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Die historische Aufarbeitung läuft

Die historische Aufarbeitung läuft Die historische Aufarbeitung läuft

Das Einsiedler Waisenhaus steht im Fokus eines Historikerteams

Vor gut einem Jahr beschloss der Einsiedler Bezirksrat, die Vorfälle rund um das Waisenhaus aufzuarbeiten. Wie weit ist man zwölf Monate später?

Gemunkelt wurde im Klosterdorf schon lange, dass es im Einsiedler Waisenhaus nicht immer mit rechten Dingen zu und her gegangen sei. Da der Bezirksrat die Aufsicht über die überregionale Institution hatte, gingen einfach alle davon aus: Alles hat seine Richtigkeit. Wer glaubte schon einem «Waisenhäusler »? Die Kinder durften den Weg zur Schule nicht über die Hauptstrasse nehmen, nein, sie mussten die Schmiedenstrasse hinauf. Nur das zeigt schon die Wertigkeit auf.

Auslöser

Im Frühling 2019 wurde in der Rundschau des Schweizer Fernsehens publik, dass der Heimleiter «Vati» (Leiter von 1967 bis 1972) sich Einsiedeln als seinen Alterswohnsitz auserkoren hatte. Mit einem Schreiben informierte er seine ehemaligen Schützlinge über diesen Schritt. Damit riss er alte, über Jahre langsam geheilte Wunden wieder auf. Die Betroffenen forderten daraufhin, dass sich der Bezirk Einsiedeln seiner Verantwortung stellt. Bezirksammann Franz Pirker versprach im Inter-view der Rundschau vom 29. Mai 2019, sich dieser Sache anzunehmen und aufarbeiten zu lassen. Dennoch dauerte es bis im August letzten Jahres, bis sich der Bezirksrat auf einen Beschluss einigen konnte. «Man ist sich dieser moralischen Pflicht bewusst», erklärte Pirker damals. Darauf wurde ein Beirat eingesetzt. Diesem Beirat gehören Bezirksammann Franz Pirker, Landschreiber Dr. Patrick Schönbächler, die beiden Historiker Prof. Dr. Markus Furrer und Dr. Loretta Seglias sowie die Betroffene Marielies Birchler an. Gewünscht war auch ein Einsitz der Pfarrei Einsiedeln. Diese wurde aber erst 1974 gegründet, also zwei Jahre nach der Schliessung des Waisenhauses und war somit nicht involviert. Aus diesem Grunde sitzt nun mit dem Stiftsarchivar Pater Dr. Gregor Jäggi ein Klostervertreter im Beirat.

Auftrag Der Auftrag, welchen der Bezirk Einsiedeln in seinem Beschluss an den Beirat formulierte, ist die historische Aufarbeitung der Geschehnisse in und um das Waisenhaus Einsiedeln. Bereits in früheren Jahren machte der damalige Archivleiter des Schwyzer Staatsarchives die Einsiedler Behörden darauf aufmerksam, dass sie die Aufsichtspflicht inne hätten. Dies sowohl während der Führung unter den Ingenbohler Schwestern vor 1967, als auch unter der privaten Leitung von 1967 bis 1972.

Die erste Sitzung fand am 18. Oktober 2022 statt. Bis heute wurden insgesamt drei Sitzungen durchgeführt. Der Beirat befasste sich mit der methodischen Herangehensweise und dem genauen Projektablauf. Danach wurde über die Findung eines geeigneten Historikerteams beraten.

Ergebnisse

Den Auftrag erhielt der Historiker Dr. Kevin Heiniger von der Fachhochschule für Soziale Arbeit Nordwestschweiz (FHNW). Er und sein Team werden nun die Geschichte rund um das Waisenhaus aufarbeiten. Erste Zwischenergebnisse erwartet Landschreiber Patrick Schönbächler bis Anfang des nächsten Jahres. Bis Ende 2024 soll der Schlussbericht vorliegen. Somit kann mit einer Veröffentlichung der Aufarbeitung im Jahr 2025 gerechnet werden. Angedacht ist eine Publikation in Buchform. Bis zum heutigen Zeitpunkt ist über die Form allerdings noch nicht definitiv entschieden. Der Kostenrahmen in der Höhe von 180’000 Franken sollte gemäss Schönbächler eingehalten werden können. Wie viele Personen schlussendlich von der Causa «Waisenhaus» betroffen sind, kann im Moment noch nicht abgeschätzt werden. Zahlungen des Bezirks als Wiedergutmachung sind nicht vorgesehen. Patrick Schönbächler verweist in diesem Zusammenhang auf die eidgenössische Regelung: Der Bund hat im Jahr 2016 das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (SR 211.223.13) erlassen. Darin sind ein Solidaritätsbeitrag zugunsten von Opfern als Zeichen der Anerkennung von zugefügtem Unrecht und als Beitrag zur Wiedergutmachung sowie die Beratung und Unterstützung von Opfern geregelt. Dieser Beitrag beträgt pro Opfer 25’000 Franken. Die Finanzierung erfolgt durch den Bund, freiwillige Zuwendungen der Kantone und weitere freiwillige Zuwendungen.

Foto: Archiv Franz Kälin

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