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«Die Löhne sind nicht so tief, dass uns deswegen die Leute davonlaufen»

«Die Löhne sind nicht so tief, dass uns  deswegen die Leute davonlaufen» «Die Löhne sind nicht so tief, dass uns  deswegen die Leute davonlaufen»

Verschärft sich beim hiesigen Pflegepersonal ein Notstand? Roger Muther, Co-Präsident von Curaviva Kantonalverband Schwyz, steht Red und Antwort: «Die Heime im Kanton Schwyz geraten unter Druck aus Richtung Zürich, weil dort höhere Löhne bezahlt werden.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie steht es derzeit um die Pflegedienste?

Es herrscht seit geraumer Zeit ein Notstand bei den Pflegediensten, der insbesondere das Fachkräftepersonal betrifft. Ein Mangel bei den Pflegekräften ist in allen Sparten des Gesundheitsbereichs spürbar. Naturgemäss hat die Corona-Pandemie diesen Notstand noch verstärkt: Einige Leute haben eine Pause benötigt und sich eine Auszeit genommen, um sich erholen zu können. Die vergangenen zwei Jahre waren generell eine sehr anspruchsvolle Zeit für die Alters- und Pflegeheime: Die Belastung des Personals hat zugenommen.

Wie würden Sie die Arbeitsbedingungen beim Personal in den Alters- und Pflegeheimen beschreiben? Die Heime im Kanton Schwyz geraten unter Druck aus Richtung Zürich, weil dort höhere Löhne bezahlt werden. Das Image mit den schlechten Löhnen im Pflegebereich kann ich aber grundsätzlich nicht uneingeschränkt bestätigen: Die Löhne sind nicht so tief, dass uns deswegen die Leute davonlaufen. Generell geht es um ein Gesamtpaket, das die Arbeitnehmer zu überzeugen hat. In unserem Heim gibt es zum Beispiel gute Sozialleistungen und sechs Wochen Ferien für alle, ab fünfzig Jahren sind es sogar sieben. Damit kompensieren wir die Umkleidezeit, welche bei uns bis jetzt nicht als Arbeitszeit abgegolten wurde. Generell belasten geteilte Dienste und unregelmässige Arbeitszeiten das Personal. Wesentlich zur Zufriedenheit des Personals trägt bei, wenn ihm Wertschätzung und Anerkennung für die geleistete Arbeit entgegengebracht wird.

Wieso steigen viele Pflegekräfte wieder aus dem Beruf aus?

Nach wie vor arbeiten vorwiegend Frauen in diesem Beruf: Das führt zum Beispiel dazu, dass Mütter aus dem Beruf aussteigen, sobald das Baby da ist. Wir versuchen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, indem wir in unserem Betrieb eine Krippe anbieten, die von einer Kleinkinderzieherin betreut wird. Hinzu kommt, dass ein Berufswechsel in unserer Gesellschaft selbstverständlich geworden ist: Es ist nicht mehr wie früher, als man einen Beruf gelernt und die-sen bis ins Pensionsalter ausgeübt hat. Einige steigen auch aus dem Pflegeberuf aus, weil sie keinen zufriedenstellenden Umgang mit der Belastung finden können. Eine Unterbesetzung beim Personal führt zu einer höheren Belastung der verbleibenden Mitarbeitenden, wenn mehr Arbeit auf weniger Schultern verteilt werden muss.

Wie können Heime Stress und Burnout beim Personal verringern?

Indem an verschiedenen Orten eine Entlastung organisiert wird. Wie bereits erwähnt, könnte eine Kinderbetreuung eingeführt oder ein Materialwart eingestellt werden, der dem Pflegepersonal Arbeit abnimmt. Nicht zu unterschätzen ist die zeitliche Belastung, der das Personal durch das Dokumentieren der Arbeit ausgeliefert ist. Man kann hier dem Personal unter die Arme greifen, indem die Verwaltung einen Teil der anfallenden Schreibarbeiten übernimmt. Auch dienlich ist, wenn man dem Personal eine gewisse Flexibilität bei den Arbeitszeiten und den Freiwünschen einräumt und zum Beispiel einen fixen freien Abend pro Woche für eine Vereinstätigkeit ermöglicht oder Zeit für das Einkaufen berücksichtigt. Hilfreich ist zudem, wenn Gesprächsangebote bestehen, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen, einen Umgang mit belastenden Situationen, wie zum Beispiel dem Sterbeprozess, zu finden.

Aus welchen Gründen verschärft sich der Notstand beim Pflegepersonal in unserer Gesellschaft?

Leider hat die ganze Corona-Pandemie zu einer äusserst negativen und verzerrten Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen beim Pflegepersonal geführt. Dementsprechend hat auch eine Negativspirale eingesetzt mit dem bereits angesprochenen Teufelskreis in Sachen Personalmangel. Ich will aber nicht auch schlecht reden: Es handelt sich schliesslich um einen tollen, erfüllenden Beruf, der einem ganz viele Möglichkeiten bietet. Es gibt Missstände: Diese werden gesehen, deren Beheben in Angriff genommen.

