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«Ich politisiere nicht am Stammtisch»

«Ich politisiere nicht am Stammtisch» «Ich politisiere nicht am Stammtisch»

Andrea Schnellmann wurde von den Leserinnen und Lesern des Einsiedler Anzeigers zur Smalltalkerin des Jahres 2022 gewählt

Die 56-jährige Andrea Schnellmann ist Wirtin im Restaurant Elefant in Einsiedeln: «Ich nehme die Leute, wie sie sind. Wenn man die Gäste mit Freude und Herzlichkeit empfängt, kommen sie wieder.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Herzliche Gratulation zur Wahl der Smalltalkerin des Jahres 2022! Wie kommt das bei Ihnen an, dass Sie ganz oben gelandet sind?

Besten Dank für Ihre Glückwünsche! Ich bin vom Ausgang die-ser Wahl völlig überrascht worden: Ich hätte nie und nimmer gedacht, dass ich die meisten Stimmen bekomme. Dabei waren ja so gute Frauen im Rennen, deren Chancen auf den Sieg ich als viel höher eingestuft habe. Es ist ein schönes Gefühl, die Wahl zur Smalltalkerin des Jahres 2022 geschafft zu haben: Es bedeutet mir viel, weil darin eine grosse Wertschätzung meiner Person und meiner Arbeit zum Ausdruck kommt. Worauf führen Sie Ihre Popularität zurück? Ich bin in Einsiedeln geboren und im Klosterdorf aufgewachsen: Von daher kennen mich viele Leute von nah und fern. Kommt hinzu, dass man als Wirtin naturgemäss mit zahlreichen Gästen in Kontakt kommt. Meine gastronomische Laufbahn habe ich früh gestartet: Bereits mit zwanzig Jahren bin ich im Restaurant Hofstatt in Einsiedeln als Serviertochter im Einsatz gestanden und habe schon damals viele Leute kennengelernt. War Wirtin zu werden ein Mädchentraum von Ihnen? Gar nicht (lacht)! Eigentlich wollte ich vielmehr Coiffeuse werden. Es ist dann aber alles ganz anders gekommen: Ich bin nach einem Jahr in den USA zwecks Sprachaufenthalt nach der Rückkehr im Service gelandet – und habe viel Freude gefunden im Austausch mit den Gästen. So ist dann schnell einmal klar geworden, dass mir das Gastgewerbe sehr behagt und dass ich gerne in diesem Métier arbeite. Worin verbirgt sich das Mysterium einer gut geführten Gaststube?

Das A und O einer guten Führung zeigt sich im Umgang mit den Gästen: Ich nehme die Leute, wie sie sind. Wenn man die Gäste mit Freude und Herzlichkeit empfängt, kommen sie wieder. Man sollte den Leuten aber auch etwas bieten. Deswegen liegen mir auch die Events so am Herzen, die wir in unserem Gasthaus regelmässig anbieten. Welches Publikum strömt in Ihr Restaurant? Jung und alt – ganz vereint: Die jüngsten Gäste sind siebzehn, achtzehn Jahre alt. Mein ältester Gast zählt achtzig Lenze. Es ist die Mischung des Publikums, die das Ganze ausmacht. Auch Bezirksräte sind mitunter Gast in unserem Haus. Den Einbezug des Publikums erachte ich als wichtig und wesentlich: So kochen regelmässig Gäste für Gäste. Am 8. Oktober ist es dann wieder so weit: Drei Männer stehen in der Küche und bereiten ein italienisches Essen zu. Gibt es bei Ihnen noch einen Stammtisch? Ohne Stammtisch geht es gar nicht: Schliesslich ersetzt die-ser den Psychiater (lacht). Die Besucher des Stammtisches re-den über Gott und die Welt. Diskutiert wird über Corona, den Krieg gegen die Ukraine oder die Strommangellage. Natürlich wird auch über Politik debattiert. Wobei ich mich da raushalte: Ich politisiere nicht am Stammtisch. Die Jungen fehlen am Stammtisch: Sie sind kaum an dieser Runde interessiert. Die Leute am Stammtisch, der mittwochs, freitags und sonntags über die Bühne geht, sind in der Regel über fünfzig Jahre alt. Es kommen aber auch immer wieder junge Gäste hinzu, die mit den älteren angeregt diskutieren. Jeder lernt von jedem. Zumeist sind Einheimische am Stammtisch anzutreffen. Aber es ist eine offene Runde: Gerne darf sich auch ein Fremder dazusetzen. Welche Höhe- und Tiefpunkte haben Sie in Ihrem Berufsleben als Gastronomin erlebt? Die Corona-Pandemie hat uns alle auf dem falschen Fuss erwischt. Seither frage ich mich des Öftern: Was mag noch alles auf uns zukommen? Wir ha-ben aber den Kopf wegen Corona nicht hängen lassen und das Restaurant nach Möglichkeit of-fen gelassen – mit Masken- und Zertifikatspflicht. Wir sind trotz Corona gut über die Runden gekommen – dies nicht zuletzt dank der Unterstützung von Vermieter, Kanton und Bund. Wieso findet das Gastgewerbe kaum noch Fachkräfte in der heutigen Zeit? Das frage ich mich auch die ganze Zeit: Wo sind all die Leute hin nach der Corona-Pandemie? Arbeiten die nicht mehr? Liegt es am Lohn oder an den Arbeitszeiten, dass die Leute das Gastgewerbe als Arbeitsstelle mei-den? Dabei handelt es sich um einen überaus schönen, abwechslungsreichen und spannenden Beruf. Nebst meinen bisherigen Aushilfen habe ich nach der Pandemie noch zusätzliches Personal gesucht. Dank Mund-zu-Mund-Propaganda hat es schliesslich geklappt: Neuerdings arbeiten zwei junge Frau-en hier bei mir im Service. Ein Glücksfall: Denn die beiden sind mit viel Freude im Einsatz und passen sehr gut ins bestehende Team. Zudem werde ich von meinem Mann und meinen Kindern in meiner Arbeit unterstützt. Wieso gibt es im Klosterdorf auffällig viele Raucherlokale? Das hat mit dem Kanton Schwyz zu tun: Restaurationsbetriebe haben kantonsweit die Möglichkeit, Raucherräume einzurichten. Ebenso können Betriebe im Kanton Schwyz unter achtzig Quadratmetern Gesamtfläche als Raucherlokale geführt werden. Und weil es im Klosterdorf viele kleine Restaurants gibt, ist dementsprechend die Dichte an Raucherlokalen hierzulande hoch. Auch Nichtraucher sind natürlich herzlich willkommen. Zudem habe ich ein Nichtraucher-Säli für Sitzungen und andere Anlässe.

