Veröffentlicht am

«Unsere Kirche ist in Not»

«Unsere Kirche ist in Not» «Unsere Kirche ist in Not»

Der ukrainische Bischof Bohdan Dzyurakh war am Sonntag Hauptzelebrant im Pontifikalamt der Wallfahrt nach Einsiedeln

«Es wäre angesagt, dass der Papst nach Kiew reisen würde, um ein klares Zeichen der Solidarität zu geben», sagt der ukrainische Bischof Bohdan Dzyurakh, Exarch der griechisch-katholischen Kirche in Deutschland und Skandinavien.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie geht es Ihnen in diesen bewegten Zeiten?

Ich bin einerseits betrübt über die Gesamtlage in diesem Krieg gegen die Ukraine. Andererseits bin ich hoffnungsvoll und zuversichtlich angesichts der Solidarität und des Beistandes, welche die Ukraine weltweit erfährt in diesem Konflikt. Ich glaube ganz fest daran und bin überzeugt, dass das Gute und die Liebe siegen werden – im Zeichen der Auferstehung Christi. Stehen Sie auf der Todesliste von Putin? Wir alle stehen auf der Todesliste von Putin: Ziel seines Angriffes ist es, alle Ukrainer anzugreifen. Schliesslich geht es Putin darum, die Existenz unseres Landes zu vernichten, die Freiheit, Gerechtigkeit, unsere Würde zu untergraben. Nicht umsonst sprechen die internationalen Beobachter angesichts der Kriegsverbrechen in der Ukraine immer lauter von einem Völkermord, den Russland gegen unser Volk begeht.

Sie stammen selber aus der Region um Lemberg. Fallen auch in Galizien Bomben? Der Krieg findet zwar derzeit im Osten der Ukraine statt (Donbass, Luhansk, Mariupol). Aller-dings fallen auch im Westen unseres Landes unentwegt Bomben vom Himmel nieder. Just am Samstag ist Lemberg getroffen worden. Es gibt keinen sicheren Ort in der ganzen Ukraine. Wie geht es der katholischen Kirche in der Ukraine? Unsere Kirche ist in Not. Vor allem im Osten der Ukraine steht sie stark unter Druck. Trotzdem finden Gottesdienste statt, wird Seelsorge betrieben. Im Westen des Landes sind derweil viele Binnenflüchtlinge – etwa sechs Millionen Leute, die ihre Häuser im Osten des Landes verlassen mussten. Mit dem Ausbruch des Krieges sind die ukrainischen Projekte dringender denn je geworden. «Kirche in Not» steht in ständigem Kontakt in der Ukraine und arbeitet auch eng mit den lokalen Kirchen zusammen. Bis Mitte April stellte das Hilfswerk Nothilfe für die Ukraine im Umfang von vier Millionen Franken zur Verfügung. Russland greift die Ukraine an: Wieso ist die Orthodoxie wegen Moskau tief zerstritten? Bei meinen Gesprächen mit den orthodoxen Mitbrüdern sage ich manchmal: Uns trennt nicht die Frage des Glaubens, uns trennen die Sünde und die Politik. Je treuer wir alle dem Evangelium gegenüber bleiben werden, desto leichter wird es zur Verständigung und zur gegenseitigen Wertschätzung kommen. Dieses Prinzip gilt, meiner Meinung nach, für die Beziehungen zwischen allen Kirchen und Konfessionen. Jedenfalls, soll sich die Kirche niemals von den Politikern instrumentalisieren und ausnützen lassen. Die Orthodoxie ist seit Jahren zerstritten. Zwischen dem ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. und Kyrill I. herrscht Eiszeit. Welchen Spielraum gibt es? Ich glaube, es ist die Stunde der Wahrheit gekommen! Der ökumenische Patriarch Bartholomäus I. hat mutig versucht, die Kirche in der Ukraine zu einen und zu heilen. Anstatt sich darüber zu freuen, dass den Millionen von Mitchristen jetzt auch – nach orthodoxer Sicht – der Weg zum Heil ermöglicht wurde, hat man begonnen, Vorwürfe zu machen und Irritation zu zeigen. Deshalb herrscht seit

Skandinavien.

drei Jahren in der Tat eine Eiszeit – ausgelöst durch das Gebaren von Kyrill I., des Patriarchen von Moskau. Wie ist es möglich, dass sich eine Kirche unter die Interessen eines kriegerischen Machthabers unterordnet?

