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«Das ist irgendwie unreal»

«Das ist irgendwie unreal» «Das ist irgendwie unreal»

Zeit ohne Kicks: Wie der FC Einsiedeln die Corona-Krise erlebt und übersteht

Keine Super League. Keine Bundesliga. Keine Champions-League. Das Coronavirus hat in allen Stadien das Licht ausgeknipst. Auch im Rappenmöösli in Einsiedeln wird längst nicht mehr gekickt. Offiziell gibt es bis 30. April weder Ligaspiele noch Trainings. Die Hoffnung, dass der FCE in dieser Saison noch einmal über Tore jubelt, ist bei manchen im Verein schon gestorben.

WOLFGANG HOLZ

Fast so edel wie in einem englischen Park leuchtet das Grün. Der Rasen ist frisch gemäht und gedüngt. Doch keine Menschenseele kann diese beschauliche Atmosphäre im Rappenmöösli wirklich geniessen. Geschweige denn ein Tor in der Rückrunde des FC Einsiedeln feiern. Der Stadioneingang ist fest verschlossen – das Coronavirus hat hier wie fast überall in Europa den Fussball begraben. Vom Platzwart zum Gärtner

Der Einzige, der sich momentan noch im Einsiedler «Maracana» aufhalten darf, ist Platzwart Peter Gasser. Eigentlich ist er inzwischen zum Green-Keeper oder Gärtner mutiert – denn wie gesagt: Über die akkurat getrimmten Grashalme darf ja im Augenblick kein Fussball rollen. «Das ist schon sehr schade», sagt Gasser, der täglich zwei Stunden auf der Anlage des Vereins nach dem Rechten schaut. Der Rasenmäher sei gerade im Service. Im Hintergrund scheint das Rechteck des im letzten Jahr fertig sanierten Schlyffi-Trainingsplatzes auf. Dieser liegt nun völlig brach. Fussball in Zeiten von Corona.

«Dabei haben wir die Sanierungskosten mit 270’000 Franken nicht überschritten», sinniert Sepp Kälin, Präsident des FC Einsiedeln über die Investition nach. Seit vier Jahren ist er Vereinschef. So etwas wie jetzt hat er noch nicht erlebt. «Das ist eine ganz komische Situation – irgendwie unreal», sagt er.

Andalusische Euphorie Irgendwie kann er es immer noch nicht glauben, dass er Anfang März noch euphorisch und in voller Vorfreude auf die Rückrunde mit dem Fanion-Team aus Andalusien zurückgekehrt ist und seine erste Amtshandlung darin bestanden hat, die Generalversammlung des FC Einsiedeln wegen der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus abzusagen. «Es war richtig, dass wir das gemacht haben – dabei haben wir zuvor in Spanien noch niemanden mit Atemschutzmaske auf der Strasse gesehen. Und wir haben sogar noch ein Zweitliga- Spiel als Zuschauer besucht – 24’000 Menschen im Stadion auf engstem Raum …» Und nun das. Fussballverbot für alle. Spielsperre in der Schweiz in allen Ligen bis 30. April. Auch Trainings sind tabu. Wegen des Coronavirus. Wie es danach weitergeht, weiss noch keiner. «Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass diese Saison nochmals gespielt wird», macht Sepp Kälin aus seinem Herzen als Fussballfan keine Mördergrube. Denn es stünden noch 13 Spiele auf dem Programm. «Und wir können ja nicht die Saison einfach in die Ferien verlängern.» Auch Trainer Manfred Auf der Maur sitzt derzeit zu Hause, anstatt seine Spieler der ersten Mannschaft für das erste Spiel der Rückrunde zu motivieren, das gegen den FC Muri längst hätte stattfinden sollen. Zwar geniesst er die gemeinsamen Abendessen mit der Familie zu Hause, gibt aber zu, eine gewisse Leere zu spüren. «Wir waren im Trainingslager gut drauf, wir hatten keine Verletzten – wir waren bereit.» Stattdessen seit Tagen und Wochen ein Leben ohne das runde Leder. Seinen Spielern hat er zwar Programme in die kicklose Zeit mitgegeben – damit sie sich fit halten können. Er habe sogar schon läuten hören, dass der eine oder andere fleissig seine Kondition trainieren würde. «Kontrollieren tue ich das aber nicht.» Dass im Augenblick Fussball nur Nebensache ist und nur noch ein Thema regiert, hat er gleichwohl akzeptiert. «Es geht ja um Menschenleben.» Am meisten vermisst er derzeit, dass er mit seiner Mannschaft nicht zusammenarbeiten kann. Auf der Maur kann sich deshalb auch gut vorstellen, nächste Saison die erste Mannschaft des FCE zu trainieren. Doch ob es in dieser Saison noch etwas wird mit Fussball im Rappenmöösli, wagt auch er zu bezweifeln. «Wenn wir im Mai noch einsteigen, würde das bedeuten, ohne grosse Vorbereitung englische Wochen spielen zu müssen. Solche Belastungen würden zahlreiche Verletzte zur Folge haben. Das kann ich mir nicht vorstellen.»

Saison wohl «auf Null gesetzt»

So ruht denn der Fussball wohl weiterhin im Rappenmöösli. «Ich gehe davon aus, dass die Saison annulliert wird – ohne Meister, ohne Aufsteiger und ohne Absteiger», malt sich Sepp Kälin das wahrscheinlich traurige Liga-Ende ohne richtiges Ende aus. Der FC Einsiedeln werde diese «auf Null gesetzte » Saison aber trotzdem überleben.

«Zwar haben wir infolge des geschlossenen Restaurants momentan keine Einnahmen, aber auch keine grossen Ausgaben», so der FCE-Präsident. Und die Sponsoren hätten bis jetzt noch nicht signalisiert, dass sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen wollten. Eine gewisse Langeweile befällt den 62-Jährigen allerdings schon ob der aussergewöhnlichen Corona-Sperre. «Ich bin froh, dass ich mich dank meines Jobs noch mit Arbeit ablenken und schaffen kann», so Kälin.

Statt Fussball im Fernsehen …

Andererseits findet er es gar nicht so schlecht, dass die sonst so viel beschäftigten Vorstandsmitglieder des FCE, die im Augenblick nur noch per Telefon und E-Mail miteinander verkehren, aufgrund des «Fussball- Lockdowns» auch mal etwas «runterfahren» könnten.

Sogar die Tatsache, dass auch im Fernsehen, wo ja normalerweise kaum ein Tag ohne Fussball über die Bühne geht, die Jagd um Tore und Triumphe momentan gar nicht mehr stattfindet, zeitigt für Fussball-Freak Sepp Kälin durchaus positive Nebeneffekte. «Jetzt schaue ich halt mit meiner Frau ihre Lieblingssendungen an.»

«Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass diese Saison nochmals gespielt wird.»

Sepp Kälin, Präsident des FC Einsiedeln

Platzwart Peter Gasser ist derzeit der einzige auf der Anlage des FC Einsiedeln im Rappenmöösli. Foto: Wolfgang Holz

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