Müssen Sie die Preise in Ihrem Restaurant erhöhen, weil die Strom- und Heizkosten steigen? Das ist definitiv der Fall – aus mehreren Gründen: Sämtliche Produkte, die wir einkaufen, sind teurer geworden. Auch die gesamten Nebenkosten sind rapide angestiegen. Wir kommen also nicht umhin, die Preise zu erhöhen. Ein konkretes Beispiel: Eine Flasche Bier wird neu 6 Franken – statt wie bis anhin 5.50 Franken kosten. Erwarten Sie Hilfe vom Staat, falls Ihr Betrieb aufgrund der Energieverteuerung in Schieflage geraten würde? Nein, definitiv nicht – die Situation während der Corona-Pandemie war eine andere: Es war ja nicht gut möglich, eine Preissteigerung einfach an die Gäste weiterzugeben, wenn das Restaurant geschlossen war und gar niemand bedient werden konnte. Nun bleibt den Betrieben lei-der keine andere Möglichkeit, als diese Verteuerung an die Gäste weiterzugeben. Unternimmt der Bezirk etwas, um das Lädeli- und Beizensterben im Klosterdorf zu bremsen?

Der Bezirk hat in der schwierigen Pandemiezeit öffentliche Grundstücke als zusätzliche Restaurantplätze gutgeheissen und uns somit im Betrieb unterstützt. In den 80er-Jahren gab es über hundert Restaurants in Einsiedeln – fast jedes zweite Haus im Klosterdorf war ein Restaurant. Heute ist es nicht mehr so. Das Problem liegt an vielen verschiedenen Faktoren: Viel weniger Touristen, das verloren gegangene «Fyroubigbier», das Ausgangsverhalten der Leute, das sich enorm verändert hat, eventuell zu hohe Mieten und so weiter. In welche Richtung sollte sich das Klosterdorf entwickeln? In Einsiedeln ist viel los: Es gibt die Aktion «Hiesigi choched Hiesigs », den Kultursommer, das Musikfest, das Iron Bike Race und natürlich die Fasnacht, die in Einsiedeln einen besonderen Stellenwert hat, um nur einige der zahlreichen Events zu nennen, die im Klosterdorf über die Bühne gehen. Im Bereich des Möglichen versucht der Bezirk Einsiedeln sicher einiges, um das Dorfleben zu stärken und zu bereichern. Könnte der Bezirk etwas dazu beisteuern, das Klosterdorf weiterzuentwickeln?

Die Hauptstrasse für den Verkehr zu sperren, finde ich eine gute Sache: Es wäre schön, eine autofreie Begegnungszone mitten im Klosterdorf zu ha-ben. Es würde sicherlich die Lebensqualität im Klosterdorf steigern, auch wenn man sich erst mal an eine verkehrsfreie Hauptstrasse gewöhnen müsste. Wir haben keine eigenen Parkplätze vor unserem Restaurant: Trotzdem kommen die Leute zu uns. Welche Perspektiven hat das Gastgewerbe im Bezirk Einsiedeln?

In der Zukunft werden die Restaurants in Einsiedeln immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt, die unsererseits wieder neue Ideen und Innovationen hervorbringen (Beispiel Pandemie). Ich bin überzeugt, dass mit einer hohen Qualität im Gastgewerbe Gäste gewonnen und angezogen werden können. Wenn in einer Gaststube eine gute Stimmung herrscht, kommen die Leute. Wohin bewegt sich die Welt?

Der Krieg gegen die Ukraine hat viel Unsicherheit ausgelöst. Man könnte aufgrund des aktuellen Zeitgeistes pessimistisch werden. Ich bin aber nichtsdestotrotz guten Mutes und hoffe, dass schliesslich alles gut kommen mag.

Andrea Schnellmann – mit einem Elefanten aus Kenia: «Die Beiz löst ein besonderes Lebensgefühl aus.» Foto: Magnus Leibundgut

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