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«Der nässeste Juli seit Messbeginn»

«Der nässeste Juli seit Messbeginn» «Der nässeste Juli seit Messbeginn»

Die Starkregen vom Juli haben die Region hart getroffen. Kantonsförster Theo Weber zieht einen Vergleich zum Hochwasser von 2005.

ANDREAS SEEHOLZER

Welche Kosten sind durch die aktuellen Starkregen am Schwyzer Boden entstanden? Schätzungen sind derzeit noch unsicher und schwierig. Beim Unwetter «Norbert» im Jahr 2005 lag die Schadensumme der öffentlichen Hand im Kanton Schwyz bei rund 20 Millionen Franken, jene im privaten Bereich bei rund 70 Millionen. Ohne ins Detail zu gehen, dürften sich die jeweiligen Schadensummen dieses Jahr auf je rund einen Viertel der Schäden von 2005 belaufen. Wo gab es im Kanton Schwyz im Zusammenhang mit den Starkregen der vergangenen Wochen Hangrutsche und Murgänge? Hangrutsche und Murgänge konzentrierten sich auf die Regionen Gersau, Ingenbohl, Schwyz, Lauerz, Alpthal, Rothenthurm, Einsiedeln, Altendorf, Schübelbach, Reichenburg und Wägital, insbesondere in Vorderthal. Wo ist der Kanton Schwyz in Abklärung der Ereignisse? Das Amt für Gewässer, das Amt für Wald und Natur, das Tiefbauamt sowie das Amt für Landwirtschaft arbeiten in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Bezirken, den Wuhrkorporationen, den Flurgenossenschaften und den betroffenen Grundeigentümern intensiv an der Erfassung, Behebung und Analyse der Schäden. Aktuell befinden wir uns noch in der Phase der Sofortund der Instandstellungsmassnahmen. Die Regenerationsmassnahmen werden noch Monate in Anspruch nehmen. Intensiver Regen ist in unserer Region typisch. Was ist aktuell anders? Zum einen folgte auf die zwei bereits regenreichen Monate Mai und Juni ein extrem nasser Juli. Vielerorts wurde im Kanton Schwyz der nässeste Juli seit Messbeginn im Jahr 1864 verzeichnet. Die enormen Wassermengen der Gewitter waren wiederholt von Hagel begleitet, was zu randvollen Bächen, lokalen Überschwemmungen und Seehochwasser führte. Das schwere Gewitter vom 26. Juli zog die grössten Schäden nach sich. Heftige Gewitterregen waren überdurchschnittlich häufig und mit vielen, teils sehr grossen Hagelkörnern durchmischt. Und im Vergleich zum Unwetter von 2005? Im Gegensatz zum Unwetter «Norbert» vom August 2005 war diesmal nicht das ganze Kantonsgebiet, sondern einzelne Regionen betroffen, diese aber teils umso heftiger. Zudem war das ganze Kantonsgebiet im August 2005 vier Tage lang mit intensivem Dauerregen konfrontiert. Dieses Jahr waren es ausschliesslich lokale oder regionale, kurzzeitige Intensivregen. In Deutschland ist es in diesem Zusammenhang zu grösseren Ereignissen gekommen als in der Schweiz. Wo liegt der Unterschied zwischen den beiden Ländern? Bei der verheerenden Hochwasserkatastrophe in Deutschland vom 14. und 15. Juli sind sehr viele Faktoren zusammengekommen: ein extremes Höhentief, welches letztlich zu einem unglaublichen 24-Stunden-Niederschlagswert von über 200 Millimetern führte. Diese enormen Regenmengen fielen auf bereits wassergesättigte Böden. Sämtliches Wasser floss unverzüglich an der Oberfläche ab, was in kürzester Zeit zu einem extremen Anschwellen der Bäche führte.

Weitere wichtige Faktoren waren die Topografie und die Geologie in den Einzugsgebieten der Ahr und der Erft. Im sandigen Untergrund konnten die Bäche stark abtiefen, was zu einer starken Tiefenerosion und einer riesigen Geschiebefracht führte. Beim gleichzeitigen Zusammentreffen so vieler extremer Faktoren sind massive Zerstörungen unvermeidlich. Was kann in Deutschland daraus gelernt werden? Die betroffenen Bundesländer werden aufgrund der diesjährigen Unwetter analysieren müssen, was auf den Ebenen der Prävention, zum Beispiel raumplanerische Massnahmen, baulich- technische und biologische Massnahmen, und bei der Warnung und Vorsorge wie beispielsweise bei der Organisation, Mittelplanung, Einsatzplanung und Ausbildung noch verbessert werden kann. Das werden auch wir im Kanton Schwyz wiederum tun.

