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«Wir können lediglich schlichten, aber nicht selbst richten»

«Wir können lediglich schlichten,  aber nicht selbst richten» «Wir können lediglich schlichten,  aber nicht selbst richten»

Sind sich Vermieter und Mieter nicht einig, kann sich ein Gang vor die Schlichtungsbehörde durchaus lohnen. Viele Differenzen können so ohne Rechtsverfahren bereinigt werden.

VICTOR KÄLIN

Nach 15 Jahren war Ende Juni Schluss: Oliver Reuter gab sein Amt als Sekretär der Einsiedler Schlichtungsbehörde im Mietwesen ab. Im Interview erzählt er von seiner Arbeit und ebenso von seiner Motivation. Geht es in der Schlichtungsbehörde im Mietwesen hauptsächlich um Mieter und Vermieter?

Zu uns kommen ausschliesslich Fälle, welche auf einem Mietverhältnis – einem Mietvertrag – beruhen und zudem muss die Liegenschaft im Bezirk Einsiedeln stehen. Es geht also immer Mieter vs. Vermieter oder umgekehrt. Was sind die häufigsten Streitpunkte?

Klassiker gibt es nicht. Statistisch sind es allerdings die Kündigungen. Danach kommen Mietzinserhöhungen und Mängel am Mietobjekt. Daneben gibt es eine «Schwetti» an Streitpunkten bis hin zu Kleinigkeiten wie zum Beispiel der Nutzungsordnung für Waschmaschinen. Und wann kommt Ihre Schlichtungsbehörde ins Spiel? Das ist unterschiedlich. Zuerst soll der Grundsatz gelten, dass sich die Parteien selber einigen sollen. Falls dies aber nicht mehr möglich erscheint, erst dann soll die Schlichtungsbehörde eingeschaltet werden. Der gesamte Ablauf vor der Schlichtungsstelle ist eher informell, das heisst es kann auch per E-Mail eingegeben werden. Zudem ist auch die Anwesenheit von Anwälten nicht nötig. Die Idee ist einfach, das Streitfälle pragmatisch und ohne Gerichte gelöst werden sollen.

Beim Beschreiten des juristischen Weges ist in erster Instanz die Schlichtungsstelle zwingend vorgeschrieben. Erst danach kann überhaupt eine eigentliche Klage beim Gericht eingereicht werden. Die Gesuche von Mietern oder Vermietern halten sich mit 50 zu 50 ziemlich die Waage.

Wie häufig wird die Schlichtungsbehörde aufgesucht?

Es sind rund 30 Fälle pro Jahr im Schnitt; bei zirka 20 kommt es effektiv zu einer Verhandlung. Die restlichen werden ausserhalb unseres Angebotes geregelt. Wie bereits gesagt, muss die Liegenschaft (egal ob Wohnung oder Geschäft) im Bezirk Einsiedeln liegen. Der Wohnsitz der Parteien ist belanglos und so kann es auch sein, dass der Vermieter aus dem Ausland anreisen muss.

Wie das Wort besagt, versucht Ihre Behörde zu schlichten. Wie erfolgreich ist das möglich? Statistisch gibt es in 65 Prozent der Fälle eine Einigung. Dazu müssen sich die Parteien aber selber bewegen und Kompromisse abschliessen. Denn wie der Name sagt, können wir nur schlichten und nicht richten (wenige Ausnahmen sind allerdings möglich).

Leider gibt es auch immer wieder Fälle, bei denen die eine Partei nur streitorientiert ist und daher sozusagen streiten will. Manchmal geht das soweit, dass dies meiner Meinung nach an Behördenmissbrauch grenzt. Aber schlussendlich basiert dies auf unserem Rechtsverständnis sowie des Anspruchs auf ein «Rechtliches Gehör». Wenn sich die Parteien vor der Schlichtungsbehörde nicht einig werden können: Wie geht es weiter? Es gibt dann eine sogenannte Klagebewilligung. Erst diese Bewilligung berechtigt die Partei, ans Gericht zu gelangen. Das ist zwingend. Wir haben zwar keine Statistik dazu, aber wir schätzen, dass lediglich gegen 20 Prozent der Klagebewilligungen effektiv vor Gericht landen. Denn meist einigt man sich ausserhalb.

