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«Ich will eine breitere Spitze»

«Ich will eine breitere Spitze» «Ich will eine breitere Spitze»

Der neue Skisprungchef Joel Bieri aus Kandersteg im grossen Interview

Der ehemalige nordische Kombinierer Joel Bieri ist seit dem 1. Juni Disziplinenchef Skisprung und Nordische Kombination. Zuvor war er Chef Nachwuchs in diesen beiden Sportarten. Der studierte Sportmanager bringt viel Erfahrung im Event-, aber auch im Nachwuchsbereich mit.

Wie bewerten Sie die Leistungen der Schweizer Skispringer und nordisch Kombinierer in den vergangenen Jahren? In den letzten Jahren hatten wir doch einige Highlights zu verzeichnen. Gerne erinnere ich an die Bronzemedaille von Killian Peier an den nordischen Skiweltmeisterschaften 2019 auf der Grossschanze in Seefeld. Auch den dritten Rang von Dominik Peter an der Junioren-Weltmeisterschaft 2021 in Lahti darf ich hier erwähnen. Aber auch die beiden jungen Skispringerinnen Emely Torrazza und Sina Arnet sind auf dem besten Weg, sich auf Weltcupniveau zu etablieren. Nach dem Rücktritt vom nordischen Kombinierer Tim Hug hat sich eine Lücke aufgetan. Mit Pascal Müller, welcher bereits schon auf der zweithöchsten Stufe Wettbewerbe bestreitet, versuchen wir hier auch den Anschluss an die Weltelite zu fin-den. Alles in allem sind wir hier in der richtigen Richtung unterwegs.

Was sind Ihre Ziele für die Schweizer Skispringer und nordisch Kombinierer in den kommenden Jahren? Bei den Skispringern sind wir gut unterwegs. Dank einem tollen Umfeld können unsere Top-Athleten Gregor Deschwanden und Killian Peier Vollgas geben. Eines meiner Ziele ist es, eine breitere Spitze zu etablieren und ein gutes Team zu bilden. Bei der Nordischen Kombination hatten wir ein etwas grösseres Loch. Hier ist aber eine gute Nachwuchsgruppe im Entstehen, welche hoffentlich bald bei internationalen Wettkämpfen teilnehmen wird. Welche Schwerpunkte werden Sie in Ihrer Arbeit setzen? Einer meiner Punkte ist, unser Nachwuchskonzept konsequent weiterzuführen. Mit Kontinuität können wir auch in Zukunft Spitzenathleten hervorbringen. Auch soll einem Athleten oder einer Athletin ein klarer Weg zur Weltspitze aufgezeigt werden können. Im Weitern will ich den Standort Einsiedeln als nationales Leistungszentrum weiter stärken und ein Topumfeld anbieten.

Sie sind ja ehemaliger Spitzenathlet in der Nordischen Kombination. Wie stark schmerzt es Sie, dass diese Sportart ein Mauerblümchendasein innehat?

Diese Sportart stand schon früher nicht so im Rampenlicht. Schade fände ich es, wenn sie nicht mehr olympisch wäre. In den Diskussionen gilt es aufzuzeigen, dass ein Verbleib sinnvoll ist. Wir Schweizer erleben beispielsweise hier viel Solidarität. Mit Pascal Müller als Einzelkämpfer war es schwierig, ein entsprechendes Umfeld aufzubauen. Darum trainiert er nun mit den Deutschen. Damit ist gewährleistet, dass er sich im Training mit anderen Athleten messen kann. So sieht er, wo er sportlich steht. Mit guten Resultaten von ihm hoffe ich, junge Leute an diese Sportart herranzuführen. Und das IOC soll so merken: Da besteht ein Interesse!

Wie sehen Sie die Zukunft der Nordischen Kombination? Ich bin ein positiv eingestellter Mensch. Es ist Handlungsbedarf angezeigt. Dennoch sehe ich gute Chancen für die Zukunft. Es benötigt einfach noch ein bisschen Zeit, um die geforderten Standards, beispielsweise dass beide Geschlechter im gleichen Masse vertreten sind, umzusetzen.

Mit dem Norweger Rune Velta ist auch ein neuer Trainer im Skispringen im Amt. Wie wurde die Zusammenarbeit zwischen den Athleten und dem neuen Trainer gestaltet? Er wurde vor mir zum Skisprungtrainer ernannt. Bereits da fand ich das sehr cool. Für uns Schweizer ist es spannend, die norwegische Philosophie und Art direkt mitzuerleben. Bis anhin war die Schanzensprache Deutsch. Seit Rune da ist, er lernt zwar fleissig die deutsche Sprache, werden Rückmeldungen häufig in Englisch gemacht. Dies ist ungewohnt und braucht öfters einen Gedankenschritt mehr. Aber sein Verständnis vom Skispringen, vom Material, und seine Art haben einen guten Drive ins Team gebracht. Bei Swiss-Ski waren Sie in den letzten Jahren für den Nachwuchs zuständig. Welchen Stellenwert wird künftig die Nachwuchsförderung haben?

Der Nachwuchs geniesst bei mir einen sehr hohen Stellenwert. Sie sind unsere künftigen Spitzenathleten. Die Jungen beleben zudem das Team. Sie können von den Älteren lernen aber auch umgekehrt. Die Unbekümmertheit und Lockerheit der Jungen kann den Älteren auch neue Inputs liefern.

