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Das Einsiedler Wetter schreibt Klimageschichte

Das Einsiedler Wetter schreibt Klimageschichte Das Einsiedler Wetter schreibt Klimageschichte

Wie gingen die Schwyzerinnen und Schwyzer in der Vergangenheit mit Klimaveränderungen und Wetterereignissen um? Im Fokus stehen warme und kalte Anomalien.

Die historische Klimatologie belegt mit ihren über Jahrhunderte gesammelten Daten, dass es schon immer Wetterextreme wie Hitzesommer oder extrem kalte Winter gab. Teilweise können damit gesellschaftliche Folgen wie Hungersnöte erklärt werden. Weichen die Durchschnittswerte eines Monats um mehr oder weniger als drei Grad ab, spricht man von warmen oder kalten Anomalien.

18 Tagebücher mit rund 12’000 Seiten Wie häufig und welche Wetteranomalien auftraten, war in den letzten Jahrhunderten sehr unterschiedlich. Die Zunahme der Durchschnittswerte der letzten Jahrzehnte und Häufung von Anomalien wie Hitzesommern las-sen sich nur mit dem Klimawandel erklären. Bei der Wetternachhersage für die Zentralschweiz spielte das Kloster Einsiedeln eine wichtige Rolle.

Im Kloster Einsiedeln führten die Mönche und Äbte seit dem 17. Jahrhundert Tagebücher, sogenannte Diarien. Einer der fleissigsten Tagebuchschreiber war Pater Joseph Dietrich (1645– 1704). Der Sohn des Stadtschreibers von Rapperswil legte im Jahr 1662 die Profess ab und wurde sieben Jahre später zum Priester geweiht.

Dietrich übte verschiedene Ämter innerhalb und ausserhalb des Klosters aus. Er war Statthalter in Freudenfels (TG), Pfäffikon und Beichtiger im Benediktinerinnenkloster Fahr. Ab dem Jahr 1671 führte er das klösterliche Diarium, zeitweise unterstützt von Pater Sebastian Reding.

Bei seinem Tod im Jahr 1704 hinterliess Pater Josef Dietrich 18 Tagebücher mit rund 12’000 Seiten. Das Projektteam «Dietrich- Edition», das an die Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte der Universität Bern angebunden ist, hat bereits drei Bände als kommentierte Online-Edition veröffentlicht.

Einsiedler Wetteraufzeichnungen Dietrich dokumentierte vor allem den Klosteralltag und erzählte von Besuchern des Klosters sowie den Reisen und Erlebnissen seiner Mitbrüder und -patres. Wetterrelevantes schrieb er nur bei speziellen Ereignissen auf wie etwa am 8. August 1687: Damals regnete es ab dem frühen Morgen während einer ganzen Woche so stark, dass das gemähte Gras «schier unnutz zum Hirten worden» war.

Ab dem Jahr 1694 notierte er oder in seiner Abwesenheit Reding das Wetter täglich. Ohne Messgeräte beschrieben Diet-rich und Reding die Formen der Wolken, die Bedeckung des Himmels oder Intensität und Dauer von Niederschlägen.

Auch die Auswirkungen für die Bevölkerung hielten sie fest: Anfang November des Jahres 1688 führte das unbeständige und unlustige Wetter zu Atemwegserkrankungen bei vielen Einsiedlerinnen und Einsiedlern.

Die Wetteraufzeichnungen der Patres Dietrich und Reding haben in der historischen Klimatologie einen besonderen Stellenwert: Sie beschreiben das tägliche Wetter teilweise über mehrere Zeilen und erstaunen «durch ihre Fülle an fein beobachteten Einzelheiten». Noch bis 2012 wurden aus Einsiedeln Daten übermittelt Die Akribie der beiden Einsiedler würden «ihre Aufzeichnungen klima- und agrarhistorisch besonders wertvoll» machen, meint der Berner Klimahistoriker Christian Pfister: Für das Ende des 17. Jahrhunderts dürfte Einsiedeln mit 900 Metern über Meer der höchstgelegene Ort sein, für den eine solche Beobachtungsdichte vorliegt. Dietrichs und Redings Nachfolger, die ebenfalls mit dem Schreiben des klösterlichen Tagebuchs vertraut waren, schenk-ten dem Wetter weniger Beach-tung: Vermutlich motiviert von neuartigen Messinstrumenten und -methoden, zeichneten erst im 19. Jahrhundert Einsiedler Paters wieder ausführlichere Wetterbeobachtungen auf.

