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Das Monatsgespräch im Juni

Das Monatsgespräch im Juni Das Monatsgespräch im Juni

Franziska Keller trifft Thomas Anderes, «Grotzemüller»

Jahrgang: 1969 Bürgerort: Niederbüren SG Geburtsort: Einsiedeln Wohnort: Einsiedeln

Ich besuche den «Grotzemüller» da, wo er müllert: In der alten Mühle, wo seit 335 Jahren das Produkt hergestellt wird, worum wir täglich beten – wie Thomas Anderes selbst betont. Mit einem alten Lift zieht er uns an einem starken Seil durch die verschiedenen Stockwerke, wo er mir die altehrwürdigen Geräte aus den Jahren 1916 und 1942 vorstellt.

Thomas erzählt mir, warum die Leute weniger Weissmehl konsumieren sollten, was ihm wichtig ist, welche Erkenntnis er während der sieben Monate im Ausland gewonnen hat und was er Selina, seiner Tochter, mit auf den Weg geben möchte. Es ist nicht das erste Mal, dass wir beide ins Philosophieren und Debattieren geraten: über Gott und die Welt. Der «Grotzemüller» erzählt offen, ehrlich, direkt – so, wie man ihn kennt und schätzt. Wie sieht dein Tag als «Grotzemüller » aus? Morgens um 7 Uhr gehe ich in die Mühle, schalte die Geräte ein, erledige die anfallenden Arbeiten, das heisst ich muss das Mehl und «Chrüsch» ( Schalenteile) absacken, Kunden bedienen, Ware ausliefern und immer wieder Maschinen warten. Diese sind, da alt und noch nicht hoch technologisiert, gut selber zu reparieren. Welches Getreide vermahlt ihr?

Weizen, Dinkel, Roggen. Alles Getreide ist, wenn möglich, extensiv angebaut oder IPS (Integrierte Produktion Schweiz) angebaut oder Bio. Wir beziehen es in Beinwil (im Säuliamt) oder im Zürcher Oberland – garantiert alles Schweizer Ware. Wie viel Korn verarbeitet ihr im Jahr und welches Mehl verkauft ihr am meisten? Wir verarbeiten rund 400 Tonnen und zumeist Weissmehl. Die Leute essen heutzutage leider lieber helle Ware: Zöpfe, Gipfeli, Weggli, Bürli. Umso heller das Mehl, desto mehr Nebenprodukte gibt es. Von 400 Tonnen ergibt dies etwa 20 Prozent Chrüsch und Futtermehl, das wir den Bauern verkaufen. Dann sind wir beim Thema food waste. Würden alle Leute hin und wieder Vollkorn essen, hätten wir weit weniger Nebenprodukte und würden zudem gesünder essen. Aber natürlich stellen wir das Mehl her, das gewünscht wird.

Eigenartig ist es aber schon, dass die «Mütschli» an der Fasnacht immer gerühmt werden, aber kaum jemand realisiert, dass sie aus Halbweissmehl hergestellt werden. Wer kauft denn sonst Halbweissmehl? Es ist das Mehl, das wir am wenigsten verkaufen.

Wie könnte man die Menschen dazu bringen, gesundes Mehl zu essen? Wenn die Kunden direkt in der Mühle beim Müller das Mehl kaufen, können wir sie auch gut beraten, welches Mehl sie nehmen sollten. Ich kann es bei unseren Führungen nur immer wieder betonen. Aber in den Kochbüchern stehen die Rezepte halt immer mit Weissmehl, obwohl das Produkt auch mit Halbweissmehl tipptopp wäre, sogar Zopf und Kuchen gelingen wunderbar damit und wären dann sogar noch gesünder – denn umso dunkler, desto nahrhafter. Du bist hier in der Grotzenmühle aufgewachsen. War es dir schon als Bub klar, dass du die Mühle einmal übernehmen wirst? Wie alt war der Bub? Mit acht wollte ich das sicher noch nicht. Als ich in der Oberstufe einen Vortrag halten musste, sah ich mal so richtig in alle Arbeitsabläufe rein und versuchte, dies meiner Klasse vorzustellen. Was mir leider nicht gelang, weil der Vortrag grottenschlecht wurde. Aber von diesem Moment an konnte ich mir vorstellen, richtig einzusteigen. Wolltest du beruflich nie etwas anderes machen?

