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«Man muss sich im Klaren sein, dass man 24 Stunden Polizist ist»

«Man muss sich im Klaren sein, dass man 24 Stunden  Polizist ist» «Man muss sich im Klaren sein, dass man 24 Stunden  Polizist ist»

Der aus Euthal stammende und in Oberiberg wohnhafte 61-jährige René Reichmuth war seit 2002 Postenleiter des Polizeipostens Unteriberg und trat per Ende Juli nach insgesamt 37 Jahren Polizeidienst in Uniform in den vorzeitigen Ruhestand.

KONRAD SCHULER

War der Beruf des Polizisten schon ein Bubentraum?

Nein, eigentlich nicht. Das hat sich im Laufe der Zeit ergeben. Ich bin da einfach hineingewachsen.

Was hat Sie 1985 bewogen, die-sen Beruf anzugehen und so viele Jahre auszuüben? Zwei Langlaufkollegen, welche bei der Stadtpolizei arbeiteten, erzählten jeweils in den Trainingslagern von ihrem Beruf. Einerseits faszinierten mich ihre Erzählungen über die Arbeit und andererseits waren der Stellenwert und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Ausübung des Sportes schon noch höher bewertet als heute. Diese beiden Kollegen animierten mich schliesslich, die Ausbildung zum Polizisten bei der Stadtpolizei Zürich zu beginnen. Ich bin ihnen heute noch dankbar. Als ob es gestern gewesen wäre, erinnere ich mich noch heute ganz genau, wie ich als «Landei» mit dem Zug nach Zürich zur Aufnahmeprüfung gefahren bin. Das Leben in der «grossen» Stadt, ein völliger Gegensatz zu meinem damaligen Leben auf dem Land. Die zweijährige Ausbildung und die ersten Jahre waren natürlich spannend und aufregend. In dieser Zeit lernte ich den Umgang mit Menschen jeglicher Couleurs, jeglicher Ansichten, vom Umgang auf dem Platzspitz oder in der Umgebung des Paradeplatzes kennen. Diese Zeit hat mich sehr geprägt und mir auch die Abgründe, zu welchen Menschen fähig sind, aufgezeigt.

Wie hat sich der Beruf im Laufe der Zeit verändert? Er ist wie viele andere Berufe noch anspruchsvoller geworden. Zudem wurde alles viel professioneller. Konnte man früher noch etwas «hemdsärmelig» arbeiten, ist dies heute kaum mehr möglich. Vieles ist einfach via Checkliste vorgegeben.

Zudem müssen heute jedes Wort und jede Handlung überlegt sein. Überspitzt gesagt, man ist heute der Handykamera auf Verderb und Gedeih ausgeliefert. Zudem hat sich die Gesellschaft in eine zum Teil nicht nachvollziehbare Richtung entwickelt. Wer sucht heute die Schuld vielleicht mal bei sich selber, wenige. Man sucht erstmal beim Gegenüber, sicher nicht bei sich selbst. Falls dann doch etwas hängen bleibt, steht man sofort mit dem Anwalt auf der Schwelle. Auch habe ich mit Angelegenheiten Mühe, wo man schon bei der ersten Begegnung merkt, dass die Polizei als Mittel zum Zweck missbraucht wird, vielfach in Scheidungsverfahren, wo man dem Ex einfach eins auswischen will. Was hat in all den Jahren speziell Freude bereitet? Das sind schon die Momente, wenn ich jemandem helfen konnte, wenn auch vielleicht die Situation traurig war und man vom Gegenüber trotzdem ein ehrliches Danke bekam. Oder nur schon, wenn ich mit dem Polizeifahrzeug vom Ybrig nach Einsiedeln durch die Dörfer gefahren bin und die Kindergärtler oder die Schüler mir freundlich zugewunken haben, war dies immer ein Aufsteller. Was machte Ihnen vor allem Mühe? Das war sicher die Zeit in Zürich mit dem Platzspitz. Da war ich mittendrin und habe das unsägliche Elend der Drogenabhängigen mitbekommen. Einerseits zu sehen, wie tief Menschen in ihrer Sucht im eigenen Dreck versinken und andererseits Menschen diese Not ausnützen und sich an ihnen vergehen. Das war schon eine heftige Zeit.

Dann waren natürlich die letzten beiden Jahre pandemiebedingt sehr schwierig. Welches waren die schwierigsten Einsätze?

Dazu gehörte sicher das Überbringen von Todesnachrichten. Wenn man danach die Wohnung oder das Haus verlassen und hinter sich die Türe geschlossen hat, beschäftigte mich da-nach immer, was das nun für die betroffenen Personen bedeutet. Was lässt man da zurück? Das blieb so bis jetzt zum Schluss. Aus welchen Gründen haben Sie sich für den Weg quasi als Einzelkämpfer auf dem Polizeiposten Unteriberg entschieden? Das war nicht eine Entscheidung von heute auf morgen. Ich habe mich mehrmals mit meinem Vorgänger Fredi Marty und mit Josef Wehrli darüber unterhalten. Es war klar, dass man einen Polizisten mit guter Ortskenntnis oder sogar einen mit Wurzeln aus der Umgebung fürs Ybrig such-te. Zudem schätzte ich die Möglichkeit, dass ich auch als Postenleiter Ybrig immer noch im Hauptposten Einsiedeln Dienst tun konnte.

