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Das Monatsgespräch im Juni

Das Monatsgespräch im Juni Das Monatsgespräch im Juni

Franziska Keller trifft Daniel Kälin, ein hiesiger Business Engineer

Jahrgang: 1970 Bürgerort: Euthal Geburtsort: Einsiedeln Wohnort: Einsiedeln Am Abend des Pfingstmontages klingle ich bei Daniel Kälin. Nach einer herzlichen Begrüssung zeigt er mir als Erstes seine Wohnung, die er seit 20 Jahren zusammen mit seiner Frau Jeannette und seinen Töchtern bewohnt. Auf dem grossen Balkon mit tollem Weitblick erzählt er mir aus seinem bewegten Leben.

Bist du schon zurück aus dem Süden? Ja, tatsächlich, wir waren zum ersten Mal in Scuol, im Unterengadin, sind gewandert und ich habe mir einen heftigen Muskelkater in den Wädli geholt. Die Unterengadiner scheinen sehr innovativ und das Rätoromanische sowie die alten Häuser geben dem Ganzen einen schönen, authentischen Touch, ich war positiv überrascht.

Ein Euthaler und echter Kälin – ein Hiesiger also – sitzt vor mir. Sag, was schätzt du denn in unserer Region?

Mein Vater ist von Euthal, ich selber bin hier im Hotel Schiff aufgewachsen. Grundsätzlich schätze ich, dass wir eine breite Palette an sportlichen und anderen Möglichkeiten haben – Sommer wie Winter. Mir gefällt es, dass ich die Leute von der Schule her kenne und dass wir unsere Kinder immer bedenkenlos zu ihren Freizeitbeschäftigungen losziehen lassen konnten und sie nicht «umecharre» mussten. Hat es dich nie gereizt, auszuwandern – wenigstens in einen anderen Kanton? Eigentlich hätte das schon zu mir gepasst, da ich wirklich viel unterwegs bin, gerne andere Kulturen entdecke und für längere Zeit auch Wochenaufenthalter in Zürich war. Aber mit Familie und meiner Frau Jeannette, auch einer Einsiedlerin, war für uns immer klar, hierzubleiben. Aber wo trifft man dich ausserhalb unserer Bezirksgrenze? Vor allem in Zürich bei der Arbeit. Ich war, wie gesagt, für einige Zeit Wochenaufenthalter in Zürich und hab auch bei den Fussballvereinen Wiedikon und Wollishofen gespielt. Daher habe ich viele gute Freunde vom Fussball her, mit denen ich mich regelmässig treffe und coole Sachen unternehme – im Frühling waren wir zum Heliskiing in Kanada. Zum Heliskiing in Kanada …?

Oh, das hätte ich wohl besser nicht gesagt (lacht), aber es war ein wahnsinniges Erlebnis. Nachdem wir regelmässig zusammen auf den Skipisten unterwegs waren, haben wir beschlossen, einmal etwas Verrücktes zu tun und entschieden uns für Heliskiing. Ein Helikopter fliegt dich dabei mehrmals pro Tag auf den Berg hoch und du kannst den wunderbaren Tiefschnee geniessen. Wie und wo verbringst du deine Freizeit sonst, wenns nicht das Unterengadin oder Kanada ist? Im Frühling spiele ich Tennis, gehe Biken oder zum Golfen. Sehr gerne treffe ich mich auch mit Freunden zum Essen. Du hast vorhin deine Arbeit in Zürich erwähnt – ich habe keine Ahnung, was du arbeitest. Ich habe schon gedacht, dass du das fragst und denke, «Business Engineer» trifft es ganz gut, ist halt englisch, wie fast alles in den grossen Finanzinstituten. Ich bin da in verschiedenen Bereichen tätig: ich kaufe Daten für die Vermögensverwaltung ein, bin zuständig für verschiedene Lieferanten im IT Bereich und kalkuliere regelmässig verschiedene «Business Cases». Es gab da eine Zeit in deinem Leben, als die Daten zweitrangig wurden. Ich ging immer davon aus, dass ich es merke, wenn gesundheit-lich etwas nicht mit mir stimmen sollte; dann bekommt man Schmerzen, Beschwerden, eine Blutung oder ähnliches. Doch das war bei mir nicht so, meinen konstant etwas hohen Blutdruck hatte ich einfach nicht bemerkt. Wir waren auf dem Rückflug aus unseren Ferien und ich spürte Ödeme – Wasser in den Beinen – und dachte mir: da ist etwas nicht gut. Beim Arztbesuch wurde im Blut dann festgestellt, dass meine Nieren nicht mehr richtig funktionieren und bekam die Diagnose, dass sie etwa noch zwei bis drei Monate durchhalten und dann eine sogenannte Ersatztherapie (Blutwäsche oder Transplantation) nötig sei. Nur noch zwei bis drei Monate …

Ich musste zum Nephrologen (Nierenarzt), der mir die richtigen Medikamente verschrieb Foto: Franziska Keller

und stellte die Ernährung um, um meine Niere zu schonen. Was bedeutete, möglichst wenig gesunde Nahrungsmittel zu essen; keine Vollkornprodukte, Milchprodukte, kein Kalium (Nüsse), möglichst Weissbrot – so kann man die Niere schonen. Und so konnte ich trotz 15 bis 20 Prozent Nierenfunktion neun Jahre lang durchhalten.

