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«Die Einsiedler Imkerei steht am Scheideweg»

«Die Einsiedler Imkerei steht am Scheideweg» «Die Einsiedler Imkerei steht am Scheideweg»

Andreas Senn vom Imkerverein Einsiedeln blickt auf einen harten Winter und einen kalten Frühling zurück: Gegen 70 Prozent der Bienenvölker im Bezirk Einsiedeln sind eingegangen. «Das Insektensterben nimmt dramatisch zu», stellt der 48-jährige Imker aus dem Klosterdorf fest.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Tritt die Varroamilbe im Klosterdorf stärker auf als anderswo?

Nein. In einem Punkt unterscheiden sich die Regionen nicht: Die Varroamilbe wütet überall. Die Sommermonate Juli und August 2020 waren mit Höchsttemperaturen über 30 Grad im Mittelland sehr heiss. Dadurch wurde es für die Imker schwierig, das optimale Zeitfenster für die Ameisensäure-Behandlung ihrer Bienen gegen die parasitäre Varroamilbe zu finden. Nachdem die Winterverluste seit dem Winter 2016/2017 immer abgenommen hatten, war deshalb ein Anstieg erwartet worden. Dass nun just in Einsiedeln die Verlustzahlen dermassen explodiert sind, hat noch andere Gründe. Was ist ausserordentlich an der Imkerei in Einsiedeln? Die grosse Höhenlage Einsiedelns fällt ins Gewicht: Das Klosterdorf erlebte einen ausgesprochen kalten Winter und Frühling. Ein paar Grad weniger hier als im Unterland haben den Unterschied gemacht: Für das Gedeihen der Bienen war die Witterung im Bezirk Einsiedeln definitiv alles andere als ideal. Ist im ersten Halbjahr 2021 nur ein vorübergehender Ausrutscher nach unten auszumachen, was das Gedeihen der Bienen anbetrifft? Diese Frage kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden. Eine Umfrage bei 1600 Bienenhaltern ergab, dass schweizweit 14,2 Prozent der Bienenvölker den vergangenen Winter nicht überlebt haben (Vorjahr 13,2 Prozent): Damit zeigt sich nach drei Jahren des Rückgangs wieder ein leichter Anstieg bei den Winterverlusten. Hinzu kommen 10,9 Prozent der Völker, die sich nach der Auswinterung nicht zu einem Wirtschaftsvolk entwickeln konnten, was in der Summe einen Verlust von 25,1 Prozent ergibt und dem Vorjahresniveau entspricht. Gibt es eine Umkehr der Trendentwicklung bei den Winterverlusten?

Ob dieser Anstieg bereits eine Trendumkehr bedeutet, wird sich erst nach den nächsten Wintern zeigen. Aktuelle Gründe könnten das erstmals vermehrte Auftreten des Chronischen Bienenparalyse- Virus in der Schweiz sein. Auch die zunehmend heisseren Monate Juli und August, welche die korrekte Varroamilben-Behandlung schwierig machen, spielen sicher auch eine zentrale Rolle bei den Winterverlusten. Wieso gibt es diese grossen regionalen Unterschiede? Auffallend sind grosse kantonale Unterschiede im Vergleich mit dem Vorjahr: Die nördlichen Kantone Basel-Stadt/Basel-Landschaft, Jura, Schaffhausen sowie Neuenburg und der Solothurner Jurabogen verzeichnen deutlich geringere Verluste als die Mittellandkantone Aargau, Zug, Zürich und Thurgau oder als das Tessin. Beim Trend über die letzten drei Jahre verzeichnet insbesondere der Kanton Tessin praktisch eine Verdopplung der Verluste von Winter zu Winter, was die lokalen Imker sehr verunsichert. Wie viele Bienen leben im Bezirk Einsiedeln?

Rechnen wir mit 650 Bienenvölkern à 40'000 Bienen, so leben im Sommer 26'000'000 Bienen bei uns. Im Winter leben in einem Volk 5000 Bienen: Also sind es winters gut drei Millionen Bienen.

