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Eine besondere Lehrerin

Eine besondere  Lehrerin Eine besondere  Lehrerin

BRIEF AUS DEN USA

Nicole ist eine aussergewöhnliche Person. Die 44-jährige Englischlehrerin unterrichtet jene Jugendlichen, welche in den Schlagzeilen zu sehen sind. Ihre Schüler kommen vorwiegend aus Honduras und San Salvador und haben eine riskante und strapaziöse Reise hinter sich. Ihre Schüler sind zwischen 13 und 16 Jahre alt und werden während maximal 90 Tagen von ihr unterrichtet. Sie lernen vor allem Englisch. Nicoles Schüler wurden ohne Begleitung eines Erwachsenen dort aufgegriffen, wo der amerikanische Präsident den hohen Zaun bauen will. Sie alle reisten alleine in die USA. Sie alle hoffen auf eine bessere, friedlichere Zukunft. Einige haben entfernte Verwandte oder Bekannte in den USA. Andere wurden von ihren Eltern gegen Bargeld nach Amerika geschickt und hoffentlich ist keiner der Schüler Opfer des Menschenhandels geworden. Nicole kennt nur ansatzweise den Hintergrund jedes einzelnen Schülers und ihr Ziel ist es, in den ersten zehn Tagen das Vertrauen ihrer Schützlinge zu gewinnen.

Klar ist, dass diese Teenager sich genau wie alle anderen Jugendlichen verhalten. Sie rollen die Augen, wenn der Unterricht losgeht. Sie sind mitten in der Pupertät und sie kichern hinter Nicoles Rücken über ihre neuste Haarfarbe.

Nicole ist nicht nur die einzige Lehrerin im Durchgangsheim, sondern auch Schulsekretärin und Schuldirektorin. Sie schrieb die Unterrichtspläne und kaufte die Pulte selbst ein. Nicole kriegte den Job, weil sie perfekt Spanisch spricht und Auslanderfahrung mitbringt. Während eines Schuljahres unterrichtete sie in einer japanischen Kleinstadt. Nicole kriegte die Stelle vor allem auch, weil sie bereit war, trotz des mickrigen Gehaltes auf die langen Sommerferien zu verzichten. Weil die Schüler nur 90 Tage bei ihr sind, findet der Unterricht ohne Unterbruch statt. Nach 90 Tagen kriegt Nicole bis zu 12 neue Schüler. Sie wird dann wieder während den ersten 10 Tagen das Vertrauen aufbauen.

Nicole arbeitet eng mit einem Team von Sozialarbeitern, Therapeuten und Rechtsanwälten zusammen. Sie alle betreuen rund um die Uhr bis zu einem Dutzend Schüler im ersten Durchgangsheim für alleinreisende jugendliche Einwanderer in Colorado. Das Team profitiert von den Erfahrungen, welche in den wenigen Heimen in anderen Bundesstaaten gesammelt wurden. Nach spätestens 90 Tagen und intensiven Nachforschungen werden die Jugendlichen zu Verwandten, welche legal in den USA leben, weitergeschickt oder aber in speziell ausgewählten Pflegefamilien platziert. Im Notfall werden sie in Gruppenheimen untergebracht. Die Schüler des Durchgangsheims werden wie Asylsuchende behandelt und kommen erst dort an, wenn sie die ersten bürokratischen Schritte des Verfahrens erfolgreich abgeschlossen haben. Regula Grenier * Die Einsiedlerin Regula Grenier- Flückiger (*1973) zügelte 2007 nach Denver im amerikanischen Bundesstaat Colorado, am Fusse der Rocky Mountains. Seit 2011 wohnt sie im Nachbarort Thornton. Dort kamen 2011 Sohn Cody Frederick und 2015 Tochter Stephanie Nova zur Welt.

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