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«Wir sind noch weiter von der Hektik entfernt»

«Wir sind noch weiter von der Hektik entfernt» «Wir sind noch weiter von der Hektik entfernt»

Interview mit dem früheren Euthaler Norbert Kälin über seine sportlichen Töchter – und über das Leben im Engadin

Nadja und Marina Kälin sind zwei Schweizer Kader-Langläuferinnen. Die 20- und 18-jährigen Schwestern, die für Alpina St. Moritz starten und im Engadin leben und dort auch geboren wurden, haben natürlich Einsiedler Wurzeln – wie Vater Norbert Kälin (58, Foto) im Interview erklärt.

WOLFGANG HOLZ

Herr Kälin, ist der Winter in St. Moritz noch immer wunderschön?

Ja, wir haben noch sehr gute Loipen und Skipisten und auch Schnee für Skitouren. Solange eben die Temperaturen über Nacht auf unter –10° sinken, ist es ein Traum, von St. Moritz nach Maloja zu laufen. Wo fahren Sie denn am liebsten Ski?

Im Skigebiet Corviglia, da können wir zu Fuss zur Gondelbahn und sind innert einer halben Stunde schon oben auf dem Berg. Da die meisten Pisten nach Süden ausgerichtet sind und schon früh die Sonne scheint, ist es im Hochwinter im Skigebiet viel wärmer als unten im Schatten. Von der Talabfahrt können wir fast bis zur Haustüre fahren.

Sie wohnen ja schon seit 38 Jahren hier und arbeiten als Schreinermeister. Was hat sich denn in all den Jahren aus Ihrer Sicht am meisten in dem weltberühmten Wintersportort verändert?

Es wurde viel gebaut, im Dorfkern sind einige Hotels und Restaurants umgebaut worden, in mondäne Läden und Luxuswohnungen. Leider wurde in gewissen Dörfern auch einfach geklotzt, um möglichst viel Profit daraus zu schlagen. Wird man zum Wintermensch, wenn man in St. Moritz lebt? Man muss die kalte Jahreszeit lie-ben und nicht das Gefühl haben, man verpasse etwas. Im Frühling, sobald es dann wieder wärmer wird, ist man auch schnell in Chiavenna, meistens fahren wir ein Stück mit dem Velo. In Einsiedeln hatte es diesen Winter auch viel Schnee. Denken Sie manchmal an Ihre frühere Heimat in Euthal zurück? Selbstverständlich, im Ruostel bin ich mit meinen zwei älteren Schwestern aufgewachsen, im Euthal und in Einsiedeln bin ich zur Schule gegangen. Sie stammen ja aus dem Ruostel, und ihr Vater Karl war früher Kirchenpräsident in Euthal und Kirchenrat der Kirchgemeinde Einsiedeln. Erinnern Sie sich noch an diese Zeiten? Ja, an das Ruostel habe ich noch sehr viele Erinnerungen. Als ich in die Primarschule ging, wurde das Gebiet erschlossen und die ersten Ferienhäuschen entstanden. So habe ich schon früh die verschiede nen Berufe gesehen und konnte auf verschiede nen Baustellen auch tatkräftig mithelfen. Auch meinem Vater half ich viel im Haus und im Wald. Bei Heuwetter war auch jede Hilfskraft gefragt. Gibt es etwas, was Sie aus Einsiedeln im mondänen St. Moritz vermissen? Die Nähe zum See und der fast private Badeplatz, mit Surfbrett, Segel oder Ruderboot. Pflegen Sie noch Kontakte in Ihre alte Heimat? Mit meinen beiden Schwestern habe ich wahrscheinlich am meisten Kontakt. Ab und zu habe ich auch noch Kontakt mit den Nachbarn und nahen Verwandten. Auf die Klassentreffen mit alten Schulkameradinnen und Schulkameraden freue ich mich immer wieder. Nicht alle wissen, dass Sie der Vater von Nadja und Marina Kälin sind, von den zwei Schweizer Kader-Langläuferinnen. Beide sind in St. Moritz geboren und aufgewachsen und starten für den SC Alpina. Kommt man im Engadin quasi mit Langlaufskiern auf die Welt? Nein, ganz und gar nicht. Unsere zwei Mädels fuhren zuerst Alpinski, dann probierten sie auch Langlauf aus. Und da im Engadin der Winter sechs Monate dauert, ist es gut, verschiedene Sportarten auszuprobieren. Während der Primarschule gab es in St. Moritz Schülermeisterschaften in den Disziplinen Ski-Alpin, Skispringen und Ski-Nordisch. Wie geht es Nadja zurzeit? Sie hat ja heuer bei der Tour de Ski in Oberstdorf mit dem 19. Platz über 10 Kilometer ihre ersten Weltcuppunkte geholt. 2020 gewann sie in der Staffel Gold bei den Juniorenweltmeisterschaften und bei den nationalen Meisterschaften 2021 schaffte sie zweimal Bronze. Im Moment ist sie wieder einmal zu Hause und erholt sich von den letzten Grossanlässen, Tour de Ski, Olympia in Peking und Junioren-WM in Lygna Norwegen. Und irgendwo steckte sie sich wie viele andere auch noch mit Corona an, zum guten Glück nur mit leichten Symptomen. In Peking startete Nadja im Skiathlon, beim Rennen über 10 Kilometer Klassisch. Sie holte mit ihren Kolleginnen in der Staffel ein olympisches Diplom mit dem 7. Platz. Sind Sie stolz auf Ihre sportlichen Töchter?

Ja, ein gewisser Stolz kommt schon auf, wenn man die Zeitung aufschlägt, und es wird von den guten Leistungen der eigenen Töchter geschrieben. Auch steigt bei mir der Puls merklich, wenn im Fernsehen die Langlaufrennen übertragen werden, und Nadja mitläuft. Fahren Sie auch mal ans Meer?

Das ist fast für jeden Engadiner mit Kindern Pflicht, in den Maiferien fährt das halbe Engadin an die Wärme. Wir genossen so die Maiferien in der nahen Toscana, auf Elba oder auf Sardinien. Natürlich sind wir meis-tens auch sportlich mit den Velos unterwegs. Wenn Sie Einsiedler Bekannte und Freunde von früher grüssen würden – was würden Sie ihnen gerne sagen? Es lässt sich im Engadin genauso gut leben wie in Einsiedeln, wir sind zum Glück einfach noch etwas weiter von der Hektik der Städte entfernt. Und das ist ein Privileg. Ein weiteres Privileg ist einfach die klare Luft und die pure Natur gerade vor der Haustür.

Die beiden Kälin-Sisters Nadja (links) und Marina. Foto: zvg

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