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«Der letzte Schuss muss sitzen»

«Der letzte Schuss muss sitzen» «Der letzte Schuss muss sitzen»

Die 19-jährige Einsiedlerin Amy Baserga nimmt an der Biathlon-Junioren-Weltmeisterschaft in der Lenzerheide teil

Die Biathletin Amy Baserga geht an der Junioren-WM im Kampf um eine goldene Medaille als Favoritin ins Rennen. Sie steht Red und Antwort über ihre Nervenstärke und zu einem Schicksalsschlag, der sie zurückwarf, von dem sie sich allerdings nicht unterkriegen liess.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Geht ein Traum in Erfüllung, wenn Sie am Montag an der Biathlon-WM bei den Junioren starten? In jedem Fall ist es ein Mega- Event: Zum ersten Mal seit 25 Jahren geht mit der Junioren- und Jugend-WM wieder ein grosser Biathlon-Wettkampf in der Schweiz über die Bühne. Im Jahr 1985 war zudem Egg Austragungsort, als dort die zweite Biathlon-Weltmeisterschaften der Frauen gemeinsam mit den Junioren-Weltmeisterschaften durchgeführt wurden. Eine Heim-WM, das ist einfach ganz speziell: Wenn Freunde, Kollegen und Eltern hautnah mit dabei sind und einen anfeuern. Haben Sie hart gearbeitet, auf dass nun dieser grosse Traum in Erfüllung gehen möge? Ich bin im Sommer Rollski gefahren. Neben dem Joggen habe ich Ausgleichssport getrieben. Und naturgemäss ist das Schiesstraining mit dem Gewehr hinzugekommen.

Sie gehen als Favoritin in dieses Rennen. Macht Sie das nervös? Nervös macht es mich eher, weil ich das Publikum kenne, das am Rand der Loipe steht. Ich habe bereits drei Mal an einer Jugend-WM teilgenommen und eine Goldmedaille geholt. Von daher kenne ich mich schon ein bisschen aus damit, im Rampenlicht zu stehen. Mein Ziel bleibt es, den Titel zu verteidigen. So stachelt es mich erst recht an, die Gejagte zu sein. Was ist entscheidend, dass Sie als Schnellste durch das Ziel gehen werden? Ein guter Ski ist wichtig, ebenso spielt die Tagesform eine Rolle. Und ob man mental gut drauf ist am Renntag. Vor allem beim Schiessen ist die Mentalität entscheidend. Man darf sich beim Schiessen nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn man etwa im Hintergrund den Speaker hört. Ist das Schiessen hierbei reine Nervensache? Das ist es. Auch ich bin nicht davor gefeit, einmal einen Fehlschuss hinzulegen. Da nützt auch alles Trainieren nichts. Vor allem auf den letzten Schuss kommt es drauf an. Hier versagen die Nerven am ehesten. Der letzte Schuss muss sitzen. Sonst muss man eine Strafrunde absolvieren. Man muss den letzten Schuss so in Angriff nehmen, als wäre es irgendein anderer der ersten Schüsse. Das hilft. Es ist also in erster Linie eine Kopfsache. Was haben Sie speziell trainiert auf diese WM hin? Unter anderem stand ein Mentaltraining im Vordergrund, das eben das Schiessen betraf. Man bereitet sich mental dank Gesprächen mit der Mentaltrainerin auf das Schiessen vor. Überschattet wurde das Training von einem schweren Unfall am 27. September 2018: Beim Joggen am Friherrenberg stolperte ich im Halbdunkel über eine Wurzel, die ich übersehen habe. Prompt habe ich mir alle Bänder am rechten Fuss gerissen.

Wie haben Sie auf diesen Schicksalsschlag reagiert? Der Schicksalsschlag hat mich zwar zurückgeworfen, allerdings liess ich mich nicht davon unterkriegen. Dank bester Genesung konnte ich acht Wochen nach dem Unfall wieder mit Physiotherapie beginnen. Biathlon ist ja an sich ein nicht wirklich gefährlicher Sport. Die grösste Gefahr geht vom Gewehr aus, wenn man bei einem Sturz beim Langlaufen, was durchaus vorkommen kann, auf den Rücken fällt. Und dann das Gewehr in den Rücken stösst und diesen verletzt.

Träumen Sie des Nachts von den Rennen?

Zum Glück gar nicht. In jedem Fall habe ich keine Albträume (lacht). Wir sind ja auch gut vorbereitet für die Rennen. Wir spielen manchmal im Schiesstraining ein Spiel, in dem die Teamkollegen extra viel Lärm im Hintergrund machen, auf dass wir uns daran gewöhnen und uns nicht ablenken lassen vom Lärm. Dies als Vorbereitung für den Lärm, den die Fanklubs dann am Renntag machen. Sicher kommt dann einen Tag vor dem Rennen Lampenfieber auf, das gehört einfach dazu. Wie sind Sie zum Biathlon gekommen?

Nicht wie die Jungfrau zum Kind (lacht), vielmehr stamme ich aus einer Langlauf-Familie. Bereits mein Vater und mein Grossvater haben Langlaufsport getrieben. Und mein Bruder hat bereits Biathlonrennen bestritten. So stand ich bereits mit vier Jahren auf den Langlaufskiern und habe diesen Sport von Anbeginn an gern gemacht. Später habe ich mein Talent für das Schiessen entdeckt, als ich bei einem Wettbewerb mit neun von zehn Schüssen getroffen habe. Darüber hinaus ist Einsiedeln ja eine Langlauf-Hochburg. Und hat mit Erich Schönbächler einen berühmten Biathleten in seinen Reihen.

