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Sind Armut und Reichtum unzertrennlich?

2. Diskursabend des Welttheaters im Literaturhaus Zürich

Beim zweiten Diskursabend im Literaturhaus Zürich standen die Themen Reichtum, Armut und gesellschaftliche Moral im Fokus. Mit Beiträgen von Christian Neuhäuser und Lukas Bärfuss wurden tiefgreifende Fragen zur materiellen Ungleichheit und der Suche nach menschlicher Würde diskutiert, die das Publikum zum Nachdenken anregten.

Mitg. Der Diskursabend im Literaturhaus Zürich hielt für die Zuhörer einige Knacknüsse bereit. Eine erste brachte der Gast Christian Neuhäuser, Professor für Philosophie an der Technischen Universität Dortmund, gleich selbst mit. Er berichtete, dass bei einer Diskussion eine Studentin viele Anwesende brüskierte, indem sie erklärte, dass ja wir alle nach Reichtum streben würden.

Diese These, welcher wir zwar nicht gerne zustimmen, die aber im Hintergrund bei uns auch immer ein bisschen mitschwingt, verfolgte mich den ganzen Abend hindurch. Lukas Bärfuss führte in das Thema mit Calderóns Sicht des Reichen und mit den bekannten Sätzen aus dem Matthäus-Evangelium ein: «Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.» (Mt 19,22–24) So eindeutig ist die Lage aber auch hier nicht.

Und kaum eindeutig ging der Diskurs weiter. Man sprach vom korrumpierenden Ausmass der Geldmacht und von der Macht des Statussymbols. Christian Neuhäuser erklärte kurz, dass der Ökonomismus früher vorhanden war als die Würde. Damit ist scheinbar ein Gegensatzpaar entstanden, welches uns bereits eine neue Aufgabe auferlegt. Die Würde des Menschen müsste unser Ziel sein – mit oder ohne Geld. Diese Würde liegt in der Beziehung zu anderen Menschen. Die Armut aber verletze diese Würde. Doch auch der Reichtum nage an den Menschen, weil man eigentlich nicht mehr jener sein könne, der man sein möchte.

Grundsätzlich steht dann die Frage im Mittelpunkt, ob man den Kapitalismus abschaffen oder mindesten reformieren müsse. Das werde immer wieder diskutiert und verlaufe sich in der Frage, ob Kapitalismus ohne Wachstum überhaupt möglich sei. Damit bewegt man sich grundsätzlich in einem schwierigen Thema, das aber aktuell immer wieder diskutiert wird.

Dazu beigetragen hat auch das Buch von Marlene Engelhorn «Geld», indem sie darauf aufmerksam macht, dass Vermögensungleichheit das Miteinander zerreisse. Diese Ungleichheit gelte es zu bekämpfen. Heute sei der Reichtum vor allem durch das Vermögen gestützt. Deshalb müsste man über Reichtumssteuern oder auch Erbschaftssteuern lauter nachdenken. Denn der zu grosse Reichtum sei für ein Miteinander in Gesellschaft und Staat gefährlich. Man nennt diesen Vorgang der Beschränkung Limitarismus.

Gegen den Schluss des interessanten Gesprächs kam dann noch die These zur Sprache, dass sich Europa Sorgen machen müsse für die Zukunft, weil die Wohlstandsversprechen nicht mehr eingehalten werden könnten. Damit feiert der Begriff «Moral» eine Neugeburt – die Gesellschaft braucht moralische Strukturen, eine Gegenkultur zur momentanen Situation der Armut und des Reichtums. Wir dürfen nicht mehr alles dem Geld unterwerfen. Freiheit kann man sich erkaufen, aber man verliert gleichzeitig Freiheit – das muss sich ändern. Janis Joplin hat das in ihrem Song wunderbar ausgedrückt: Die Freiheit ist der Himmel, nichts mehr zu verlieren. Suchen wir sie!

Wer an diesem zweiten Diskursabend im Literaturhaus Zürich nicht dabei sein konnte, kann die Aufzeichnung auf der Website des Einsiedler Welttheaters (www.einsiedlerwelttheater. ch) unter «Welttheatergespräche » nachschauen. Empfohlen sind in diesem Zusammenhang auch die letzten zwei Gespräche im Literaturhaus Zürich: am Donnerstag, 4. April, um 19.30 Uhr, unterhält sich Lukas Bärfuss mit Christiane Grefe über Bauer und Welt, und am Donnerstag, 16. Mai, um 19.30 Uhr, spricht der diesjährige Welt-theater-Autor mit Margrit Stamm über das Kind und die Weisheit/ Urteilskraft.

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