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«Heute haben viele Leute den Bezug zur Kirche verloren»

«Heute haben viele Leute den Bezug zur Kirche verloren» «Heute haben viele Leute den Bezug zur Kirche verloren»

Pater Benedict Arpagaus verlässt Ende Juli die Pfarrei Einsiedeln – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Er war Vikar in Bennau, Trachslau und kurze Zeit in Gross. Der 49-jährige Benediktinermönch schaut zurück auf seine Amtszeit: «Ein Höhepunkt waren die vielen schönen Begegnungen. Und dass wir in der Lage waren, Räume zu schaffen, in denen Neues entstanden ist.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie fühlen Sie sich, ganz am Ende Ihrer Amtszeit als Vikar in der Pfarrei Einsiedeln? Es geht mir gut. Ich bin ganz entspannt und habe Zeit, diese acht Jahre Revue passieren zu lassen. Es ist ein Blick zurück in Dankbarkeit. Was hat den Ausschlag gegeben, dass Sie von der Mitarbeit in der Pfarrei Einsiedeln zurücktreten?

Einerseits war ich in einem Spagat zwischen Klosterleben und Engagement für die Pfarrei. Zudem habe ich mich zusehends verzettelt, eilte von Termin zu Termin, war eingedeckt mit Sitzungen. Ich fand es stossend, mich in Äusserlichkeiten zu verlieren und das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Dementsprechend begann ich mich auch zunehmend über Dinge und Abläufe zu nerven. Für viele Aufgaben dürfte den Laien mehr Verantwortung übertragen werden. Pfarrer sind allerorten von Burnout bedroht. Stellt sich in der Pfarrei Einsiedeln dieselbe Situation dar wie an anderen Orten, wo der Priestermangel überhandnimmt?

Ich habe das Glück gehabt, rechtzeitig die Handbremse gezogen zu haben, bevor bei mir die Batterien gänzlich leer waren. Es kommen viele Dinge zusammen: Man muss – zum Beispiel bei einem Todesfall – jederzeit abrufbar bereit sein. Ich habe Aufgaben und Funktionen – zum Beispiel das Präsesamt des KTV – übernommen, die sich einfach aus dem Amt ergeben, die aber auch Laien ausüben könnten. Hinzu kommt, dass man in manchen Situationen viel Kraft von sich geben muss und der Ausgleich fehlt. Das fördert das Ausgebranntsein. Liegt der Grund für diese Missstände in der Struktur der Kirche an sich begraben? Man hätte die Neuausrichtung der Pfarrei Einsiedeln bereits vor acht Jahren an die Hand nehmen sollen: Der Zeitpunkt wäre ideal gewesen, weil es damals just zu einem grösseren personellen Wechsel in der Pfarrei gekommen ist. Zudem habe ich Mühe, dass offenbar für gewisse Leute das Festhalten an Äusserlichkeiten wichtiger ist, als das Bemühen um einen persönlichen inneren Bezug zur Glaubensfeier, mit dem Resultat, dass es dann auch nachhaltig wäre. Es ist schwierig, etwas zu ändern, wenn Mitglieder der Pfarrei unter allen Umständen auf ihre eigene Rechnung kommen wollen im Sinne von: Ich will die Dienstleistungen exakt so konsumieren, wie sie früher immerzu angeboten worden sind.

Was müsste sich ändern, damit sich für Seelsorger die Arbeitssituation verbessern könnte? Ich finde, diese Frage ist schwierig zu beantworten. Heute haben viele Leute den Bezug zur Institution Kirche verloren oder sie interessieren sich gar nicht mehr für einen solchen kirchlichen Dienst. Daher denke ich, dass weder die Frauenordination noch die Aufhebung des Pflichtzölibats Berge versetzen würden. Aber eine Entschärfung der Situation und eine Bereicherung für die Kirche insgesamt wären diese Schritte ganz sicher. Ein Blick auf die reformierten Pfarrer zeigt auf, dass diese genauso von Burnout betroffen sind wie die katholischen.

Der Kirche laufen nicht nur die Schäfchen, sondern auch die Mitarbeiter davon. Wie müsste sich die katholische Kirche reformieren?