Von 1817 bis 1836 notierten Pater Bernhard Fores-ti (1774–1851), Pater Raphael Kuhn (1826–1909) und Pazet Pius Regli (1792–1882) Messund Wetterdaten. Noch bis im Jahr 2012 wurden aus Einsiedeln täglich, teilweise sogar mehrmals, Wetterdaten an Meteo Schweiz übermittelt. Seither ist eine automatische Messstation in Betrieb.

Erkältung auf der Rigi Für das restliche Schwyzer Kantonsgebiet gibt es bis ins 19. Jahrhundert kaum Wetteraufzeichnungen. Anhand von Beschreibungen aus Zürich von Johannes Haller (1547–1575) oder Johann Jakob Scheuchzer (Messung von Temperatur, Luftdruck und Niederschlag ab dem Jahr 1708) und Luzern von Rennward Cysat (1545–1614) kann die Witterung in unserer Region dennoch über einen längeren Zeitraum rekonstruiert werden.

Ab dem 18. Jahrhundert dürften dann auch im Kanton Schwyz in Taschenkalendern oder Tagebüchern Wetteraufzeichnungen überliefert worden sein. Während fünf Monaten wurde das Wetter auf der Rigi Kulm im Jahr 1832 aufgeschrieben.

Das Wetter ist auch fester Bestandteil der meisten Reisebeschreibungen von Rigi-Touristen. im Jahr 1844 warnte der erste Baedeker-Reiseführer Reisende, die nicht auf Rigi Kulm übernachteten: Erhitzt würde man vor Sonnenaufgang nach dem Aufstieg von Rigi Klösterli oder Staffel oben eintreffen, so dass man «bei dem scharfen Morgenwinde fast unausbleiblich einer Erkältung ausgesetzt ist». Urschweizer Wetterchronik

Die ab Mitte des 19. Jahrhunderts publizierten Schwyzer Zeitungen kommentierten das lokale und internationale Wettergeschehen. Schweizer Witterungsberichte seit dem Jahr 1861 sind im Wetterarchiv von Meteo Schweiz online verfügbar.

Walter Laimbacher stellte im Jahr 2007 eine Urschweizer Wetterchronik zusammen: Seine Quellen waren vor allem die Muotathaler Chronik von Pater Engelmar Egli, die Innerschweizer Bauernzeitung (1935–1993), Josef Nauer-Marty, Schwyz, (Wetteraufzeichnungen von 1928– 1971) und von Josy Kündig, Schwyz (Wetteraufzeichnungen von 1964–2000).

Für das 19. und 20. Jahrhundert ist Laimbachers Übersicht sehr detailliert: Interessant ist auch seine Zusammenstellung von Grosswetterlagen (zum Beispiel kalte, regnerische Winter) und Extremereignissen.

Ausgewählte Frühlingsund Sommerextreme Die oben aufgeführten Sammlungen zeigen, wie unterschiedlich die Witterung schon früher bei uns sein konnte: Wohl aufgrund von Hochnebel konnte am 11. März 1639 in Einsiedeln bereits das Vieh Gras weiden, der obe-re Zürichsee war noch gefroren.

Ein Azorenhoch dürfte der Grund für den Stillstand der Mühle in Pfäffikon wegen Trockenheit im August 1681 gewesen sein. Nur vier Jahre später fiel am 26. und 27. Juli Schnee bis in die Niederungen. In Einsiedeln zersplitterten Bäume, das Gemüse ging kaputt, und im Kloster wurden sogar die Öfen eingeheizt.

Nach einem schneearmen Winter blühten bereits im Februar 1794 sonnenhalb die Kirschbäume, Ende April begann man mit dem Heuet. Im Februar 1898 blühten bereits die Blumen, dafür war der Mai kalt und regnerisch. Manchmal half der Föhn beim Ausapern, wie etwa am 15. April 1962,als im Muotatal «haghoher» Schnee in einem Tag verschwand.


Das Kloster Einsiedeln um 1700. Pater Josef Dietrich beschrieb in seinen Tagebüchern die Wolkenformationen ausführlich. Foto: Staatsarchiv Schwyz

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