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So weit die Füsse tragen

So weit die Füsse tragen So weit die Füsse tragen

Sandra Kälin, Einsiedelns erfolgreichste Fussballerin aus Willerzell, wurde jüngst 50

Sie ist die erfolgreichste Fussballspielerin, die Einsiedeln bis jetzt hat: Sandra Kälin. Die Willerzellerin feierte vor Kurzem ihren 50. Geburtstag. Die Gelegenheit, auf ihre Karriere zurückzublicken.

WOLFGANG HOLZ

Auf das «Nizza» in Einsiedeln ist auch im November Verlass: Angenehm warm scheint die nachmittägliche Herbstsonne und lässt den Sihlsee bei Willerzell im Hintergrund funkeln. In der Einfahrt vor ihrem Velogeschäft sitzt Sandra Kälin locker auf dem Hocker. Man sieht ihr an, dass sie auch noch mit 50 sehr viel Sport treibt. Nur Fussball spielt sie nicht mehr. Dabei begann ihre Karriere als Profifussballspielerin und Nati-Kickerin ganz in der Nähe.

«Ich habe immer mit den Buben auf dem Schulhof Fussball gespielt», erzählt die Einsiedlerin und lächelt. Im Alter von 13 Jahren ging sie dann über den See zum richtigen Tschuten beim FC Einsiedeln. Dort fasste sie schnell Fuss. Und nachdem es die Klosterdörflerinnen auch dank ihrer Mithilfe 1986/87 geschafft hatten, als Dorfverein in die Nationalliga B aufzusteigen – in die höchste Liga, in welcher der FCE bislang vertreten gewesen ist! –, ging auch der fussballerische Stern von Sandra Kälin so richtig auf.

Nati-Debüt mit 16

Die U21-Nati-Spielerin wurde zu ersten Zusammenzügen für die Schweizer A-Nationalmannschaft aufgeboten. 1988 debütierte sie dann – noch keine 17 Jahre alt – gegen Deutschland in einem EM-Qualifikationsspiel. 0:10 lautete zwar am Ende das frustrierende Resultat. Doch die Willerzellerin liess sich davon nicht schocken. Im Gegenteil.

Denn gerade in Deutschland begann dann ihr zweites Leben. Nachdem sie nämlich bei einem internationalen Fussballturnier in Spreitenbach, bei dem sie als beste Spielerin ausgezeichnet wurde, gespielt hatte, interessierten sich gleich zwei deutsche Damen-Bundesliga-Teams für die Einsiedlerin – die dem FCE bis 1993 die Treue gehalten hat. Die beim «Einsiedler Anzeiger» gelernte Typografin entschied sich danach schliesslich, als 21-Jährige zum TuS Niederkirchen in Süddeutschland zu wechseln – wo auch ihre Nati-Kollegin Sabina Wölbitsch schon unter Vertrag stand. Ein mutiger Entschluss. «Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann habe ich das auch stets durchgezogen – daran konnte mich niemand hindern», sagt Sandra Kälin fast 30 Jahre später und grinst.

Dorfverein als Proficlub Niederkirchen bei Deidesheim in Rheinland-Pfalz ist zwar bis heute nur ein kleines Weindörfchen. Aber in den 90er-Jahren zählte der Dorfverein zur Crème de la Crème des deutschen Damenfussballs. Unmittelbar bevor die Mittelfeldspielerin erstmals auf deutschem Boden kickte, hatte der TuS Niederkirchen als Sieger der Staffel-Süd die Endrunde der deutschen Meisterschaft erreicht. Und mit Sandra Kälin gewann der kleine Klub 1993 dann sogar den Deutschen Supercup gegen den TSV Siegen mit 2:1. Ihr einziger grosser Titel in ihrer Karriere.