Mitte September findet zum dritten Mal die Nordic Week statt. Wer hatte die Idee zu diesem Event?

Die Idee stammte von Gary Furrer, meinem Vorvorgänger. Als Chef Breitensport bei Swiss-Ski hatte er diese Idee und stiess bei den Verantwortlichen auf offene Ohren.

Was sind die Ziele des Anlas-ses?

Wir wollen den Schweizer Schülern die nordischen Sportarten näherbringen. Die Kinder sollen etwas Cooles erleben und es soll ihnen in guter Erinnerung bleiben. In Thun hatten wir beispielsweise ein Springen mit Temperaturen um 35 Grad. Was war das für ein Erlebnis für die Kinder, als nicht nur die Matten sondern auch sie mit dem Gartenschlauch nass gespritzt wurden.

Wie gelingt es Ihnen in dieser Woche, die Kinder für die nordischen Sportarten zu begeistern?

Mit Leitern, die mit Herzblut die verschiedenen Sportarten vermitteln können. Am Freitagabend bieten wir zudem mit dem «Glockenspringen» einen Wettkampf an, wo das Erprobte «scharf» gezeigt werden kann. Wenn es die Kinder dann packt, können sie sich danach gerne bei den verschiedenen Skiclubs melden und weitere Sprünge üben. Wissen Sie schon mehr über die Olympiakandidatur der Schweiz nach 2030 und dem allfälligen Austragungsort für die Skisprungwettkämpfe?

Im Moment werden verschiedene Szenarien und Machbarkeiten ausgearbeitet. In der Schweiz verfügen wir in Engelberg über eine wintertaugliche Grossschanze. In Kandersteg steht eine ebensolche Normalschanze. Die Überlegungen sind soweit im Gange, ob es Sinn macht, diese entsprechend für einen Grossanlass auszubauen. Ein spezielles Augenmerk wird hier auch auf die Nachhaltigkeit gelegt. Gibt es für alles einen Mehrwert für die Region, ist eine weitere Fragestellung.

Einsiedeln ist das nationale Leistungszentrum für Skispringen und Nordische Kombination. Die Schanzen werden mindestens gleich viel geliebt wie aber auch gehasst bei den Einheimischen. Was entgegnen Sie jemandem, der die Schanze lieber weg haben als mit Athleten beleben möchte? Ich würde diese Person zu einer Schanzenführung einladen! Und sie darf sich dann gerne Skier umschnallen und auf der kleinen Schanze springen. Es ist halt nun so: Skispringen geht nur auf einer Schanze. Wir in der Schweiz sind uns gewohnt, nicht zu allem gleich Ja und Amen zu sagen. Es soll eine Diskussion stattfinden und die bestmögliche Lösung gefunden werden. An der Schanze erhalten wir nach wie vor viel Unterstützung.

Wie schätzen Sie es ein: Kommt die Sommer-Grand-Prix-Serie wieder zurück nach Einsiedeln? Die Anlage ist für internationale Wettbewerbe abgenommen und somit tauglich. Zudem verfügen wir im OK über das notwendige Know-how. Der grosse Knackpunkt ist die Finanzierung. Ist dieser gelöst, steht einer erneuten Durchführung eigentlich nichts im Weg. Und nun noch einen Blick in die Glaskugel: Wird unsere Skisprunglegende Simon Ammann an der Olympiade 2026 immer noch Skispringen? Ich traue ihm alles zu. Er arbeitet wieder akribisch, um in Form zu kommen. Er lebt für das Skispringen. Nach wie vor verfügt er über das notwendige Körpergefühl, er kann fliegen und seine Motivation ist hoch. Seine Stärken und Schwächen sind ihm bekannt. Als kleines Beispiel: Kürzlich fiel ihm auf, dass ihm ein Teil für seine optimale Ausrüstung fehlte. Er erfuhr, dass ein Springer mit Jahrgang 2005 sich solche Teile selber zeichne und auf dem 3D-Drucker herstelle. Da half der junge Springer der Legende gerne weiter und stell-te ihm dieses Teil her. Aber zurück zur Frage: Auch bei Simon gilt es die Leistungsziele zu erfüllen. Und so ist meine Antwort: Ja, es ist möglich. Sie haben drei Wünsche frei. Wie lauten diese? Unsere Spitzenathleten sollen als Team, als Einheit, wahrgenommen werden. Sei dies hier in Einsiedeln, aber auch in der restlichen Welt. Im Weiteren will ich mehr Kinder für die nordischen Sportarten begeistern und künftig breiter aufgestellt sein. Dies alles über die olympischen Zyklen hinaus. Zu guter Letzt wünsche ich mir bei den nächsten Olympischen Spielen in der Schweiz, den Olympischen Spielen 203X, eine Medaille im Skispringen und/oder bei der Nordischen Kombination. Und was möchten Sie sonst noch sagen? Ich danke allen Unterstützern der Region Einsiedeln für ihr Engagement an und um die Einsiedler Schanzen. Seien dies die Liftboys, andere ehrenamtliche Helfer, Gönner, Sponsoren und aber auch Besitzer der Anlage.

Fotos: Swiss-Ski/VSV Einsiedeln


Joel Bieri ist seit dem 1. Juni Chef Skisprung und Nordische Kombination.

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