Die Institution Kirche wird oft als moralisierend und richtend wahrgenommen. Aber die Botschaft Jesu ist eine befreiende, heilende und aufrichtende. Es scheint so, dass sie sich in Äusserlichkeiten und Strukturfragen verliert. Vielmehr müsste sich die Kirche auf einen inneren Weg der Spiritualität begeben. Es ist doch bezeichnend, dass in der heutigen Zeit die Leute in Zusammenhang mit Mystik zuerst an buddhistische Weisheiten denken, statt an den Reichtum der christlichen Mystik. Dabei hat das Christentum eine reichhaltige mystische Tradition anzubieten. Sie ist, so scheint es, vergessen gegangen. Sehen Sie Hoffnung, dass dereinst das Zölibat aufgehoben und die Frauenordination eingeführt werden könnte? Wer weiss, was noch kommt. Ich habe aber eine ganz andere Hoffnung. Wir sollten uns bemühen um einen spirituellen Weg, das heisst, im Alltag in einer lebendigen Gottesbeziehung zu leben, ganz bewusst eine Freundschaft mit Jesus zu pflegen. Für mich als Mönch gehört dazu: Ein Leben im Gebet, in der Stille, im Lesen aufbauender geistlicher Literatur, in achtsamer Beziehung zur Natur, das Leben in seiner Vielfalt zu achten sowie heilend zu wirken, wo Leben verwundet ist. Weg von Events und Anlässen, die sich im rein Äusserlichen abspielen. Wieso fällt es der Kirche so schwer, Frauen gleichberechtigt in den Dienst der Kirche zu bestellen? Eigentlich gilt Maria Magdalena längst offiziell als Apostelin der Apostel. Ich glaube manchmal, dass gewisse Männer in der Kirche Angst haben, dass sie die Macht an die Frauen verlieren könnten. Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich die Kirche in einer Reform des Äusseren wandeln kann. Die Bewegung muss vom Inneren her kommen. Halten Sie die bevorstehende Bischofswahl in Chur für entscheidend hinsichtlich des zukünftigen Pfarrei- und Kirchenlebens in diesem Bistum? Sie ist in jedem Fall wichtig. Es ist an der Zeit, dass ein Brückenbauer und guter Hirte auf dem Bischofsstuhl nachrücken würde: Einer, der den Mut hätte, hinzustehen, die Gläubigen miteinzubeziehen, letztlich ein Seelsorger im wahrsten Sinne des Wortes. Auf der anderen Seite ist die Situation jeder Pfarrei vor Ort wesentlicher: Da ist die Frage wichtiger, welcher Pfarrer dieser Pfarrei vorsteht als wer Bischof in Chur wird.

Wie würde sich die Situation im Bistum Chur ändern, wenn ein Einsiedler Mönch auf den Bischofsstuhl gelangen würde? Ich wäre unglücklich, wenn es Abt Urban treffen würde. Für das Bistum wäre dies zwar eine gute Lösung, aber uns im Kloster würde Abt Urban sehr fehlen, wenn er nach Chur wechseln würde. Das Kloster Einsiedeln ist unabhängig vom Bistum Chur. Es ist direkt dem Papst unterstellt. Dass ein Ortsbischof nicht einfach in klosterinterne Angelegenheiten reinreden kann, gilt allerdings für viele Klöster und Ordensgemeinschaften. Sie kehren nun ins Kloster zurück. Freuen Sie sich darauf? Oh ja, sehr! Ich freue mich darauf, neue Aufgaben im Kloster in Angriff zu nehmen. Meine Vision ist es, im Kloster eine Praxis zu eröffnen. Zurzeit absolviere ich eine Ausbildung in Craniosacral-Therapie. Die Ausbildung in Fussreflexzonenmassage habe ich abgeschlossen. Sicher wird mich das Kloster noch mit anderen Arbeiten beauftragen. Ich bin aber dankbar, wenn ich für meine Ausbildung genug Zeit zum Üben haben werde und sich Mitbrüder als «Versuchskaninchen» zur Verfügung stellen (lacht). Sie wandeln auf den Pfaden von Jesus Christus. Er war ja auch ein Handaufleger. Ich bin in dieser Funktion weniger ein Heiler, sondern versuche vielmehr, die Selbstheilungskräfte des Patienten zu aktivieren. Die beiden Pole Schädel und Kreuzbein bilden mit den Gehirn- und den Rückenmarkshäuten eine Einheit, in der die Gehirnflüssigkeit rhythmisch pulsiert. Dieser Rhythmus überträgt sich auf den gesamten Körper und beeinflusst die Entwicklung und Funktionsfähigkeit des ganzen Menschen. Veränderungen in diesem System haben Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen. Durch sanfte Griffe wird das System wieder in ein Gleichgewicht gebracht. In den 70er-Jahren entwickelte der US-Amerikaner John Upledger, osteopathischer Arzt und Chirurg, diese Therapieform. Was bedeuten Ihnen Gemeinschaft im Kloster Einsiedeln, das Ordensleben im Klosterdorf? Sehr viel. Die Gemeinschaft mit meinen guten Mitbrüdern im Kloster ist mir eine wichtige Hilfe. Ich bin weniger der Typ, der sich als Eremit oder Kartäusermönch im absoluten Alleinsein versenkt. Wobei es mich schon sehr reizen würde, mich für ein halbes Jahr einmal allein auf eine Alphütte mitten in der Natur zurückzuziehen. Was waren die Höhepunkte und Tiefpunkte in Ihrer Amtszeit in der Pfarrei Einsiedeln? Ein Höhepunkt waren die vielen schönen Begegnungen in Bennau und Trachslau. In Bennau, wo es kein Pfarreiheim gab, haben wir es geschafft, aus dem ehemaligen Dorflädeli einen Raum zu schaffen, aus dem dann vieles entstanden und gewachsen ist. Sehr berührend war der Abschiedsgottesdienst in Bennau am letzten Sonntag, da kam mir viel Wertschätzung und Dankbarkeit entgegen. Tiefpunkt war das mitunter kleinkrämerische, kleingeistige Gebaren gewisser Gläubiger. Haben Sie Anekdotisches erlebt?

