Veröffentlicht am

«Ich bin überzeugt: Es kommt das Jahrzehnt der Frauen»

«Ich bin überzeugt: Es kommt das Jahrzehnt der Frauen» «Ich bin überzeugt: Es kommt das Jahrzehnt der Frauen»

Alt Bundesrätin Doris Leuthard trat am Samstag im Schwyzer Frauenparlament auf. Im Interview spricht sie über den rauen Wind in der Politik.

FLURINA VALSECCHI

Sie haben eine grosse Politkarriere hinter sich. In welcher Phase war es für Sie am schwierigsten?

Immer dann, wenn man allein dasteht – als Parteipräsidentin oder als Departementsvorsteherin. In einer Fraktion oder Kommission als Team zu agieren, ist einfacher. Haben Sie nie ans Aufgeben gedacht?

Nein, man muss sich schon eine etwas dickere Haut zulegen. Aber natürlich hat mich Kritik manchmal verletzt, das musste ich verarbeiten. Das politische Geschäft ist in den letzten Jahren rauer geworden, die Hemmschwelle ist vor allem durch Social Media stark gesunken – und leider werden da Frauen schneller zum Opfer als Männer. Genau diesem rauen Wind wollen sich viele Frauen nicht aussetzen.

Aber das zeigt doch, dass die Frauen erst recht in die Politik gehen müssen! Erst dann ändert sich der Ton. Auch in der Wirtschaft zeigt sich, dass sich der Umgang in gemischten Teams ändert, man hört einander besser zu. Sie haben immer mit Charme und Sympathie politisiert. War es ein Vorteil, eine Frau zu sein? Am Schluss zählen immer die sachlichen Argumente. Aber be-sonders auf der internationalen Bühne erlebte ich es oft, dass ich mit meiner Art eine schwierige Situation entkrampfen und so zur Lösungsfindung beitragen konnte.

Am Samstag waren Sie zu Gast beim Frauenparlament in Schwyz. Welchen Tipp geben Sie den Frauen mit auf den Weg? Politik macht Spass! Man kann so viel beeinflussen und verändern! Frauen sollen für ihre Werte und Überzeugungen einstehen, authentisch bleiben. Und man muss sich bewusst sein, dass man es nie allen recht machen kann.

Wo stehen wir heute beim Thema Frauen und Politik?

Na ja, im Schwyzer Kantonsrat ist die Frauenvertretung sicherlich noch nicht optimal … Aber auf nationaler Ebene gab es mit den letzten Nationalratswahlen einen rechten Schub. Auf der Exekutivebene allerdings ist eher ein Rückschritt zu beobachten.

Warum?

Für viele Frauen ist der Einstieg in die Politik einfacher, wenn sie das Mandat in Teilzeit ausüben können – zum Beispiel in einem Parlament. Aber als Regierungsoder Bundesrätin braucht es einen 100-Prozent-Einsatz oder meist gar mehr. Auch sind die Hürden für die Frauen oft sehr hoch: Es wird erwartet, dass man die politische Ochsentour absolviert hat, bevor man überhaupt von der Partei beachtet wird.

Was muss sich ändern?

Es müssen Kompetenzen geschätzt werden, die nicht der klassischen politischen Laufbahn entsprechen. Auch Quereinsteigerinnen etwa aus der Wirtschaft sollen eine Chance erhalten. Frauen bringen aus ihrer Familienphase oder von der Freiwilligenarbeit her so viele Erfahrungen mit, das muss stärker berücksichtigt werden. Und dann liegt es auch an den Frau-en selbst, ein politisches Amt annehmen zu wollen. Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen – und trotzdem werden nur wenige Kandidatinnen gewählt. Mangelt es unter den Frauen an Solidarität? Ja, das ist leider so. Es war für mich manchmal ernüchternd, zu beobachten, dass Frauen nicht unbedingt Frauen wählen. Im Gegenteil: Frauen beurteilen Kandidatinnen oft viel kritischer. Es gibt noch viele Vorurteile, etwa die Vorstellung, dass Frauen lieber daheim bei ihren kleinen Kindern bleiben sollten, anstatt für den Kantonsrat zu kandidieren. Wenn Frauen wollen, dass Frauenanliegen mehr berücksichtigt werden, dass die Chancengleichheit wirklich verbessert wird, dann haben es die Frau-en ein Stück weit auch selbst in der Hand.

