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«Wir starten mit sieben oder acht Kindern»

«Wir starten mit sieben oder acht Kindern» «Wir starten mit sieben oder acht Kindern»

Yasmin Fässler ist Präsidentin des Vereins für natürliches Lernen. Dieser lanciert das Projekt Casa Vitura. Die Privatschule möchte im August ihren Betrieb auf dem Katzenstrick in Einsiedeln aufnehmen. Kindergarten und Primarstufe sollen zusammengelegt werden.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wann startet Casa Vitura ihren Schulbetrieb?

Voraussichtlich im August 2020. Die Bewilligung seitens des Kantons haben wir. Noch ausstehend ist die Bewilligung des Schwyzer Amtes für Raumentwicklung: Es geht um eine Nutzungsänderung im Sinne der Zonenkonformität.

Mit wie vielen Schülern beginnen Sie?

Wir starten mit sieben oder mehr Kindern. Je nachdem, wie viel Geld dank Crowdfunding zusammenkommt, könnten wir schon mit fünf Schülern starten. Das Ziel ist, in hundert Tagen bis Mitte Juni mit Crowdfunding 33’000 Franken zu bekommen. 6000 Franken haben wir bereits: Wir haben also in zehn Tagen fast einen Fünftel des Betrages zusammengebracht. Unser Jahresbudget beträgt 250’000 Franken. Unterstützen kann man uns unter: https://casavitura.ch/crowdfunding/ Gibt es eine oder mehrere Klassen?

Unser Ziel ist, dass wir schliesslich auf 25 Kinder kommen. Die Kinder werden entwicklungsbedingt voraussichtlich in Kindergarten/ Basisstufe und Primarstufe eingeteilt. Wann und wie die Einteilung stattfindet, entscheiden die Lehrperson und die Lernbegleiter. Das Leben und Lernen in einer altersdurchmischten Gemeinschaft ist uns wichtig, weil es die Sozialkompetenz fördert: Alle lernen voneinander, dies gehört zum pädagogischen Konzept der Casa Vitura. Wann startet der Kindergarten?

Gerne möchten wir im Sommer 2020 mit der Kindergarten- und der Primarstufe gemeinsam beginnen. Der Entscheid hängt jedoch davon ab, wie viele Kindergartenanmeldungen wir erhalten. Vier Kindergartenanmeldungen benötigen wir für den Start. Der Katzenstrick hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Was befand sich im Haus, das dann abgerissen und von einem Neubau ersetzt wurde?

Im Frühjahr 1863 fasste Regierungsrat Stephan Steinauer den Plan, auf dem Katzenstrick neben der Kapelle Maria End eine Versorgungs-und Erziehungsanstalt für arme Knaben zu gründen. Die Stiftungsurkunde ist vom 5. November 1865 datiert. Zweck der Anstalt ist die Erziehung und teilweise Berufsbildung armer Knaben aus dem Bezirk Einsiedeln im Geist christlicher Liebe. Im Herbst 1884 wurde die Anstalt aufgrund finanzieller Schwierigkeiten aufgelöst. Zu dieser Zeit befand sich auf der Passhöhe noch die Wirtschaft «Zur frohen Aussicht». Das heutige Haus ist der Ersatzbau für das Gebäude aus dem Jahr 1864, das im April 2018 abgebrochen wurde. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Casa Vitura zu gründen?

Durch meine eigenen Kinder habe ich erfahren, wie das Schulsystem leistungsorientiert ist und viel Druck ausübt. Dies hat mich als Mutter in eine Dilemmasituation gebracht, weil ich glaube, dass Lernen ohne Druck und Vergleich nachhaltiger ist. Darum möchten wir gerne das Angebot der Schulen erweitern, damit jede Familie und somit jedes Kind seinen Platz findet, an dem es sich wohl fühlt. Zudem denke ich, dass die Wirtschaft in Zukunft kreative Köpfe und kommunikationsfähige Menschen braucht, die überzeugt sind, ihre Ziele zu erreichen. Unsere Schulform stärkt diese Fähigkeiten und fördert die Selbstwirksamkeit und den Teamgeist der Kinder. Die Entwicklung in der Wirtschaft geht bereits in diese Richtung.

Worauf basiert das pädagogische Konzept von Casa Vitura?

Wir haben ein Konzept entworfen, das sich auf Basis grundlegenden Erkenntnissen verschiedener Theorien und eigenen Erfahrungen stützt. Ausgehend von Kopf, Herz, Hand schafft die Casa Vitura eine handlungsorientierte und lebensnahe Lernumgebung. Der Casa Vitura sind ethische Grundsätze und verantwortungsbewusstes, nachhaltiges Handeln wichtig. Die Casa Vitura arbeitet fächerübergreifend und altersdurchmischt. Es gibt keine Hausaufgaben, keine Leistungsvergleiche und keine Benotung.

Was heisst das konkret?