War es Ihr Traum, Profisportlerin zu werden? Ja, in der Tat. Und ich kann mir gut vorstellen, nach meiner Aktivkarriere dem Sport treu zu bleiben und zum Beispiel Trainerin zu werden. Es ist aber nun nicht so, dass man als Profisportlerin nicht noch andere Ausbildungen in Angriff nimmt. Das KV habe ich allerdings abgebrochen, weil ich definitiv meine Zeit nicht im Büro verbringen möchte und mich das Handwerkliche bei Weitem mehr interessiert. Die Ausbildung zur Gärtnerin, die ich gerne gemacht hätte, musste ich gleichsam sistieren, weil dieser Job zu streng war und meiner Biathletin-Karriere in die Quere kam. So konzentriere ich mich darauf, eine Masseurin-Ausbildung zu absolvieren und mir damit ein zweites Standbein aufzubauen. Ist für Sie ein Training im Klosterdorf unmöglich geworden, weil kein Schnee mehr in Einsiedeln liegt?

Das Langlauf-Training in Einsiedeln ist wegen Schneearmut seit Längerem ein Problem und das Ausweichen nach Hoch-Ybrig oder Andermatt mühsam und umständlich. Hinzu kommt die fehlende Möglichkeit, in Einsiedeln mit 50-Meter-Kleinkaliber schiessen zu können, sodass auf den Schiessstand in Pfäffikon ausgewichen werden muss. So schätze ich es, in der Biathlon Arena Lenzerheide trainieren zu können, die dank Schneekanonen mit Kunstschnee aufwarten kann. So habe ich in Lantsch eine Wohnung, in der mitunter auch Biathlon-Kolleginnen übernachten.

Vermissen Sie das Klosterdorf? Die Lenzerheide ist sehr schön, und ich fühle mich dort überaus wohl. Nichtsdestotrotz habe ich naturgemäss Heimweh nach dem Klosterdorf und bin glücklich, in Einsiedeln meinen Wohnsitz bei meinen Eltern behalten zu können. Wann dürfte ein weiterer Traum von Ihnen in Erfüllung gehen, nämlich die Teilnahme an Olympischen Spielen? Dieser Traum könnte im Jahr 2026 in Mailand beziehungsweise in Cortina d’Ampezzo in Erfüllung gehen. Klar ist es das Ziel jedes Sportlers, jeder Sportlerin, an Olympischen Spielen teilzunehmen und gar eine Medaille zu gewinnen: ein Höhepunkt par excellence in einem Leben hier auf Erden.

Was dürfte der Grund sein, dass Schweizer Frauen über Nacht nun plötzlich Spitzenresultate im Biathlon liefern? Das hat viel mit ihrem famosen Team rund um die drei Gasparin- Schwestern und Lena Häcki zu tun. Die machen eine fabelhafte Teamarbeit, sodass sie in der Staffel regelmässig zu Hochform auflaufen. Es muss etwas mit dem Teamspirit zu tun haben, dass sie in der Staffel so gut schiessen. Interessanterweise schiessen sie nämlich denn im Einzel ein bisschen schlechter. Wir haben bei den Juniorinnen auch eine tolle Stimmung im Team. Wir konnten Anfang Saison unsere erste Medaille in der Mixed-Staffel feiern, die ich zusammen mit Lea Meier, Laurin Fravi und Niklas Hartweg bestritt. So hoffe ich, dass die Kategorie Mixed-Staffel dereinst ins olympische Programm aufgenommen wird.

Wie gehen Sie mit Misserfolg und Scheitern in Ihrem Leben um? Bis anhin ist mir alles eher gut gelungen in sportlicher Hinsicht, und es ist stetig immer nur aufwärts gegangen. Nach dem schweren, verhängnisvollen Sturz am Friherrenberg lag ich darnieder, konnte dann aber froh sein, dass die Genesung so schnell eintrat. Licht und Schatten liegen oftmals nah beisammen. Gibt es für Sie auch ein Leben ausserhalb des Sports? Oh ja (lacht). Ich bin gerne zu Hause oder in den Ferien, hänge mit Kolleginnen ab und gehe mit dem Hund spazieren. Auch das Velofahren liegt mir sehr am Herzen. Und dann gibt es zudem ein alternatives Berufsleben: Wie meine Mutter möchte ich Masseurin werden.

«Nervös macht es mich, weil ich das Publikum kenne, das am Rand der Loipe steht.» «Beim Joggen am Friherrenberg stolperte ich im Halbdunkel über eine Wurzel.» Ich stand bereits mit vier Jahren auf den Langlaufskiern und habe diesen Sport gern gemacht.» «Das Langlauf-Training in Einsiedeln ist wegen Schneearmut ein Problem.» «Ich habe Heimweh nach dem Klosterdorf und bin glücklich, in Einsiedeln zu wohnen.» «Licht und Schatten liegen oftmals nah beisammen im Leben.»

Amy Baserga startet am Montag, um 14 Uhr, in der Lenzerheide zum Einzelwettkampf bei den Juniorinnen, der über 12,5 Kilometer führt. Foto: Magnus Leibundgut

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