«Der Damenfussball befand sich damals in Deutschland auf einem ganz anderen Niveau als in der Schweiz», blickt sie zurück. Nicht zuletzt in Niederkirchen, in der fussballverrückten Pfalz, in der ja auch der legendäre 1. FC Kaiserslautern beheimatet ist. «Heidi Mohr, die damals bei uns spielte, gehörte in dieser Zeit zu den besten Damenfussballerinnen auf der Welt», sagt Kälin. Lebte sich gut in der Pfalz ein

Nicht nur fussballerisch fühlte sich die Schwyzerin an ihrem neuen Domizil wohl – wo sie mit langer Lockenmähne im Team brillierte, wie auf alten Schwarzweiss-Aufnahmen noch zu sehen ist. Sie lebte sich auch menschlich gut ein in der Pfalz: «Die Leute sind dort sehr, sehr offen, man hat schnell Anschluss », schwärmt die 50-Jährige, die sogar Pfälzisch lernte. Wobei sie für heutige Profi-Verhältnisse ein relativ karges Dasein führte. «Die Wohnung wurde mir gezahlt, ausserdem gab es Siegprämien von 50 Mark», erzählt sie. Finanzieren musste sie sich weiterhin von ihrem beruflichen Lohn als Typografin.

Doch Hauptsache sie hatte viel Spass beim Fussballspielen. Und den hatte sie tatsächlich. Denn die zentrale Mid-Fielderin, die ab und zu auch als Stürmerin eingesetzt wurde, avancierte nicht nur zur Stammspielerin beim TuS Niederkirchen – der in den folgenden Jahren aufgrund der starken Konkurrenz der immer grösseren und zahlkräftigeren Vereine in der Deutschen Damen- Bundesliga als «Fahrstuhlmannschaft » zwischendurch immer mal wieder in die 2.Liga abund wieder aufstieg.

Auch in der Nati war sie ein fester Posten. Insgesamt brachte sie es offiziell auf 47 Einsätze und 7 Tore. «Leider haben wir es nie zu einer Endrunde geschafft », bedauert Sandra Kälin. Das sei heute natürlich anders. Die Schweiz gehöre zu den Top 15 der Welt. «Und der Fussball ist sehr viel athletischer und schneller geworden.» Ihr letztes Länderspiel hatte sie 2002 gegen Österreich, das die Schweizerinnen mit 2:1 gewannen. «Als ich ausgewechselt wurde, kam Lara Dickenmann für mich zu ihrem ersten Länderspieleinsatz aufs Feld», erinnert sie sich noch. Eine fussballerische Zeitenwende der ganz persönlichen Art.

Zurück nach Willerzell Und auch nachdem Sandra Kälin mitdemFussball–nacheinemMini- Intermezzo beim FC Malters – 2006 in Niederkirchen aufhörte, blieb sie der Pfalz noch weitere sieben Jahre treu. Aus privaten Gründen. Bis 2013, als sie sich im Alter von 42 Jahren von ihrem langjährigen Lebenspartner trennte. «Es stimmte einfach nicht mehr für mich, und als meine Schwestern mich besuchten und merkten, dass ich nicht mehr glücklich war, kehrte ich nach Willerzell zurück.» Wobei Familie, Heirat und Kinder für sie nie ein Thema gewesen seien. «Vielleicht macht Sport doch auch ein bisschen egoistisch, wenn man immer so viel unterwegs ist», räumt sie ein.

Doch ihre lange, mehr als 20-jährige Fussballkarriere bereut sie im Nachhinein überhaupt nicht. Inzwischen hat sie sich längst wieder in ihrer alten Heimat – in ihrem dritten Leben quasi – eingelebt. Dem Sport ist sie dabei treu geblieben: «Ich gehe Joggen, betreibe Krafttraining und spiele sehr gerne Golf, wie es die Zeit eben so zulässt.» Seit 2014 ist sie erfolgreiche Inhaberin und Geschäftsführerin von «Kälin Velos» in Willerzell, dem Geschäft, das seit 1983 von ihrem Vater betrieben worden war. «Ich fühle mich sehr wohl hier. Ich freue mich vor allem auch an der Natur. Ich habe gemerkt, dass ich die Berge doch vermisse.»

Da hatte sie gut lachen: Shakehands zwischen Sandra Kälin als Nati-Captain und Silvia Neid, der deutschen Erfolgsspielerin- und -trainerin, vor einem Länderspiel.

Fotos: Privat/Wolfgang Holz

Seit einigen Jahren betreibt die 50-Jährige ein Velogeschäft im heimischen Willerzell.

Im Fokus der Medien: Sandra Kälin beim TuS Niederkirchen.

«Als ich ausgewechselt wurde, kam Lara Dickenmann für mich zu ihrem ersten Länderspieleinsatz aufs Feld.»

Sandra Kälin, Ex-Fussballerin

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