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Gestern vor 120 Jahren sahen viele Schwyzer wohl zum ersten Mal ein Auto

Gestern vor 120 Jahren sahen viele Schwyzer  wohl zum ersten Mal ein Auto Gestern vor 120 Jahren sahen viele Schwyzer  wohl zum ersten Mal ein Auto

«Schnarrende und stinkende Automobile» fuhren durch Rothenthurm.

KARL HORAT

Seit dem 27. Juni 1902, dem Tag, als diese Foto entstand, hat sich viel getan im Dorf Rothenthurm. Das ist auf den ers-ten Blick erkennbar: Viel freies Land und nur wenige Gebäude waren damals vor der Dorfkirche mit dem markanten «Sankt Antonius »-Schriftzug im Ziegeldach zu sehen. Der Fotograf hatte seine Glasplattenkamera wohl etwa vis-a-vis von dem heutigen Café Turm aufgestellt.

Die Hauptstrasse in Rich-tung Altmatt führte noch durch den Torbogen neben dem Letziturm. «Das helle Haus in der Bildmitte ist jenes des Bäckermeisters Theodor Winet», erklärt der Rothenthurmer Lokalhistoriker Albert Marty-Gisler. «Der Anbau daran ist ein Holzschopf. Rechts hinten ist der Bahnhof und ganz rechts der Stall vom Sumpf.» Schon seit zehn Jahren fuhren da die Züge der Südostbahn – noch mit Dampflokomotiven. Was der Fotograf aber im Fokus hatte, war ein Fahrzeug des internationalen Autorennens, das zwei Tage zuvor in Paris gestartet worden war und Wien als Ziel hatte.

Motorisierte Fahrzeuge wurden von den Fuhrhaltern jener Zeit als Bedrohung empfunden. Bis zu besagtem Junitag dürften viele Schwyzer noch nie ein Automobil zu Gesicht bekommen ha-ben. Und die Haltung zum Motorverkehr war auch im Kanton Schwyz – abgesehen von der technikbegeisterten Jugend – durchwegs ablehnend. «Das Unglück beschränkt sich auf das Verkarren eines Hundes» «Die schnarrenden, schnurrenden und stinkenden Automobile haben unsern Kanton passiert. Das durch diese neueste Eselei der modernen Sportswut herbeigeführte Unglück beim Durchfahren unseres Kantons beschränkt sich glücklicherweise nur auf das Verkarren eines kleinen Hundes im Werte von 30 Franken», schrieb der «Einsiedler Anzeiger» am 28. Juni 1902. Wie viele Gefährte die Schlagstrasse hinauf und via Altmatt nach Schindellegi tuckerten, lässt sich nicht mehr eruieren.

In Paris waren am Tag zuvor 110 Fahrer auf allen möglichen Gefährten gestartet, darunter waren viele Adelige wie Henri de Rothschild mit Mercedes. Aber auch Zweiräder und Leichtfahrzeuge, Marke Eigenbau, waren zur Wettfahrt zugelassen.

Viele Fahrzeuge waren schon auf dem ersten Abschnitt we-gen Unfällen oder mit Totalschaden auf der Strecke liegen geblieben. Die erste Etappe führte von Paris nach Belfort, die zweite von Belfort 312 Kilometer durch die Schweiz nach Bregenz, die nächste dann über den Arlberg und durch Österreich nach Wien.

Die Schweiz wollte ihre Etappe wegen der für solche Rennen nicht geeigneten Strassen erst verbieten – dann einigte man sich darauf, die Etappe zu neutralisieren: Das Teilstück von Belfort bis Bregenz zählte nicht fürs Klassement, und das Tempolimit wurde auf 30 Kilo-meter pro Stunde festgesetzt. Aber die ehrgeizigen Rennfahrer gaben trotzdem Gas. Entlang der Strassen in unserer Region war das Rennen, das eigentlich keines war, das grosse Ereignis.

Vor 120 Jahren fuhren gegen hundert Fahrzeuge jeglicher Art auf der Schotterstrasse durch Rothenthurm. Foto: Walker/Art Library

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