Wie haben Sie den Spagat zwischen Leben und Wohnen im Ybrig einerseits und Polizeiarbeit in der gleichen Region anderseits gemeistert? In dieser Situation muss man sich schon im Klaren sein, dass man 24 Stunden Polizist ist, gleich ob man die Uniform oder die Privatkleider trägt. Es war zum Teil schon noch speziell. Tat man etwas für einen Verein, so wurde dies zum Teil ausgelegt als «jetzt haben sie noch den Polizisten vorbei geschickt », obwohl es überhaupt nichts mit dem Beruf zu tun hat-te. Es kam auch öfters mal vor, dass man telefonisch spät am Abend kontaktiert wurde oder auch mal jemand vor der Haustüre stand und um Rat fragte. Aber dies tat ich ja jeweils gerne. Ich blieb glaub auch immer der René, als den man mich kannte, gleich ob Freizeit oder Beruf. Wie sagt man so schön, «authentisch» geblieben. Welches waren Ihre wichtigsten Leitlinien bei der Ausübung der täglichen Polizeiarbeit? Mensch sein; dem Gegenüber, gleich wer es ist, gleichwertig begegnen; Vorbild sein; das «Füfi» auch mal grad sein lassen. Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Voraussetzungen, um im Polizeiberuf bestehen zu können?

Ausgeglichenheit verbunden mit einer dicken Haut, ein gewisser Gerechtigkeitssinn, gesundes Selbstbewusstsein (nicht überheblich sein).

Welche Ratschläge würden Sie einem jungen Berufskollegen / einer jungen Berufskollegin mit auf den Weg geben? Fair und ehrlich zum Gegenüber sein. Vorurteile soweit wie möglich nicht aufkommen lassen; sich selber sein. Auch mal den Fünfer gerade sein lassen können! Welches Fazit ziehen Sie insgesamt über Ihr Wirken als Polizist?

Ein zufriedenes! Ich glaube,dass es mir, über die Jahre hinweg gesehen, gut gelungen ist, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Hab ich doch immer wieder mal schöne Rückmeldungen erhalten, auch von Personen, mit denen ich nicht immer nur eitel Sonnenschein hatte.

Was würden Sie aus heutiger Sicht allenfalls anders machen? Im Grossen und Ganzen gesehen eigentlich nichts. Ich konnte einen Beruf ausüben, welcher mich erfüllte und mir auch Spass machte. Zudem möchte ich die Zeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen damals in Zürich, wie auch jetzt bei der Kapo Schwyz, auf keinen Fall missen. Welches sind die Beweggründe, dass Sie mit 61 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand treten? Auch an mir nagt der Zahn der Zeit. Jetzt geht es mir gesundheitlich noch gut, trotzdem merkte ich in letzter Zeit, dass ich nicht mehr so belastbar bin, die Hektik auf der Strasse oder allgemein im Leben mir immer mehr zusetzt. Zudem möchte ich nicht ein Polizist sein, der nur noch im Büro sitzt und den Kollegen auf den Geist geht. Was gedenken Sie mit der frei werdenden Zeit in den kommenden Jahren vermehrt zu tun? Erstmal freue ich mich darauf, ohne Druck von Pikettdienst mich schlafen legen und be-freit in den Tag starten zu können. Einfach René sein … Später möchten meine Frau und ich gerne die eine oder andere Stadt bereisen. Davon sprechen wir schon lange. Sie haben einen Wunsch offen. Wie lautet dieser? Um obiges tun zu können, ganz einfach, gesund und munter bleiben!

Was gilt es noch zu sagen? Natürlich Danke sagen. Einerseits meinen Lieben zu Hause, mussten sie doch ab und zu mal meine Mieslaunigkeit ertragen, wenn ich es nicht geschafft habe, diese im Büro zurückzulassen, anderseits den Kolleginnen und Kollegen bei der Kapo Schwyz, vor allem denjenigen aus Einsiedeln. Den Einwohnern von Unterund Oberiberg sowie Einsiedeln, die mich in meinem Wirken unterstützt und mir geholfen haben.

Steckbrief

Name: Reichmuth Vorname: René Wohnort: Oberiberg Jahrgang: 1961 Beruf: Polizist Hobbies: Sport allgemein, Natur, Lesen, Arbeit am und ums Haus

«Das war sicher die Zeit in Zürich mit dem Platzspitz. Da war ich mittendrin und habe das unsägliche Elend der Drogenabhängigen mitbekommen.» «Es kam auch öfters mal vor, dass man telefonisch spät am Abend kontaktiert wurde oder auch mal jemand vor der Haustüre stand und um Rat fragte. Aber dies tat ich ja jeweils gerne.» «Wenn man danach die Wohnung oder das Haus verlassen und hinter sich die Türe geschlossen hat, beschäftigte mich danach immer, was das nun für die betroffenen Personen bedeutet.»

René Reichmuth verliess Ende Juli seine Stelle als Leiter des Polizeipostens in Unteriberg. Foto: zvg

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