Keine der drei aktuellen Bundesrätinnen ist selbst Mutter. Wäre dieser Job mit Kindern überhaupt zu schaffen? Sicher, das ist machbar. Alain Berset etwa hat noch kleinere Kinder. Wenn Väter das können, können das auch Mütter! Es ist eine Frage der Organisation, man muss den richtigen Partner und ein Umfeld haben, welche die Kinderbetreuung übernehmen. Aber die Mehrheit der Frauen kann einen solchen Alltag nach wie vor nicht leben. Auch hier denken wir noch zu stark in alten Rollenmodellen.

Für einen kurzen Moment waren die Frauen im Bundesrat in der Mehrheit. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Auffallend war, dass wir uns parteiübergreifend oft sehr schnell sehr einig waren – etwa beim Atomausstieg oder bei Kriegsmaterialgeschäften. Auch die Kinderbetreuung bauten wir in dieser Zeit aus und erhöhten die Gutschriften. Es stand nicht die Frage im Vordergrund, wie wir es finanzieren, sondern wir diskutierten darüber, was wir brauchen, und suchten dann eine Lösung für die Umsetzung. Apropos Abschaltung der Atomkraftwerke: Glauben Sie, dass es bei uns in den nächsten Monaten tatsächlich zu einem Strom-Blackout kommen wird? Ich bin keine Prophetin. Das Stromnetz ist sehr international. Wenn in Norditalien oder im süddeutschen Raum etwas passiert, sind wir sofort auch betroffen. Sekunden entscheiden über eine Abschaltung des Netzes. Bis jetzt war Strom immer sehr günstig, weder für ein KMU noch für Private gab es Anreize, auf alternative Energien zu set-zen. Ich hoffe, dass sich die Situation entspannt und bei den Leuten in dieser Zeit ein Umdenken stattfindet.

Zurück zu den Frauen: Was können sie besser als Männer?

Multitasking. Frauen machen immer zwei, drei Dinge gleichzeitig, das ist unser Alltag. Auch die emotionale Intelligenz kommt den Frauen zugute. Wenn Führungspersonen in der heutigen komplexen Welt mit Empathie ihre Arbeit machen, sind sie erfolgreicher. Darum bin ich überzeugt: Es kommt das Jahrzehnt der Frauen. Aha! Das müssen Sie uns noch etwas genauer erklären! Die heutigen jungen Frauen sind sehr gut ausgebildet, sie verwirklichen immer häufiger partnerschaftliche Lebens- und Familienmodelle – und sie wollen sich im Berufsleben engagieren. Deshalb werden wir in der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Politik in den nächsten Jahren noch viel mehr Frau-en sehen.

In der Wirtschaft ist dieser Trend im Moment gut zu beobachten.

Das stimmt. Einerseits schreibt das Aktienrecht vor, dass börsenkotierte Unternehmen in Geschäftsleitungen einen Frauenanteil von zwanzig Prozent und in Verwaltungsräten von dreissig Prozent ausweisen müssen: Das strahlt auf alle aus. Und andererseits ist der aktuelle Arbeitsmarkt ein sehr grosser Treiber: Es herrscht Fachkräftemangel – Frauen sind gesucht. Heute sind Sie in verschiedenen Verwaltungsräten tätig. Vermis-sen Sie die Politik? Ja, manchmal schon, auch wenn die Prozesse in der Politik oft sehr schwerfällig waren. In der Privatwirtschaft kann man viel schneller reagieren. Aber die Diskussion um die neue Axenstrasse zum Beispiel verfolge ich als Beobachterin bis heute. Der Axen zeigt gut, wie stark eine Demokratie auf alle Interessen Rücksicht nehmen muss, aber dadurch auch manches blockiert ist. Nach jahrelangem Kampf gibt es nun keine Einsprachen mehr: Ich mag es den Anwohnern gönnen, dass es jetzt vorwärtsgeht. Die Schwyzer träumen immer noch von einem eigenen Bundesrat …

Für den Bundesrat oder die Bundesrätin selbst hat der eigene Kanton nicht erste Priorität: Man ist für das ganze Land da. Aber für den Heimatkanton ist es eine schöne Sache: Es verschafft eine Visibilität, die man nicht unterschätzen darf. Insofern wünsche ich es auch dem Kanton Schwyz, dass er in den nächsten Jahren eine Persönlichkeit hat, die den Sprung in den Bundesrat schafft. Der Aargau musste ja auch lange Zeit warten … (lacht)

Doris Leuthard: «im Schwyzer Kantonsrat ist die Frauenvertretung sicherlich noch nicht optimal.» Foto: zvg

Share
LATEST NEWS