Als ich dann zur Routineuntersuchung wieder beim Nephrologen war, hiess es eines Tages: «Mit diesen Werten müssten sie eigentlich schon tot sein. Sie müssen sofort zur Dialyse!» Und dann kamst du auf die Warteliste für eine Nierentransplantation.

Ich stand ja bereits neun Jahre lang auf dieser Liste, da aber meine Niere noch so lange mitmachte, war eine Transplantation kein Thema.

Spielt das Alter des Empfängers eine Rolle?

Erste Priorität haben Kinder und Jugendliche. Danach geht es nicht nach Prioritäten, sondern nach einem Punktesystem. Unter anderem ist das HLA-Matching wichtig; also wie gut passt das Organ zu dir? Je besser das Organ passt, desto eher verträgt es der Empfänger. Und wie lange warst du an der Dialyse? Da es ein sehr schleichender Prozess bei mir war, habe ich kaum bemerkt, dass es schlechter geworden war. Als es hiess: «Jetzt aber sofort an die Dialyse! », schlug ich noch vor: «Chömmer nöd no s Wuchenendi abwarte und am Mäntig afange? » Nicht einmal da realisierte ich die Dringlichkeit.

Ich musste dann immer am Montag, Mittwoch und Freitag je vier Stunden zur Dialyse, einer sehr guten Ersatztherapie, bei der die Schadstoffe im Blut rausgewaschen werden.

Insgesamt war ich nur 15 Monate lang an der Dialyse, was sehr kurz ist, vor allem, wenn man eine Niere postmortal, das bedeutet, nach dem Tod eines Menschen, erhält.

Meine Frau Jeannette hätte auch eine Niere spenden können und es auch sofort gemacht, jedoch konnte ich dies nicht annehmen.

An Arbeiten ist da nicht mehr zu denken.

Doch, ich ging morgens zur Wäsche und am Nachmittag zur Arbeit, weil ich mich meist gut fühlte. Unverhofft kam dann das Tele-fon.

Um mein Leben doch irgendwie zu planen, fragte ich jeweils noch, auf welcher Position ich auf der Warteliste stehe. Man kann trotz Dialyse auch in die Ferien und wir verbrachten eine Woche in Mallorca und eine im Südtirol, weil ich auch da zur Blutwäsche gehen konnte, was ein grosses Vertrauensverhältnis voraussetzte.

Als das Telefon dann plötzlich kam, war ich auf dem Tennisplatz, Jeannette holte mich sofort ab und wir fuhren ins Spital. Es gab glücklicherweise keine Abstossung, die Narbe verheilte schön, ich hatte keine Beschwerden – eigentlich eine Musteroperation. Wie geht es dir heute mit der gespendeten Niere? Ich habe keine Einschränkungen mehr. Mir geht es sehr gut. Die kürzliche Abstimmung zum Transplantationsgesetz wurde schweizweit mit 60,2 Prozent angenommen. Was löste dieses Resultat in dir aus? Eine tiefe Zufriedenheit. Wenn ich an meine Zeit und die Begegnungen mit anderen, jüngeren Patienten, an der Dialyse zurückdenke, bin ich extrem froh über dieses Resultat. Betroffene haben nur noch ein halbes Leben, weil sie jeden zweiten Tag an der Dialyse hängen und ab einem gewissen Alter ist es beschwerlicher. Wir reden hier von der Niere, aber es gibt ja noch ganz andere Organe, die gespendet werden. Wenn man bedenkt, dass durch einen Menschen mehreren Menschen wieder ein normales Leben ermöglicht werden kann. In Einsiedeln gab es mehr Nein-Stimmen. Was denkst du, warum entscheiden sich Menschen dagegen?

Ich weiss es nicht, aber hier sind wir halt grundsätzlich etwas konservativer. Vielleicht wissen sie nicht, worum es geht oder es bestehen Ängste, dass man einem Menschen, der noch lebt, ein Organ entnehmen könnte. Ich finde es ganz wichtig, dass über dieses Thema gesprochen wird, bevor ein Mensch im Sterben liegt, denn in diesem Moment kann man gar nicht mehr objektiv entscheiden.

Wenn du in Einsiedeln etwas verändern könntest, was wäre das? Die Infrastruktur finde ich mangelhaft, wir haben noch immer kein Hallenbad und der FC sehnt sich weiter nach einem Kunstrasen. Ich würde verändern wollen, dass die Einsiedler offener werden und einen Weitblick bekommen. Den Einsiedlern fehlt das Visionäre und der Mut, etwas zu ändern. Was ist dir nebst der Gesundheit wichtig im Leben? Natürlich Familie und Freunde. Jeden Tag mit positiver Energie gestalten und geniessen, auch wenn es zur Arbeit geht. Ein dankbarer Blick auf das, was ich habe und zufrieden zu sein mit dem, was ich bin.

Von Franziska Keller

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