Doch, doch, Stuntman oder Feuerwehrmann (lacht). Bei der Feuerwehr bin ich immerhin gelandet. Ich machte nach der Schule die dreijährige Müllerlehre, dann die Lastwagenprüfung, bevor es ab in die RS ging. Kurz vor meiner Rückkehr kündigte ein Chauffeur bei uns und so lieferte ich daraufhin 28 Jahre lang unsere Ware aus. Du bist ein vielseitig interessierter und auch kritischer Mensch. Welche Themen beschäftigen dich denn so? Aktuelle politische Themen, worüber ich mich gerne mit anderen austausche. Das «Coronazüg» hat mich schon sehr beschäftigt und ich bin extrem froh, dass wir allmählich wieder Licht am Horizont sehen. Einerseits für mich persönlich, dann auch für unseren Betrieb, denn durch die geschlossenen Geschäfte konnten wir natürlich auch weniger Ware verkaufen.

Worüber ärgerst du dich?

Ich bemühe mich, mir nicht zu viel Kummer zu machen und mich aufzuregen. Aber ich ärgere mich immer wieder über allzu komplizierte Arbeitsabläufe, die man einfacher haben könnte, den zu langwierigen Mailverkehr, anstatt den direkten Weg zu gehen und ich schätze Barzahlung, «was zahlt isch, isch zahlt.» Du hast eine Tochter. Was möchtest du ihr auf ihren Weg mitgeben? Dass sie ihren Weg gehen soll und dass ich ihr möglichst viel an Allgemeinbildung, Sozialkompetenz und das Bewusstsein mitgeben kann, mit offenen Sinnen durchs Leben zu gehen. Ich habe sie doch schon so weit gebracht, dass sie inzwischen die Schnecke vom Weg wegräumt, damit sie nicht überfahren wird. Was würdest du in der heutigen Zeit ändern? Ich würde wieder die Urschweiz erfinden – «zrugg zu üsne Wurzle ». Mir fürchtet, dass der Mittelstand kaputt geht und es irgendwann nur noch die Reichen und die Armen gibt. Und ich würde auch nicht für jeden Tür und Tor offenhalten.

Ich selber muss vielleicht lernen, wieder mehr zum Egoisten zu werden – aber auch das ist eigentlich falsch, wir sollten doch sozial sein … Aber ich glaube, dass ich für mich selber und mit meiner Familie mehr Zeit geniessen sollte.

Mühlen mahlen langsam. In welchem allgemeinen Lebensbereich würdest du gerne langsamer mahlen?

Kürzlich sagte einer: «Du musst ja immer erneuern!» Mir scheint eher, jetzt kommen wir wieder in die gute alte Zeit zurück und realisieren, dass es sinnvoll ist, nicht noch mehr Leistung rauszuwürgen, sondern allem seine Zeit zu lassen. Alles braucht seine Zeit. Es gibt ein Sprichwort: «Mühlenwarm macht den Bäcker arm.» Die alten Mühlen mahlen mit 350 Umdrehungen pro Minute wirklich langsam, moderne drehen 650-mal pro Minute.

Schonend gemahlenes Mehl ist wunderbar, was man auch in der Backfähigkeit feststellen kann. Wir kommen wieder zurück in die 50er-Jahre, sind wir mittlerweile ja wieder beim Sauerteigbrot angelangt. In meinen anderen Lebensbereichen lebe ich schon entschleunigt: Wenn ich «go pilzle go», ein Feuer mache und Servelat brätle – meine Auszeit geniesse.

Und spezifisch auf Einsiedeln bezogen? Dass man wieder «guet Tag» und nicht «Grüezi» sagt. Warst du mal in der Fremde? Was hat dich heimgebracht? Als ich 24 Jahre alt war, reiste ich mit Peter sieben Monate lang durch Amerika, Kanada, Alaska, um die Sprache und Kultur kennenzulernen. Wir erstanden einen günstigen, alten Van mit Rostlöchern und nächtigten in einfachen Abstiegen mit Kakerlaken – haben einiges erlebt. Gerne denke ich noch heute an diese Zeit zurück. Als das Geld aus war, musste ich über Weihnachten und Neujahr ein paar Tage schwarzarbeiten, damit ich Geld hatte, um überhaupt Essen und Trinken zu kaufen. Geprägt hat mich von der damaligen Reise, dass es auf der ganzen Welt nette Menschen und «Tuble» gibt. Stell dich mal als alten «Grotzemüller » vor und blick auf dein Leben zurück. Worauf möchtest du schauen können? Hoffentlich nicht auf zwei künstliche Hüftgelenke (lacht wieder). Es ist jetzt schon ein schönes Gefühl, zu sehen, wie viele Einsiedler Produkte aus unserem produzierten Mehl essen. «Gib uns unser tägliches Brot» – Brot kannst du nur backen, wenn das Mehl vorhanden ist. Ich als Müller bin ein Teil davon, was mich zufrieden und glücklich macht.

Foto: Franziska Keller

Von Franziska Keller

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