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«Menschen nehme ich, wie sie sind; hab für alle ein offenes Ohr»

«Menschen  nehme ich,  wie sie sind;  hab für alle ein offenes Ohr» «Menschen  nehme ich,  wie sie sind;  hab für alle ein offenes Ohr»

Die aus Melsungen in Deutschland stammende und seit 27 Jahren in Willerzell wohnhafte Anke Streichardt übernahm per 1. August die Postenleitung des Polizeipostens Unteriberg. Sie ist seit 1996 bei der Kantonspolizei Schwyz tätig.

KONRAD SCHULER

War der Beruf der Polizistin schon ein Mädchentraum?

Nein, eigentlich «2. Wahl». Ich habe das Abitur gemacht, weil ich nautischer Schiffsoffizier bei der deutschen Handelsmarine werden wollte beziehungsweise das Kapitänspatent angestrebt hatte. Die «Seefahrt» liegt bei uns in der Familie und hat mich schon als Kind fasziniert …, hat leider nicht geklappt, weil ich beim Sehtest durchgefallen war. Dazumal galt auf der Brücke «keine Brille oder Linsen».

Der alternative Berufswunsch ist dann der Polizeidienst gewesen. Ich fand den Beruf, die Arbeit mit und für Menschen sehr spannend und abwechslungsreich, wollte helfen und vielleicht auch etwas bewirken.

Das hat dann aber auch nicht geklappt, weil das in der damaligen Zeit quasi noch in den Kinderschuhen steckte; die Anforderungen für Frauen sind extrem hoch gewesen, mir hats beim 100-Meter-Lauf nicht gereicht, obwohl ich zu der Zeit sportlich sehr aktiv gewesen bin.

Ich war damals sehr enttäuscht, dass die Chancen für Frauen in diesen Berufen praktisch «Null» gewesen sind; irgendwann musste ich aus finanziellen Gründen aufgeben und mich mit einer KV-Lehre begnügen.

Was hat Sie 1996 bewogen, in den Dienst bei der Kantonspolizei Schwyz einzutreten und der Polizeiarbeit treu zu bleiben? Die Kapo SZ suchte damals eine Verwaltungsangestellte für den Stützpunkt Roggenacker in Pfäffikon. Ich war sofort Feuer und Flamme, dachte, wenn ich schon nicht selbst Polizistin sein kann, dann unterstütze ich die Kollegen administrativ und bin so doch «irgendwie dabei». Es waren tolle Jahre als Sekretärin! 2006 gingen dann der Kripo beinahe die Frauen aus, weshalb ich mich spontan als Quereinsteigerin explizit für den Bereich Sexualdelikte beworben habe. Ein Jahr Ausbildung in der Polizeischule Sempach, gleichzeitig praktische Arbeit im Ermittlungsdienst und deliktspezifische Ausbildungen. Es war ein hartes Jahr, aber es hat sich gelohnt! Die Arbeit hauptsächlich mit Kindern und Jugendlichen ist genau das, was ich wollte und aufgrund meiner Natur und Erfahrung auch kann. Aus welchen Gründen haben Sie sich für den Weg quasi als Einzelkämpferin auf dem Polizeiposten Unteriberg entschieden?

So genau weiss ich das eigentlich gar nicht, aber für mich hat alles im Leben einen Grund. Aus einer Reihe von Zufällen hat sich die Gelegenheit dazu ergeben und es lief von Anfang an irgendwie «rund», fühlte sich selbstverständlich, richtig und gut an …, es hat einfach gepasst und geklappt.

Heutzutage gibt es nicht mehr so viele Dorfpolizisten, der Kontakt zwischen der Bevölkerung und der Polizei wird stetig anonymer …, leider, denn so schleicht sich in der Bevölkerung immer mehr die Wahrnehmung ein, dass die Polizei quasi nur noch repressiv tätig ist.

Der Posten Unteriberg muss erhalten bleiben, auch wenn das vielleicht nicht alle Einwohner so sehen. Das Ybrig liegt, wie auch das Muotatal, bezüglich polizeilicher Abdeckung nicht grad um die Ecke. Interventionszeiten sind länger, Polizisten machen ihre Arbeit und gehen wieder. Erfahrungsgemäss nehmen die Bürger aus solchen Gebieten den weiteren Weg zum nächstgrösseren Polizeiposten seltener auf sich, um ihre Anliegen vorbringen zu können. Zumindest der soziale Aspekt bleibt somit häufig auf der Strecke.

Den persönlichen Kontakt mit der Bevölkerung finde ich wichtig und schätze diesen sehr. Dass mir der direkte Bürgerkontakt gefehlt hat, habe ich erst bei meinem zweimonatigen Stage im Februar/ März 2022 auf dem Hauptposten Einsiedeln so richtig realisiert. Das mit der Einzelkämpferin ist für mich neu, aber absolut kein Problem. Ich stelle mich gern der Verantwortung und freue mich drauf, meinen «Rucksack» auspacken zu können. Welches sind Ihre wichtigsten Leitlinien bei der Ausübung der täglichen Polizeiarbeit? Ganz oben auf der Liste stehen gegenseitiger Respekt, die Sache mit dem «wie es in den Wald hinein schallt …», und der gesunde Menschenverstand.

Man muss nicht immer auf seinem (vermeintlichen) Recht bestehen, sondern darf sich ruhig mal Gedanken über Kompromisse machen; tut nicht weh und bietet unter Umständen neue Perspektiven. Viele Situationen können entschärft werden, wenn die Kommunikation stimmt und vernünftige Lösungen gefunden werden können. Das gilt natürlich nicht für alle Lebenslagen beziehungsweise

Delikte!

Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Voraussetzungen, um im Polizeiberuf bestehen

zu können?