Ja. Einmal fuhr ich mit dem Auto von Bennau zurück nach Einsiedeln. Die Kinder winkten mir wie verrückt am Strassenrand zu. Wieso nur? Als ich dann ausgestiegen bin aus dem Auto, habe ich es verstanden: Meine Kukulle war von der Autotüre eingeklemmt worden und flatterte ums Auto herum wild wie eine Fahne im Wind (lacht).

Wo erleben Sie Spiritualität?

Im Alltag, in der Beziehung mit Gott, im Reden mit Gott, in den Begegnungen mit Menschen, im Dialog und Austausch mit Freunden, in der Natur, in der Stille, im Unterwegssein auf meinem Weg. Hätten Sie gerne im Mittelalter gelebt, als das Klosterwesen in seiner vollen Blüte stand? Auch im Mittelalter gab es Krisenzeiten. Jede Zeit hat ihre sonnigen und dunklen Seiten. Im Mittelalter gab es jedoch nicht diese Hektik, die sich in der heutigen Zeit dermassen ausgebreitet hat. Allerdings gab es damals auch noch keine Zahnärzte, und so wurden faule Zähne einfach rausgezogen (lacht). Die Menschen waren damals anders gläubig. Ihr Glaube war oftmals von Ängsten geprägt. Es war aber auch die Zeit grosser Heiliger, Mystiker und Gottesfreunde. Leute in der heutigen Zeit glauben immer noch. Aber ihr Glaube ist nicht mehr an eine Institution gebunden. Welche Jenseitsvorstellung haben Sie?

Es geht nach dem Tode weiter mit dem Leben. Ich habe als Krankenpfleger einmal die Erfahrung machen dürfen, dass der Raum eines Verstorbenen voller Licht und Freude war. Das war aber keine Erscheinung, sondern eine innere Wahrnehmung, die eine Arbeitskollegin von mir, die dabei war, bestätigen konnte. Als wir das Zimmer des Verstorbenen nach 15 Minuten wieder betraten, fühlte es sich leer an. Ich fühle mich angesichts des Mysteriums der Unendlichkeit des Kosmos wie ein Niemand – und empfinde gleichzeitig die Liebe, die diesem Universum innewohnt. Und diese Liebe, das ist Gott. Wohin bewegt sich die Welt?

Ich habe kein gutes Gefühl: Die ganze Umwelt-Problematik bricht auf, zahlreiche tickende Zeitbomben drohen zu explodieren. Die Menschen zerstören die Wälder dieser Welt, lassen den Abfall in der Natur liegen und verschwenden die Ressourcen der Erde. Die Klimaveränderung nimmt immer extremere Ausmasse an: Aktuell gibt es in Sibirien Temperaturen von 38 Grad. Das alles macht mir Sorgen. Der Egoismus der Menschen führt dazu, dass sie ihren Planeten vollends zugrunde richten. Der Coronavirus bringt es auf den Punkt: Statt dass die Menschen umkehren und eine Lehre aus der Geschichte ziehen, wird ein Zustand vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie angestrebt. Das ist falsch! Der Coronavirus greift vor allem die Lungen an. Es passt zu dem, was wir Menschen tun, wir greifen nämlich die Lungen dieser Erde an.

Am Sonntag, 12. Juli, findet um 10 Uhr in der Kirche Trachslau ein Pfarreigottesdienst mit der Verabschiedung von Pater Benedict und anschliessendem Apéro statt.

«Für viele Aufgaben dürfte den Laien mehr Verantwortung übertragen werden.» «Ich fühle mich angesichts des Mysteriums der Unendlichkeit des Kosmos wie ein Niemand.»

Pater Benedict nimmt Abschied von der Pfarrei Einsiedeln und absolviert zur Zeit eine Ausbildung in Craniosacral-Therapie: Seine Vision ist es, im Kloster eine Praxis zu eröffnen. Foto: Magnus Leibundgut

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