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Nicht sehen und nicht hören – eine grosse Herausforderung

Nicht sehen und nicht hören – eine grosse Herausforderung Nicht sehen und nicht hören – eine grosse Herausforderung

Am Sonntag geht der internationale Tag der Taubblindheit über die Bühne. Hörsehbehinderte und taubblinde Menschen haben gemeinsam mit Leuten ohne Behinderung Verhüllungen für Brücken, Denkmäler, Brunnen und Bäume gestrickt. Silvia Föhn aus Einsiedeln hat an dieser Urban-Art-Aktion mitgewirkt.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Am 31. Juli 1955 erblickt Silvia Föhn in Euthal das Licht der Welt. Dieses ist eingeschränkt, denn Silvia Föhn hat eine angeborene Hörsehbehinderung (Glaukom, Grüner Star).

In früheren Zeiten hat man diese Erkrankung bei Kindern oftmals gar nicht registriert. Die Mutter von Silvia Föhn hingegen bemerkt, dass ihre Tochter Mühe mit dem Hören und Sehen hat. Trotzdem kann sie die ersten Jahre die Primarschule in Euthal besuchen, bevor sie an das Heilpädagogische Zentrum Hohenrain wechselt (damals eine Schule für Hörbehinderte) und eine Ausbildung zur Floristin absolviert.

Die Blumen sieht Silvia Föhn mit der Zeit immer weniger gut, die Ausübung ihres Berufes fällt ihr schwer. Unterkriegen lässt sich die heute 65-jährige Einsiedlerin allerdings deswegen nicht: Sie arbeitet von 1981 bis 1997 im Spital Einsiedeln in der Gastronomie und besucht anschliessend die Gestaltungsschule Farbmühle Luzern. Wenn alles im Nebel versinkt

Kunst bedeutet fortan das Lebenselixier von Silvia Föhn: Sie besucht Marmorkurse in Italien, Kurse in Pastellmalerei in Einsiedeln und diverse Kurse in Bildhauerei und Specksteinbearbeitung. Zudem nimmt sie eine Weiterbildung in Ölmalerei in Angriff.

Bald folgen Ausstellungen (Bilder und Skulpturen) in Sursee, Luzern, Basel, Bern und Zürich. Silvia Föhn hat ihr Leben der Kunst verschrieben. Ihr Talent wird entdeckt, ihr Schaffen in Büchern über Kunst gewürdigt. Allerdings nehmen das Augenlicht und das Hörvermögen von Silvia Föhn kontinuierlich ab. Es kommt der Tag, an dem Kunst schaffen für sie nicht mehr in Frage kommt. Es ist, als würde immerzu Nebel herrschen rund um sie herum – oder ein Dampf wie in einer Waschküche.

Aktuell hat Silvia Föhn noch eine Hör- und Sehkapazität von rund acht Prozent. Und auch dieser Rest der Fähigkeit nimmt weiter ab. Es wird eine Zeit kommen, in der die Einsiedlerin erblinden und gehörlos werden wird. Nicht sehen und nicht hören – eine grosse Herausforderung.

Vor Jahren hat Silvia Föhn ihren Lebenspartner kennen gelernt: Klemens Förster ist Heilpädagoge und stammt aus Sachsen. Er ist ihr eine grosse Stütze im Leben. Alleine zu leben würde eine grosse Belastung für Silvia Föhn bedeuten.

Zusätzliche Unterstützung erhält sie vom Schweizerischen Zentralverein für das Blindenwesen (SZBLIND). Er stellt ihr freiwillige Begleitpersonen zur Seite und bietet für hörsehbehinderte Menschen ein Bildungsund Freizeitprogramm an.

Mit heiterer Gelassenheit Dank der Technik (Hörgeräte, Computerprogramme, Cochlea-Implantat) wird das Leben im Alltag erleichtert. Ringleitungen unterstützen die Akustik und sind eine grosse Hilfe für Menschen mit Hörbehinderungen. In allen Räumlichkeiten mit Ringleitungen können sie klar hören, da der Ton aus dem Mikrofon oder der Beschallungsanlage über eine Induktionsschleife direkt auf ihr Hörgerät übertragen wird.

Aber nicht nur die Technik hilft: Silvia Föhn hat viel ins Lernen der Brailleschrift investiert und hat ein Lehrbuch zum Lormen und für Haptische Zeichen mit entwickelt. Es ist ihr ein Anliegen, die Kommunikation unter Hörsehbehinderten zu erleichtern.

Es kam bis vor Kurzem noch vor, dass Silvia Föhn alleine in den Coop in Einsiedeln einkaufen ging oder auf den Bahnhof, um einen Zug zu besteigen. Die Leute im Klosterdorf seien sehr hilfsbereit, findet Silvia Föhn und lacht: Ihr fröhliches Wesen ist ansteckend, die 65-Jährige verbreitet eine heitere Gelassenheit im Raum.

Gelassen nimmt Silvia Föhn alles auf sich, was auf sie zukommen mag. Es wird Tag für Tag dunkler und stiller um sie herum. Doch in ihr leuchtet das Licht des Lebens weiter, erklingt eine Melodie, die nur sie zu hören vermag.

Silvia Föhn kann immer noch stricken – einfach mit einer grösseren Stricknadel und einer festeren Wolle.

Silvia Föhn hat ihr Leben der Kunst verschrieben, Skulpturen aus Speckstein und Bilder mit Ölfarben fabriziert. Fotos: Magnus Leibundgut

Silvia Föhn lebt zusammen mit ihrem Partner Klemens Förster in Einsiedeln. Links im Bild: Andrea Eschbach, Verantwortliche Medien beim Schweizerischen Zentralverein für das Blindenwesen (SZBLIND).

In Bellinzona auf der Piazza Nosetto steht ein Baum im Strickkleid, an dem Silvia Föhn anlässlich der Urban-Art-Ausstellung «WOLLEn!» zum Tag der Taubblindheit am 27. Juni mitgearbeitet hat. Foto: zvg

Mit einem speziellen Programm kann Silvia Föhn Texte vergrössern und am Bildschirm lesen.

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