Verdient das Pflegepersonal in der Schweiz zu wenig? Ich glaube, die Löhne des Pflegepersonals sind generell gut in unserem Land. Der Lohn ist allein kein Killerkriterium bei den Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals. Ins Gewicht fällt aller-dings ein Vergleich der Lohnverhältnisse: In den Kantonen existieren beträchtliche Unterschiede bei den Löhnen. Dementsprechend führt dies dazu, dass viele in Regionen abwandern, in denen sie mehr verdienen. Wie wirkt sich die Annahme der Pflegeinitiative auf die Institutionen beziehungsweise auf das Pflegepersonal aus? Generell sind die Erwartungen des Personals nach der Annahme der Pflegeinitiative hoch. Allerdings hängt die Umsetzung derzeit noch in der Luft: Die Ausführungen sind noch nicht definiert. Erst einmal muss das Bundesparlament darüber befinden, bis die Sache vor die Schwyzer Kantonsregierung kommt. Zurzeit steht eine Ausbildungsoffensive im Vordergrund, um mittels Zuschüssen den Fachkräftemangel beheben zu können. Hier ist der entscheidende Punkt, dass es eher an Berufsbildnern man-gelt und nicht unbedingt an Ausbildungsplätzen. Die Einführung der Vier-Tage-Woche, wie sie bereits in vereinzelten Institutionen diskutiert oder eingeführt wird, entspannt aus meiner Sicht die Lage nicht. Die Mitarbeitenden haben den gleichen Lohn bei weniger Präsenzzeit, was den Personalmangel im Heim längerfristig gesehen verstärkt.

Wieso leeren sich seit der Corona- Pandemie die Alters- und Pflegeheime zusehends? Diese Beobachtung ist so nicht ganz korrekt. Einige Heime hat-ten auch während der Pandemiezeit ein volles Haus, und andere haben noch heute freie Betten. Einerseits haben die zum Teil restriktiven Besuchseinschränkungen Senioren abgeschreckt, in ein Heim einzutreten. Andererseits waren viele Arbeitnehmer während des Lockdowns zu Hause und konnten dort ihre Angehörigen betreuen. Generell steht die Frage des «richtigen» Zeitpunkts, wann in ein Heim eingetreten werden soll, im Zentrum. Früher gingen die Senioren früher in ein Heim – auch aus sozialen Gründen, heutzutage gehen die Älteren oftmals erst dann in ein Pflegeheim, wenn sie bereits sehr gebrechlich sind. Wieso wollen immer mehr Leute zu Hause statt im Heim sterben?

Ambulant vor stationär heisst seit geraumer Zeit das Motto. Mit dem Ausbau der ambulanten Leistungen in den vergangenen Jahren, ist das klassische Alters- und Pflegeheim für viele eher an den Schluss der Betreuungskette gerückt. Aus unserer Sicht heisst das neue Schlagwort «ambulär»: Es gilt durchlässige Betreuungsmodelle zu entwickeln und die Vorzüge der ambulanten mit denen der stationären Angebote zu vereinen – ein Stichwort dazu wäre «individuelle Tages- und Nachtstrukturen». Müsste die Ausbildung verstärkt und verbessert werden, um den Fachkräftemangel in der Pflege zu beheben? Die Betriebe müssen Verantwortung übernehmen und in die Ausbildung investieren. Neben den Jungen sollen auch Quereinsteiger motiviert werden, eine Ausbildung in Angriff zu nehmen. Im Moment läuft in der Zentralschweiz zum Beispiel die Kampagne «wiedereinsteigen.ch» und ist unter der breit abgestützten Trägerschaft mit den Gesundheitsverbänden Curaviva Zentralschweiz – Bildung und Spitex Zentralschweiz, Curaviva Weiterbildung, dem SBK Zentralschweiz, dem Berufsbildungsverband Xund sowie den Zentralschweizer Kantonen entstanden. Mit einer zusätzlichen Kampagne will Xund im Auftrag der Zentralschweizer Gesundheitsbetriebe Quereinsteigende zum Einstieg in die Pflege motivieren (siehe «einstieg-pflege.ch»). Ist Sterbehilfe in den Heimen im Kanton Schwyz erlaubt? Das Zürcher Kantonsparlament hat kürzlich entschieden, dass Sterbehilfe-Organisationen Zugang zu allen Heimen im Kanton erhalten sollen. Im Kanton Schwyz gibt es diesbezüglich keinen politischen Vorstoss. Es obliegt den Heimen, die Beihilfe zum Suizid in ihren Leitlinien zu regeln. Wir von Curaviva Schwyz begrüssen diese Lösung und setzen nach wie vor auf eine gute «Palliative Care». Welche Herausforderungen kommen auf Curaviva in der kommenden Zeit zu? Wir führen derzeit eine intensive Diskussion rund um die Einführung des Elektronischen Patientendossiers (EPD). Im Weiteren hoffen wir darauf, dass am 30. Juni der Kantonsrat die Motion «Altern in Würde» (Anpassung der EL-Obergrenze) erheblich erklärt. Und zudem beschäftigt uns weiterhin der Fachkräftemangel und die Ausbildungsoffensive sowie die Revision des Datenschutzgesetzes.

Roger Muther, Co-Präsident von Curaviva Schwyz: «Es gilt durchlässige Betreuungsmodelle zu entwickeln und die Vorzüge der ambulanten mit denen der stationären Angebote zu vereinen.» Foto: zvg

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