektiven Eindruck noch stärker zu objektivieren, vergleichen sie ihre Bewertung und einigen sich auf die gemittelte Zahl. Würde einer immer daneben liegen, bliebe das nicht unbemerkt.

An den Tischen wird konzentriert gearbeitet. Meistens probiert man nur einen kleinen Schluck, dann knabbert man zur Neutralisierung am Knäckebrot oder trinkt etwas Wasser. Werde aber ein «wirklich aussergewöhnliches Bier» aufgetischt, dann leere er das nur mit einem Deziliter gefüllte Glas schon, versichert einer der Teilnehmer. «Wäre ja schade darum.» Man gönnt den Sommerliers und Braumeistern jede Freude. Sie leisten ihren Beitrag auf freiwilliger Basis – sozusagen zur höheren Ehre des Bieres. Es gibt keinen Lohn. Das Mittagessen wird offeriert und zum Abschied gibts ein exklusives Glas, die Einladung zur Award-Night, Schafböcke sowie Klostermehl aus der Grotzenmühle samt Bierbrot- Rezept. Nicht wenige sind stolz, Mitglied jener Jury zu sein, welche die besten Biere der Schweiz kürt. Wobei die Menschen das Tasting, also die sensorische Bewertung, übernehmen. Wieweit ein Bier dem entsprechenden Bierstil tatsächlich entspricht, wird im Labor nach wissenschaftlichen Kriterien ermittelt. Sensorik und Analytik ergeben dann die Gesamtbewertung.

Wer Gold, Silber oder Bronze holt, wird erst am 28. April 2022 an der Prämierungsfeier des Swiss Beer Awards in Baden verkündet – einen Tag vor dem offiziellen «Tag des Schweizer Bieres».

www.bier.swiss www.swissbeeraward.ch

Auch das Auge entscheidet mit: Optik, Schaumstruktur oder auch Klarheit sind offizielle Bewertungskriterien. Fotos: Victor Kälin

Jeder notiert sich seine Punktzahl ohne Absprache mit dem Team.

Alle Hände voll zu tun: Christoph Lienert im Dauereinsatz.

Am Schluss muss sich das Team auf eine gemeinsame Bewertung einigen. Der Captain füllt das offizielle Formular aus.

Christoph Lienert (links) und Christian Maag: Das Interesse am Bier führte sie im Beachplus zusammen. Der eine als Organisator, der andere als Diplom-Biersommelier.

Die Biere werden jeweils in zwei Gläsern präsentiert: einem schlanken und einem bauchigen. Vor allem die Nase dankt es.

Knäckebrot ist ideal zum Neutralisieren.

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