Wie reagieren die Bienen auf Pestizide in unserer Umwelt? Eine unrühmliche Rolle spielen die Neonicotinoide: Leider sind Neonicotinoide in verschiedenen Pflanzenschutzmitteln enthalten. Es sind sehr starke Nervengifte. Sie werden weltweit insbesondere von den Imkern heftig kritisiert. Neonicotinoide sind für Bienen giftig und gelten als eine der möglichen Ursachen für das nicht erklärbare Bienensterben. Hinzu kommen glyphosathaltige Pestizide wie Roundup, ein Herbizid, das die Bienen schädigt. Pestizide sind in der Einsiedler Landwirtschaft kein grosses Thema, weil hier kaum Acker- oder Obstbau betrieben wird. Dann spielt die hiesige Landwirtschaft keine Rolle für das Gedeihen der Bienen? Doch, durchaus: Milch- und Graswirtschaft im Bezirk Einsiedeln hat naturgemäss auch seine Tücken, wenn Wiesen häufig gemäht werden und keine Blumen mehr wachsen. Es gibt ja kaum mehr Magerwiesen. Mit dem Zukauf von schweren Traktoren geht eine verhängnisvolle Verdichtung des Bodens einher: Mindestens ein Drittel der Zentralschweizer Böden sind so verdichtet, dass Pflanzen nicht mehr richtig wachsen können. Bienen sind da die leidtragenden Wesen, die auf der Strecke bleiben, weil sie keinen Platz mehr finden in einer intensiven Landwirtschaft. Wieso funktioniert Bestäubung in Städten besser als auf dem Land? Blütenpflanzen werden in Städten besser bestäubt als im Umland. Auf dem Land hat es insgesamt eine grössere Vielfalt an Fluginsekten – in den Städten sorgten aber mehr Bienen und Hummeln für mehr bestäubte Blüten an den Pflanzen. Überhaupt ist die Biodiversität in Städten grösser als man annehmen könnte – sogar grösser als oftmals auf dem Land. In Zürich gibt es viele Gärten mit zahlreichen Blumen, das mögen Bienen sehr. In Zürich leben auch erstaunlich viele Bienenvölker – angesiedelt auf den Dächern über der Stadt. Abgesehen davon leben Bienen gerne in Zürich, weil es dort wärmer ist als etwa in Einsiedeln. Wie können Einsiedler Imker verkraften, dass sie mehr als die Hälfte der Bienenvölker in einem Winter verlieren? Deswegen bricht nicht gleich der Notstand aus: Die Imker züchten Königinnen und bauen mit diesen neue Völker auf. Auf diese Art und Weise können die Winterverluste recht schnell wieder kompensiert werden. Was allerdings ins Gewicht fällt, als Folge der Winterverluste, ist eine empfindliche Einbusse bei der Honigernte. Mitte Juli findet in der Regel die Honigernte statt. Heuer wird sie kärglich ausfallen. Nicht nur, weil viele Bienenvölker eingegangen sind, sondern auch weil in diesem Frühling und Frühsommer die Bienen viel weniger Nektar gesammelt haben als üblich. Könnte es sein, dass die Insekten dereinst aussterben? Dass sich die Insekten weltweit auf dem Rückzug befinden, liegt auf der Hand. Wer in den 70eroder 80er-Jahren mit dem Auto unterwegs war, hatte im Sommer im Nu ein Frontfenster voll mit Insekten. Heutzutage verfängt sich kaum mehr einmal ein einziges Insekt im Fenster. Oftmals sind Insekten auf eine einzige Pflanzenart spezialisiert – zum Beispiel auf den Natternkopf. Stirbt nun der Natternkopf aus, geht es auch dem Insekt an den Kragen. Das Insektensterben nimmt denn dramatisch zu. Was wären die Folgen, falls die Insekten aussterben würden? Die Folgen wären naturgemäss verheerend. Das Aussterben der Insekten ist im Zusammenhang mit dem weltweiten Artenschwinden von Tieren und Pflanzen zu betrachten. Alles hängt mit allem zusammen. Alles Leben auf unserem Planeten ist ein einziger Kreislauf. Nur schon für die Vögel wäre ein Aussterben der Insekten eine Katastrophe: Viele Vögel ernähren sich ja hauptsächlich von Insekten. Was wären die Folgen, falls es keine Bienen mehr geben würde? Es gäbe keine Früchte, kein Obst mehr. Die Bestäubung der Blüten durch Bienen an den Obstbäumen würde vollends ausfallen. Man kann versuchen, die Arbeit der Bienen mit Handarbeit von Menschen zu ersetzen: In der chinesischen Region Sichuan wurden durch Pestizide fast alle Insekten getötet. Die Bestäubung der Obstbäume übernehmen dort billige Arbeitskräfte. Was machen Imker im Frühling und im Sommer? Im April und Mai müssen die Bienenstöcke auf Vordermann gebracht, ausgebüxte Völker eingesammelt und Jungvölker für das nächste Jahr vorbereitet werden. Im Hochsommer steht die Honigernte auf dem Programm. Im Spätsommer findet eine Ameisensäure- Behandlung der Bienen gegen die parasitäre Varroamilbe statt. Im Herbst werden die Waben ausgebessert. In der Weihnachtszeit wird noch einmal die Varroamilbe bekämpft. Ein Imker arbeitet während zehn Monaten in einem Jahr. Wie finden die Honigsammler den Weg zum besten Futterplatz?