Ein gewisses Herzblut sollte man schon für den Beruf haben. Man muss es gern mit Menschen zu tun haben wollen, eine gefestigte Persönlichkeit, mentale Stärke und eine Linie in allem, was man tut, haben.

Eigenschaften wie Empathie, Geduld und Konsequenz zum richtigen Zeitpunkt gehören genauso dazu, wie «mal das Fünfi grad sein lassen» oder ein dickes Fell haben.

Ganz wichtig ist auch das persönliche Umfeld/Familie. Es braucht viel Akzeptanz und oft auch (mentale) Unterstützung, dieser Beruf bringt mehr Lichtund Schattenseiten mit sich als andere. Welches sind Ihre Stärken, die Sie in die Waagschale werfen wollen, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger im Ybrig zu gewinnen? Meine grössten Stärken sind sicher mein offenes, humorvolles, unkompliziertes Naturell, die grundsätzlich positive Lebenseinstellung, vielleicht auch das gesetzte Alter und der erwähnte Rucksack. Ich habe schon viel erlebt und kann da-her die eine oder andere Erfahrung nutzen … Menschen nehme ich, wie sie sind, hab für alle ein offenes Ohr. Mit Vorurteilen kann ich gar nichts anfangen und eine Meinung bilde ich mir grundsätzlich selber. Ich bin für eine sachliche, klare, direkte Kommunikation, um den heissen Brei her-um reden ist nicht mein Ding. Man darf mich alles fragen, aber im Gegenzug die Antwort nicht scheuen. Wenn ich gebraucht werde, bin ich mit vollem Einsatz da, egal wie lange es dauert und/oder wie anstrengend es ist. Wie gut kennen Sie das Ybrig und deren Einwohnerinnen und Einwohner? Welche Kontakte sind bereits vorhanden? Da bekenne ich mich schuldig! Diesbezüglich habe ich noch einiges nachzuholen. Die Gegend kenne ich aber vom Motorradfahren in den letzten 32 Jahren, einigen Besuchen im Skigebiet und von meinen früheren Einkaufstouren im Xavi-Discount. So gut wie in Einsiedeln kenne ich mich im Ybrig noch nicht aus.

Eine Handvoll liebe Menschen kenne ich natürlich aus früheren Zeiten oder sie sind in den letzten Jahren einfach so in mein Leben getreten und geblieben. Seit ich weiss, dass ich den Posten Unteriberg übernehmen werde, sind rein zufällig auch schon nette Bekanntschaften entstanden.

Was erwarten Sie seitens der Behörden und der Bevölkerung? Eine freundliche, offene und klare Kommunikation und, wenn nötig, Kompromissbereitschaft. Mir ist wichtig, möglichst unkompliziert Lösungen zu finden, mit denen alle gut leben können. Natürlich geht dies nur so weit, wie der Rahmen der gesetzlichen Grundlagen es möglich macht. Die Ybriger Bevölkerung gilt allgemein als konservativ und kritisch eingestellt gegenüber staatlichen Instanzen. Wie wollen Sie dem begegnen? Vorgängig sagte ich mal, dass ich mir grundsätzlich selbst eine Meinung bilde; konservativ und kritisch ist nichts Verwerfliches. Wie bei allem kommt es auch dabei auf das gesunde Mass an. Ich lass das mal alles auf mich zukommen. Natürlich habe ich einen gesetzlichen Auftrag, das ist die Basis meiner Arbeit, trotzdem führen viele Wege nach Rom … Sie sind meines Wissens die erste deutsche Staatsbürgerin und die erste Frau, die diese Herausforderung im Ybrig annimmt. Wie gedenken Sie diesem Umstand gerecht zu werden?

Ganz einfach …, ich bin so, wie ich bin und habe auch vor, es zu bleiben. Frau und dazu noch Deutsche spielt gar keine Rolle. Ich werde René nicht ersetzen können, ohne ihn wird es natürlich anders. Aber ich will einen guten Job machen, für die Ybriger da sein und mir ihr Vertrauen erarbeiten. Das Rad muss dabei keinesfalls neu erfunden werden.

Sie haben einen Wunsch offen. Wie lautet dieser?

… für meinen Vorgänger René eine tolle Zeit nach der Kapo Schwyz, für die Ybriger und mich einen guten Start. Okay, das sind jetzt zwei Wünsche.

Was gilt es noch zu sagen?

Ohne die Unterstützung meiner Familie und Freunde hätte ich die letzten 16 Jahre mit der Polizeischule, den ungeregelten Dienstzeiten, Pikett und so weiter nicht geschafft. Sie waren immer da und haben mich auf meinem Weg begleitet, verzichtet, aufgehoben, vorwärts getrieben. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar!

Steckbrief

Name: Streichardt Vorname: Anke Wohnort: Willerzell Jahrgang: 1964 Beruf: Polizistin Hobbies: Reiten, Natur, Werkeln

«Den persönlichen Kontakt mit der Bevölkerung finde ich wichtig und schätze diesen sehr. Dass mir der direkte Bürgerkontakt gefehlt hat, habe ich erst bei meinem zweimonatigen Stage im Februar/März 2022 auf dem Hauptposten Einsiedeln so richtig realisiert.» «Mir ist wichtig, möglichst unkompliziert Lösungen zu finden, mit denen alle gut leben können.

Natürlich geht dies nur so weit, wie der Rahmen der gesetzlichen Grundlagen es möglich macht.» «Ich bin so, wie ich bin und habe auch vor, es zu bleiben. Frau und dazu noch Deutsche spielt gar keine Rolle.

Ich werde René nicht ersetzen können, ohne ihn wird es natürlich anders.»

Anke Streichardt ist seit dem 1. August die neue Leiterin des Polizeipostens in Unteriberg. Foto: zvg

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