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Ein faszinierendes Experiment

Passionskonzert «Judas und Jesus» letzten Sonntag in der Klosterkirche

Viel eher als ein Konzert waren es 75 Minuten intensiver Besinnung auf die Passionsgeschichte Jesu mit Musik und Texten – ein Anlass, der grösseren Zulauf verdient hätte.

Passionskonzerte des Klosters und seines Gymnasiums hatten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts eine berühmte Tradition. Sie fand in den Konzerten des Singkreises St. Cäcilia und des Orchestervereins mit namhaften Solisten unter der Leitung von Pater Edgar Andermatt bis in die 80er-Jahre ihre Fortsetzung und versiegte dann. Der neue Stiftskapellmeister Lukas Meister – nomen est omen – versucht, diese Tradition wieder aufleben zu lassen, was bekanntlich immer weit schwieriger ist. Möge es ihm gelingen! Ein vielversprechender Anfang ist gemacht. Sieben Ton- und Wortkünstler und ein klerikaler Drummer Es ist nicht einfach, für Menschen, die nicht dabei gewesen sind, zu beschreiben, was in der Klosterkirche an diesem Nachmittag abgelaufen ist. Insgesamt waren sieben Ton- und Wortkünstler und ein klerikaler Drummer im Einsatz. Den wichtigsten, grössten und überragendsten Beitrag leistete unser Stiftsorganist Pater Theo Flury an der Mauritiusorgel. Dabei trat er als überlegener Interpret grosser Bachwerke und zwei kleiner eigener Studien sowie als phänomenaler Improvisator in Erscheinung.

Die Kunst des Schaffens aus dem Augenblick ist Pater Theos einmalige Begabung, die seinesgleichen sucht. Und trotzdem war es kein gängiges Orgelkonzert. Der Organist ordnete sich einem Gesamtkonzept unter, das er, wie einst Richard Wagner, gleich selbst entwarf. Es war ein eindrücklicher Gang durch die Passionsgeschichte, angefangen beim Judaskuss und Jesu Gefangennahme bis hin zum Tod am Kreuz und der angedeuteten Auferstehung.

Pater Theo war nicht bloss Interpret und Improvisator, er begleite auch den einzigen Gast dieses Anlasses, Severin Prassl-Wisiak, einen Tenor aus Graz, der seine kirchenmusikalische Heimat im Wiener Stefansdom und in der dortigen Augustinerkirche gefunden hat. Sein Vater ist der bekannte Choralist Franz Karl Prassl.

Severin Prassl sang beim Spieltisch der Mauritiusorgel einzelne Verse aus der berühmten Totensequenz «Dies irae», immer wieder unterbrochen von unter die Haut gehenden Orgelklängen. Es ist bekannt, dass es nur wenigen Gesangssolisten vergönnt ist, mit ihrer Stimme die Klosterkirche zu füllen. Severin Prassl hat den Kirchenraum wohl unterschätzt. Ausserdem ist dem Berichterstatter unerklärlich, warum er als Tenor so tief liegende Phrasen der Sequenz und später gar eine ursprünglich für eine Altistin komponierte Bach-Arie ins Programm nahm («Gott soll allein mein Herze haben»).

Ganz anders, viel kraftvoller und durchdringender klang seine Stimme in der Tenor-Arie «Ich weiss, dass mein Erlöser lebt», nicht von Händel, wie fast jeder Musikfreund erwarten würde, aber auch nicht von Bach, wie es auf dem Programm zu lesen war, sondern von Georg Philipp Telemann. Pater Theo liess Severin Prassl zusätzlich zwei Gedichte zur Passionsgeschichte von Dora Blake und Erich Fried psalmodieartig vortragen und begleitete ihn dezent auf der Orgel. Wetten, dass Leute, welche besser hören als der Schreibende, wohl kaum ein Wort verstanden haben. Für die Zukunft ist ein Textheft ein dringendes Desiderat.

Wortkünstler

Auf dem Podium vor dem Chorgitter, im direkten Blickfang des Publikums, hatten zwei Lektorinnen, zwei Lektoren und eine Saxophonistin auf ihren Stühlen Platz genommen. Maria Egarter, Lehrerin an der Stiftsschule, führte zu Beginn in die Thematik der Besinnungsstunde ein und trug später im Programm ein Gedicht von Rudolf Otto Wiemer vor. In den Vortrag der restlichen Gedichte teilten sich die Stiftsschülerin Klara Jaeggi und Pater Benedict Arpagaus. Pater Daniel Emmenegger, der Dekan unseres Klosters, agierte als Evangelist, wie dies beim Vortrag der Passionsgeschichten üblich ist. Er steuerte fünf kurze biblische Texte bei. Die Wortkünstlerinnen und Wortkünstler waren perfekt verständlich, dennoch hätte ein Aufliegen der teils schwierigen Texte ein Mitgehen des Publikums wesentlich erleichtert.

Bleibt noch die Rolle der jungen Saxophonistin Valentina Jutzi. Kaum zu glauben, dass sie nur für sechs winzig kleine Spezialeffekte wie Multiphonics, Flatterzunge, Vierteltöne, Klappern mit den Klappen und so weiter aufgeboten wurde. Man hätte sich gewünscht, dass sie beim Suizid des Judas einen herzerschütternden Solotrauergesang hätte blasen dürfen. Wenn der Berichterstatter schon beim Träumen ist, dann möchte er abschliessend noch folgenden Traum loswerden: Er träumt von vielen kommenden Besinnungsstunden ganz ähnlicher Art – dies aber bei vollbesetzter Klosterkirche. Ein ebenbürtiger Ersatz für die traditionellen Karwochenpredigten. Den bisher noch nicht erwähnten klösterlichen Drummer auf dem Kanzellettner, Frater Alban Faye, sollten sich alle Prediger buchen, um eingeschlafene Zuhörerinnen und Zuhörer aus dem Schlaf zu wecken.

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