Wie ist die Situation durch die geologischen Verhältnisse im Kanton Schwyz beeinflusst? Wir haben auch im Kanton Schwyz teilweise problematische Verhältnisse, vorab in den Flyschgebieten. Anderseits dürfen wir uns glücklich schätzen, dass wir im Kanton mehrheitlich auf relativ stabile geologische Verhältnisse vertrauen können. Bilder von Bächen, welche bei Unwettern mehr als zehn Meter abtiefen, sind bei uns nur sehr lokal denkbar. Welche Rolle spielt der Wald?

Eine sehr wichtige. Nach massiven Waldrodungen in den Schweizer Alpen und in der Folge verheerenden Überschwemmungen schuf die Schweiz bekanntlich im Jahr 1876 ein erstes eidgenössisches Waldgesetz, welches den Gebirgswald einem umfassenden Schutz unterstellte. 1897 wurde die sogenannte «Bundesaufsicht über die Forst- und Wasserbaupolizei » auf die ganze Schweiz ausgedehnt. Man hat also bereits damals den engen Zusammenhang zwischen Wald und Hochwasserschutz erkannt.

Aber wie wirkt der Wald?

Die wichtigen Wirkungen des Waldes in Bezug auf Hochwasser sind sein Wasserspeichervermögen, seine bremsende Wirkung auf die Abflussgeschwindigkeit des Niederschlagswassers sowie die armierende Wirkung des Wurzelwerks. Um diese Wirkungen sicherzustellen, ist die fachgerechte Pflege der Wälder eine wichtige Voraussetzung. Welchen Einfluss hat die Klimaerwärmung?

Mittlerweile ist allgemein bekannt, dass extreme Wetterereignisse in Bezug auf Häufigkeit und Intensität in den vergangenen 30 Jahren markant zugenommen haben. Der Klimawandel ist hier nicht einziger Grund, aber wesentlicher Treiber.

Ist auch künftig vermehrt mit starken Erdbewegungen durch Starkregen zu rechnen? Ja. Klimatologen und Wetterdienste sind sich einig, dass auch in Zukunft mit mehr Stürmen, Starkregen und Hitzewellen zu rechnen ist. Jedoch lässt sich nicht in jedem Einzelfall ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Klima und Extremwetter herstellen. Fest steht aber rein physikalisch, dass Extremwetter mit steigenden Temperaturen, wie sie der Klimawandel mit sich bringt, zunehmen. Diese Zunahme ist aktuell in Europa, ja weltweit, einerseits mit Hochwasserextremen und anderseits mit extremer Hitze und riesigen Waldbränden, festzustellen.

Wie ist der Kanton Schwyz auf solche Ereignisse vorbereitet? Der Kanton Schwyz ist gegen solche Ereignisse recht gut gewappnet: Wir verfügen flächendeckend über aktualisierte Gefahrenkarten. Die Gemeinden und Bezirke haben ihre Interventionsmassnahmen laufend verbessert. Bewährt haben sich auch die baulichen Hochwasserschutzmassnahmen sowie die getroffenen Waldpflegemassnahmen. Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Es braucht bei solchen Extremereignissen aber auch immer wieder glückliche Fügungen, damit Unwetter nicht noch weit schwerwiegendere Folgen haben.

Wo können wir ansetzen?

Die Gesellschaft kommt nicht umhin, Naturgefahren als wichtiges Element des Lebensraums zu erkennen, anzunehmen und teils als Ereignis auch zuzulassen. Nach wie vor oberste Priorität kommt dabei raumplanerischen Massnahmen im Bereich der Schadensprävention zu: Gefährliche Hanglagen sind als Bauzonen zu meiden, und der Raumbedarf der Fliessgewässer muss berücksichtigt werden. Ebenso ist es bedeutsam, Überschwemmungsflächen und Abflusskorridore raumplanerisch zu sichern. Das gezielte Fluten der Autobahn A2 zwischen Attinghausen und Seedorf etwa hat sich bereits mehrfach bewährt und Schäden, wie sie etwa 1987 entstanden sind, weitestgehend verhindert.

Ob Wasser oder Feuer: «Naturgefahren erkennen, annehmen und zulassen»: Theo Weber, Vorsteher Amt für Wald und Natur. Foto: zvg

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