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Der berufliche Weltenbummler aus Einsiedeln

Der berufliche Weltenbummler  aus Einsiedeln Der berufliche Weltenbummler  aus Einsiedeln

Nigeria, Indonesien, Argentinien oder Australien. Was für viele nach einer spannenden Weltreise klingt, ist für Marco Zehnder Arbeitsalltag. Als Montageleiter für Grossturbinenanlagen bereist er regelmässig die halbe Welt. Nicht selten kommt es dabei zu unvergesslichen Momenten.

MICHAEL ROHRBACH

Marco Zehnder aus Einsiedeln ist ein Mann für grosse Angelegenheiten. Mit seiner eigenen Kleinfirma ZeToConsulting GmbH ist der gelernte Elektromechaniker zuständig für Revisionen und Inspektionen an Grossturbinenanlagen im Ausland. «Ich sehe mich als eine Art Troubleshooter, der defekte oder wartungsanfällige Anlagen wieder zum Laufen bringt», beschreibt Zehnder seine Arbeit. Und die hat es in sich.

«Ein Fehler hätte fatale Auswirkungen» Die Revision einer Turbinenanlage erfordert höchste Konzentration und Genauigkeit. Zuerst bringt ein Lastkran den Rotor – das Herzstück der Anlage – durch teils akrobatische Drehungen in Position. Dabei weist Zehnder den Kranführer mittels Handzeichen durch den gesamten Hebevorgang. Eine perfekte Koordination ist unerlässlich. Schliesslich wiegen die Komponenten zwischen 30 und 70 Tonnen.

«Ein Fehler hätte fatale Auswirkungen », mahnt der Fachmann. Einmal in Position gebracht, beginnt für ihn und sein Hilfsteam die eigentliche Arbeit. Der Rotor wird millimetergenau ausgemessen, gereinigt, geschliffen und anschliessend wieder am Ursprungsort in die Maschine eingesetzt. Präzision ist hierbei sprichwörtlich das Mass aller Dinge. Die Toleranzgrenze beträgt meistens gerade mal 0,06 Millimeter, was der durchschnittlichen Dicke eines menschlichen Haares entspricht. Hinzu kommt, dass die Anlagen manchmal 40 bis 50 Jahre alt sind und die Messung für gewöhnlich von Hand erfolgt. «Bei solchen Anlagen kann man sich nicht immer auf die Elektronik verlassen, sondern muss das Handwerk der alten Mechanik beherrschen», erklärt der Einsiedler. Den grössten Fokus legt er stets auf die Arbeitssicherheit. Mit gutem Grund. Die Anlagen werden mit bis zu 600 Grad heissem Dampf betrieben, der unter hohem Druck steht. Unfälle können bei solchen Temperaturen tödlich enden.

Krokodile und Kakerlaken Seine Auslandeinsätze führten Zehnder schon häufig an Orte fernab jeglicher Zivilisation. Wie in Nigeria, wo sich die Anlage inmitten des Dschungels befand, Krokodile im benachbarten Wasserbecken inklusive. Oder in Algerien, wo er in einem gefängnisähnlichen Gebäude logierte. Mit Gitterstäben an den Fenstern und Kakerlaken in der Küche. Die Fahrt zur Anlage erfolgte zu seiner Sicherheit in Begleitung einer bewaffneten Eskorte. Doch kein Einsatz war spezieller als derjenige in Japan. Schon nur aufgrund der besonderen Kultur und Sprachbarrieren: «Selbst mit Handsprache war die Verständigung schwierig », sagt der Weltenbummler in Berufssachen. Viel mehr Berufung als Beruf

Sein Beruf liegt ihm im Blut. Schon seit jungen Jahren zieht es den heute 40-Jährigen in die Welt hinaus. Geboren und aufgewachsen in der Stadt Zürich, erlernte er die «Mechanik der alten Schule», wie er es gerne nennt, in einem Kleinbetrieb in Zürich-Altstetten. Der Grossmaschinenbau faszinierte Marco Zehnder schon damals. Der Berufsweg führte ihn über einen Kleinbetrieb im Kanton Aargau – wo er sich viel seines heutigen Wissens aneignete – bis zum Grosskonzern Alstom (ehemals ABB).

2014 wagt er den Sprung ins Ausland. Mit dem wichtigsten Hab und Gut bricht er in einem Kleinbus nach Portugal auf, wo er sich als Surflehrer an der portugiesischen Atlantikküste probiert. Doch das Abenteuer findet bereits nach zehn Monaten sein frühes Ende. «Leider entsprachen die Zustände im Surfcamp nicht dem, was ich mir vorstellte», erklärt Marco Zehnder. Er strandet wieder in der Schweiz. In einem Backpackerhotel in Braunwald findet er kurzerhand eine saisonale Anstellung als Koch: «Ich musste mir praktisch über Nacht mittels Internet die Zubereitung von Cordon- bleus beibringen.» Im darauffolgenden Frühling 2015 verschlägt es ihn schliesslich nach Einsiedeln, von wo aus er den Schritt in die Selbstständigkeit wagt. Heute lebt Zehnder zusammen mit seiner Frau und reist mehrmals im Jahr für Einsätze ins Ausland. Sein Beruf ist deshalb viel mehr seine Berufung: «Dass ich mein Hobby mit meiner Arbeit verbinden kann, bereitet mir grosse Freude».

Das nächste Grossprojekt steht kurz bevor In Zeiten der Corona-Pandemie sind Marco Zehnders Auslandeinsätze deutlich umständlicher: «Manchmal werden über Monate geplante Projekte von einem auf den anderen Tag abgesagt oder verschoben. Eine Planungssicherheit ist mittlerweile fast unmöglich.» Zu Beginn der Pandemie 2020 sind ihm Aufträge für ein halbes Jahr gestrichen worden. «Diese Zeit war anspruchsvoll, ich musste improvisieren. » Fündig geworden ist er bei einer heimischen Firma in Einsiedeln, die im Spezialbau tätig ist und ihm eine temporäre Arbeit ermöglicht. Mittlerweile zieht das Grossturbinengeschäft wieder an. Der nächste Grossauftrag erwartet ihn 2022 in Australien. Doch zuerst steht ein privates Grossprojekt bevor, auf das er sich am meisten freut. Die Geburt seines ersten Sohnes im Herbst 2021. «Auch hier ist Planung und Koordination erforderlich, aber immerhin kann ich mich dabei auf ein eingespieltes Team verlassen», meint Marco Zehnder mit einem Augenzwinkern.

Marco Zehnder: «Ich sehe mich als eine Art Troubleshooter, der defekte oder wartungsanfällige Anlagen wieder zum Laufen bringt.» Fotos: zvg

Es ist offensichtlich: Grossturbinenanlagen, wie im Hintergrund sichtbar, heissen nicht nur so, sondern sind wirklich gross.

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