Dank eines Tanzes: Die Bienen kommunizieren mit dem Schwänzeltanz auf faszinierende Art und Weise den anderen, wo der Weg zum besten Futterplatz hinführt. Die Bienen fliegen maximal in einem Umkreis von fünf Kilometern um ihren Bienenstock herum. Wie sehen Sie die Perspektiven für das Imkerwesen? Die Bienen werden nicht aussterben: Da bin ich durchaus recht optimistisch. Das liegt eben auch daran, dass Imker gut zu den Bienen schauen. Allerdings steht die Einsiedler Imkerei am Scheideweg – aus demografischen Gründen: Der Bienenzüchterverein Einsiedeln ist überaltert. Derzeit hat der Verein noch sechzig Mitglieder. Einige ältere Imker, die viele Bienenvölker hatten, haben den Verein altersbedingt verlassen. Geld vom Staat erhalten die Imker in der Schweiz nicht – im Unterschied zu den Ländern in der EU, wo die Bienenzüchter Subventionen vom Staat erhalten. Das hat damit zu tun, dass es den Imkern hierzulande wichtig erschienen ist, unabhängig bleiben zu können. Wie steht es denn um den Nachwuchs in der Imkerei? Ich bin überrascht und begeistert, wie viele junge Leute die Imkerei entdeckt und Freude am Bienenwesen gefunden haben. Das sind sehr gute Voraussetzungen, dass auch in Zukunft die Imkerei leibt und lebt. Ganze 15 junge Leute sind in den vergangenen Jahren neu zu uns gestossen: Sie sind bereit, viel Zeit, Arbeit und Geld in das Imkern zu investieren. Für den Aufbau eines Bienenvolkes muss man mit Kosten in der Höhe von rund Tausend Franken rechnen. Naturgemäss braucht es auch noch einen geeigneten Platz für das Imkern. Fakt ist: Bienenzüchten ist mehr als ein Hobby, sondern bedeutet einen grossen Dienst für die Allgemeinheit.

Zur Person

ml. Andreas Senn ist am 19. November 1972 in Kestenholz (SO) geboren und aufgewachsen. Er hat eine Ausbildung zum Koch absolviert und im «Bären» in Einsiedeln als Küchenchef gearbeitet. Anschliessend hat Andreas Senn als Coop-Filialleiter unter anderem in Einsiedeln gewirkt. Seit sechs Jahren ist er Geschäftsführer von Holz Boutique, verarbeitet edle Bäume zu Unikaten und fabriziert Stühle, Bänke und Tische. Zu den Hobbys von Andreas Senn gehören Gartenarbeit und Natur. Er hat zusammen mit seiner Partnerin einen Sohn und lebt in Einsiedeln.

Andreas Senn, Mitglied im Bienenzüchterverein Einsiedeln, vor seinem Bienenwagen in Trachslau. Fotos: Magnus Leibundgut

Rarer Honig: Andreas Senn präsentiert eine Bienenwabe – heuer wird die Honigernte kärglich ausfallen.

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