Das ist das Geheimnis des Bösen, das sich nur schwer erklären und begreifen lässt. Wir können nur bedauern, dass es zu solchen Situationen kommt, denn es schadet vor allem der Kirche selbst – und ausserdem kann die Kirche in solchen Umständen nicht ihre prophetische Rolle treu erfüllen. Kyrill legitimiert den Krieg religiös und theologisch: Was bedeutet dies für die Ökumene? Das ist eine sehr schwere Prüfung für die Ökumene. Ziel muss es sein, in einen Dialog zu treten, eine gemeinsame Sprache zu finden. Die Stunde der Auferweckung, in der das Böse verurteilt wird, naht. Es braucht jetzt einen fruchtbaren Dialog im Namen der Wahrheit, der Liebe und der Ehrlichkeit. Die Zeiten eines simulierten Dialogs sind vorbei! Was erwarten Sie von der Vatikan- Diplomatie? Müsste der Papst in Rom mehr unternehmen?

Es bräuchte vor allem einen direkteren Dialog, einen intensive-ren Informationsaustausch zwischen dem Heiligen Stuhl und der katholischen Kirche in der Ukraine. Es wäre angesagt, dass der Papst nach Kiew reisen würde, um ein klares Zeichen der Solidarität zu geben. So wie der Heilige Vater Franziskus bereits im Jahr 2013 nach Lampedusa gereist ist, um sich mit den Migranten, den Opfern zu solidarisieren. Was erwarten Sie nun von Kardinal Kurt Koch?

Es ist schwierig zu sagen, was der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen in solch dramatischen Umständen bewirken könnte. Kardinal Kurt Koch hat selbst, auf die Frage, ob er bereit wäre, nach Moskau zu fahren, vor Kurzem geantwortet: «Wenn sie dort sogar den Heiligen Vater nicht gehört ha-ben, dann desto weniger könnte meine Reise etwas bewirken.» Jedenfalls kennt sich Kurt Koch sehr gut mit der Situation aus und könnte denn auch eine positive Rolle in der Zukunft spielen. Sind Sie selber überrascht worden, dass Putin diesen Krieg gegen die Ukraine angezettelt hat? Nein, das bin ich wahrlich nicht. Es war absehbar, wenn man zurückschaut auf die Geschichte: Im Jahr 2000 hat Putin den Zweiten Tschetschenienkrieg begonnen, im Jahr 2008 den Georgienkrieg gestartet und im Jahr 2014 die Krim besetzt. Wenn einer die eigenen Bürger terrorisiert, muss man sich nicht wundern, wenn er andere Staaten angreift und überfällt. Man sollte sich nicht allzu sehr auf die Person Putin fokussieren und was in seinem Kopf vorgeht: Hauptsache ist, dass das russische Regime fällt.

Was können wir für den Frieden tun – ausser zu beten? Vor allem ist es wichtig, das Beten fortzusetzen. Als gläubige Menschen dürfen wir nicht die Kraft des Gebetes unterschätzen. Dann ist es wichtig, die Wahrheit zu bezeugen und die Propaganda zu durchschauen, weil Propaganda eine Waffe der Massenvernichtung darstellt, wie es einmal Papst Johannes Paul II. ausgedrückt hat. Und drittens: Weiterhin den Betroffenen an der Seite zu stehen und sie zu unterstützen. Ich bin begeistert davon, wie die Schweiz Flüchtlinge aus der Ukraine aufnimmt und wie grosszügig und liebevoll die Menschen mit ihnen umgehen. Letztendlich jeder und jede kann und soll zur Beendigung dieses sinnlosen Krieges und zur Wiederherstellung des Friedens in der Ukraine und somit auch in Europa beitragen. Der Sieg der Ukraine wird eine neue und hoffnungsvolle Perspektive für alle öffnen.

Bischof Bohdan Dzyurakh ist ein Hierarch der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche und Apostolischer Exarch für Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien. Bischof Bohdan war am Sonntag zu Gast im Kloster Einsiedeln. Foto: Magnus Leibundgut

«Wir alle stehen auf der Todesliste von Putin. Ziel seines Angriffes ist es, alle Ukrainer anzugreifen.» «Wenn einer die eigenen Bürger terrorisiert, muss man sich nicht wundern, wenn er andere Staaten angreift.»

Share
LATEST NEWS