Im Fokus der Schule steht das Potenzial jedes einzelnen Kindes. Jedes Kind soll die Möglichkeit haben, sein Wesen und seine Individualität frei zu entfalten und somit zu stärken. Die Casa Vitura definiert soziales Lernen in alltagsnahen Gegebenheiten als Status Quo. Gemeinschaftliche Dynamiken und Beziehungen haben Raum und Gefässe zur Reflexion. Die gewaltfreie Kommunikation wird dabei angestrebt. Kreative Teamerlebnisse werden gefördert. Lernen geschieht aufgrund von Beziehung und Zusammenarbeit.

Was ist bei Casa Vitura gleich, was anders im Unterschied zu den staatlichen Volksschulen? Für die Casa Vitura ist der Lehrplan 21 wegleitend. Dies kommt unserer Schule entgegen, weil der Lehrplan 21 kompetenzorientiert ist und keine Noten, keine Leistungsvergleiche und keine Hausaufgaben vorsieht. Der Unterschied liegt in der Art der Vermittlung von Wissen. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Casa Vitura eine Tagesschule ist, an welcher der Mittwoch schulfrei ist. Weshalb schaffen nicht alle Schulen die Noten ab, wenn diese doch gar nicht mehr zwingend vorgesehen sind? Der Wandel braucht Zeit. Es gibt gesellschaftliche Gründe, weshalb man an den Noten festhalten will. Viele können sich eine Schule ohne Noten gar nicht vorstellen. Weil man annimmt, dass es ein System braucht, um Leistungen messen zu können. Es gibt ja bereits staatliche Primarschulen, welche die Noten abgeschafft haben.

Wie schaffen Schüler den Übertritt von Casa Vitura in die Sekundarschule oder ins Langzeitgymnasium, in denen Noten vorherrschend sind? Das ist sicher nicht ganz einfach, aber machbar. Kinder in der Casa Vitura kennen ihre Stärken und wissen, auf was sie sich fokussieren müssen. Wenn Schüler etwas wollen, dann schaffen sie das auch. Man muss ihnen einfach Zeit lassen und sie dabei unterstützen. Ich bin sicher, dass ein solcher Übergang funktionieren wird. Abgesehen davon plant die Casa Vitura in ein paar Jahren den Aufbau einer Oberstufe.

An wen richtet sich Ihr Angebot?

Das Ziel ist es, allen Familien unabhängig von ihrem Einkommen eine alternative Schulform zu bieten. Dies ist noch ein langer Weg. Da wir keine staatliche Unterstützung erhalten, sind wir auf Spenden angewiesen, um unser Ziel zu erreichen. Willkommen sind alle Kinder aus dem Bezirk Einsiedeln und der Umgebung.

Der Katzenstrick liegt ziemlich abgelegen. Wie gelangen die Kinder ins Schulhaus? Wir haben vor, einen Schulbus, einen Shuttlebus, zu organisieren, der die Kinder vom Bahnhof Einsiedeln abholen würde. Zudem ist vorgesehen, dass die Kinder einen Teil des Weges zusammen mit der Lehrperson zu Fuss gehen. Dabei erfahren die Kinder den Lauf der Jahreszeiten und erleben auf dem Weg die Natur und das Wetter. Bedeutet Casa Vitura eine Konkurrenz für die staatlichen Schulen? Nein, wir möchten eine Bereicherung für die Bildungslandschaft sein und somit das Angebot erweitern. Wir bemühen uns um eine gute Zusammenarbeit mit den Behörden des Bezirks Einsiedeln und den Schulen. Leidet das Gemeinwesen unter dem Überhandnehmen von Privatschulen?

Nein, das denke ich nicht. Wie bereits erwähnt, sehen wir uns als Bereicherung der Bildungslandschaft. Denn so verschieden die Bedürfnisse der Kinder und der Familien sind, umso breiter darf das Angebot sein. Gegner der freien Schulwahl befürchten, dass die Kosten nach der Einführung der Wahlfreiheit explodieren könnten. Auch hätten bevorzugte Schulen möglicherweise nicht genügend Infrastruktur. Könnte sich wegen den Privatschulen die Kluft zwischen Arm und Reich noch mehr vertiefen? Ich kann dies nicht beurteilen. Viele Länder in Europa verfügen bereits über eine freie Schulwahl. Bildungsvielfalt ist wichtig und mit der Auseinandersetzung mit der freien Schulwahl rückt automatisch auch die Diskussion über die Bildungsvielfalt in den Fokus. Am 20. November 2019 sind in diversen Kantonen Petitionen für die freie Schulwahl eingegangen. Von der freien Schulwahl sind wir jedoch noch weit entfernt.

Yasmin Fässler steht Red und Antwort zu den Zielen der Privatschule Casa Vitura.

Fotos: zvg

Die Erfahrung mit der Natur ist ein Anliegen von Casa Vitura: So sollen die Kinder einen Teil des Schulweges zu Fuss gehen.

Auf dem Katzenstrick in Einsiedeln wird im Sommer die Casa Vitura ihren Betrieb aufnehmen – vorerst mit Primarschule und Kindergarten.

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