Wer führt die Verhandlungen bei der Schlichtungsbehörde? Grundsätzlich wird die Verhandlung vom Präsidenten geführt, welcher zunächst eine Einführung macht und die Eckwerte, den Ablauf … erläutert. Flankiert wird dieser von einem Mieter- sowie einem Vermietervertreter (paritätische Zusammensetzung). Bei uns war es so, dass auch ich mich als Sekretär zu Wort melden durfte.

Nach der Einführung des Präsidenten wird zunächst dem Kläger das Wort erteilt (Plädoyer) und danach darf der Beklagte antworten. Danach gibt es meist eine Diskussion daraus bis hin zur erhofften Einigung. Das Verfahren ist kostenlos und daher ist die Dauer auf maximal eine Stunde angesetzt. Hat der Sekretär ein Stimmoder Entscheidrecht? Wie gesagt, durfte ich mich jederzeit zu Wort melden und ich habe dieses Recht auch jeweils intensiv genutzt. Meist waren wir uns innerhalb der Behörde sowieso einig. Falls aber nicht (bei Entscheid oder Urteilsvorschlag), hatte ich selber kein Stimm- oder Entscheidungsrecht. Denn sonst hätte es Pattsituationen geben können.

Wenn Sie Ihre 15 Jahre als Sekretär zusammenfassen: Haben sich die Streitpunkte inhaltlich verändert? Wird mehr und schneller geklagt, respektive die Schlichtungsbehörde eingeschaltet?

Sehr gute Frage und ich habe mir dazu Gedanken machen müssen. Aber eigentlich hat sich nichts wirklich geändert seitens der streithaften Beteiligten. Was sich aber sehr wohl geändert hat, sind die formaljuristischen Anforderungen, vor allem seit Einführung der neuen Zivilprozessordnung.

Wie sind Sie damals Sekretär geworden? Meiner Meinung nach braucht es drei Kompetenzbereiche: Grundkenntnisse Mietrecht, Grundkenntnisse Zivilprozessordnung sowie kommunikative Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen, zuhören können, Lösungsorientiertheit oder Kompromissbereitschaft. Allerdings muss man nicht zwingend (studierter) Jurist sein, um dieses Mandat ausüben zu können. Im Gegenteil, manchmal kann schlichter Pragmatismus eher von Vorteil sein. Waren Sie persönlich damals oder heute Mieter, Eigentümer oder Vermieter? Früher war ich Mieter. Seit zehn Jahren bin ich Hausbesitzer. Aber Vermieter bin ich nicht. Was hat Sie 15 Jahre lang in dieser Position gehalten? Es war einfach etwas anderes, etwas ausserhalb meiner eigentlichen Tätigkeit. Die Abwechslung war toll. Vor allem aber – und das war mit Abstand am besten – fühlte man sich echt gut, wenn man eine Einigung erzielen konnte. Man hatte das Gefühl, dass man den Parteien effektiv geholfen hatte. Das war jeweils ein tolles Gefühl. War die Tätigkeit aufwendig?

Im Schnitt machte dies rund fünf Prozent aus, also etwa zwei Stunden pro Woche. Und warum haben Sie Ende Juni aufgehört? Nach 15 Jahren ist einfach die Zeit gekommen. Zudem merk-te ich, dass mir das allerletzte Herzblut langsam abhanden kam. Wenn man das realisiert, muss man aufhören. Des Weiteren sind die formaljuristischen Anforderungen höher geworden. Und dies war für mich als Nicht-Jurist zunehmend eine Herausforderung.

Manchmal geht das soweit, dass dies meiner Meinung nach an Behördenmissbrauch grenzt. Das Verfahren ist kostenlos und daher ist die Dauer auf maximal eine Stunde angesetzt.

«Man fühlt sich echt gut, wenn eine Einigung erzielt werden kann»: Oliver Reuter, bis Ende Juni 2022 Sekretär der Schlichtungsbehörde.

Foto: zvg

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