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«Wir wollen Rehkitze retten»

«Wir wollen Rehkitze retten» «Wir wollen Rehkitze retten»

Erich Kälin aus Bennau und Andreas Schädler aus Einsiedeln beteiligen sich an der Rehkitzrettung 2021

In der Schweiz sterben jährlich mehrere Tausend Rehkitze bei der Grasernte. Mit Verblendfahnen und Multikopter mit Thermalkamera können Rekitze vor den Mähmaschinen gerettet werden. In der Region Einsiedeln überleben dank diesen Methoden jedes Jahr bis zu vierzig Rehkitze.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie kommen Sie zur Rehkitzrettung im Bezirk Einsiedeln – wie die Jungfrau zum Kind? Nicht ganz (lacht): Im Jahr 2013 hat mich der damalige Wildhüter Roger Bisig angerufen. Er suche noch jemanden aus Bennau, der helfen könne, in diesem Viertel Rehkitze aus den Wiesen zu retten, wenn die Bauern das Gras mähen. Während des ersten Einsatzes konnten wir bereits zwei Kitze in einem Feld finden: Das war für mich das Schlüsselerlebnis, mich als Jäger dieser Aufgabe anzunehmen. Mit welchen Mitteln verhindern Sie, dass Rehkitze ab Mai/Juni vermäht werden? Damit möglichst keine Rehkitze Mähmaschinen zum Opfer fallen, «verblenden» wir die gemeldeten Wiesen am Vorabend der Grasernte oder fliegen mit der Drohne am Morgen vor der Mahd. Verblenden bedeutet, die Rehgeiss durch den Einsatz diverser Mittel dazu zu bringen, ihren Nachwuchs aus der betroffenen Wiese in Sicherheit zu bringen. Dies kann man auf verschiedenste Arten machen: Durch Lärmquellen, Gerüche, Blinklichter oder Fahnen. Hauptsächlich verwenden wir dafür Alufahnen, die im Wind Geräusche erzeugen, sowie weisse Tücher in Verbindung mit Geruchsspray. Wieso gebären Rehgeissen ihre Kitze in den Wiesen? Die Rehe setzen ihre Kitze sowohl im Wald wie auch auf der Wiese. Allerdings ist die Gefährdung der Kitze durch das Vermähen im Wald kein Thema. Daher werden sie im Wald auch nicht gesucht und vergrämt. Die Setzzeit des Rehwildes ist hauptsächlich während den Monaten Mai und Juni: Dadurch fällt der erste Grasschnitt oft in die Setzzeit der Rehe. Während der ersten Tage können die Kitze der Mutter noch nicht folgen. Sie bleiben im Gras oder im Feld zurück und werden von der Geiss nur zum Säugen aufgesucht. Kitze sind fast vollkommen geruchlos und haben einen Drückinstinkt, der sie bei Gefahr regungslos an einer Stelle verharren lässt. Dadurch sind sie vor Fressfeinden recht gut geschützt. Umso anfälliger sind sie für den Tod durch die Mähmaschine.

In welchen Situationen kommen Drohnen zum Einsatz? Ergänzend zu den herkömmlichen Methoden sind Drohnen mit Wärmebildkameras zur Optimierung eine sehr effektive Variante. Der Nachteil ist, das die Kosten dafür relativ hoch sind. Um die laufenden Kosten und die zur Anschaffung zusätzlichen Equipments zu decken, haben wir ein Crowdfunding-Projekt gestartet: Das gibt uns die Möglichkeit, das Projekt aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Wir haben elf Drohnenpiloten im Einsatz, die uns unterstützen, wovon zwei unter ihnen selber aktive Jäger vom Jägerverein Einsiedeln sind. Für einen Einsatz mit der Drohne benötigen wir jeweils mindestens drei Personen inklusive Piloten. Der Einsatz muss am frühen Morgen erfolgen, denn sobald die Sonne aufgegangen ist und das Gras sich erwärmt, kann die Wärmebildkamera keinen Kontrast mehr zum Kitz ausmachen.

Wie viele Rehkitze sterben jedes Jahr im Bezirk Einsiedeln durch Vermähen? In der Schweiz sterben jährlich mehrere tausend Rehkitze bei der Grasernte. Wie viele Tiere im Bezirk Einsiedeln betroffen sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Allfällige Rückmeldungen erfolgen jeweils direkt an die Wildhut. Hingegen wissen wir, wie viele Rehkitze wir mit der Drohne retten im Bezirk Einsiedeln: Die Zahl beläuft sich aktuell, je nach Mähzeitpunkt, auf zwanzig bis vierzig Tiere. Viele Tiere werden auch durch Verblendmassnahmen geschützt: Diese kriegen wir nicht zu Gesicht,dadurch kann man die Gesamtzahl nicht nachweisen. Mit welchen jährlichen Kosten rechnen Sie, die aufgrund der Rehkitzrettung entstehen? Wir haben laufende Kosten in der Höhe von zirka 5000 Franken für den Unterhalt der Drohnen und einer symbolischen Entschädigung für die freiwilligen Helfer. Eine vollständig ausgerüstete Drohne kostet rund 9000 Franken. Zusätzlich belaufen sich die Arbeitsstunden der ehrenamtlichen Jäger und Helfer auf mehrere Hundert Stunden. Unsere Passion ist, die Rehkitze zu retten! Werden Sie und Ihre Arbeit vom Bezirk Einsiedeln und vom Kanton Schwyz unterstützt? Das Verbrauchsmaterial wird jeweils durch den Kanton zur Verfügung gestellt. Der Bezirk Einsiedeln hat unser Projekt in der Startphase ebenfalls unterstützt.

Sind die Landwirte bereits ausreichend sensibilisiert oder ist noch Aufklärungsarbeit notwendig?

Wir pflegen eine gute Zusammenarbeit mit den lokalen Landwirten. Festhalten kann man, dass die meisten Landwirte im Bezirk Einsiedeln sich aktiv beteiligen an der Rehkitzrettung. Die Bauern informieren uns regelmässig, wenn sie zur Grasernte antreten und mit den Mähmaschinen im Einsatz stehen. Auf diese Unterstützung sind wir angewiesen und schätzen diese sehr. Wichtig ist, dass die Bauern die zu mähenden Wiesen frühzeitig dem gebietszuständigen Jäger melden oder selbst verblenden. In diesem Sinne ist die Sensibilisierung weit fortgeschritten: Wir halten uns aber bereit für noch mehr Einsätze. Wie ist der Film angekommen, der über Ihre Arbeit gedreht wurde?

Der Lehrfilm über die Rehkitzrettung hatte am 1. April Premiere und vermittelt die notwendigen wildbiologischen Grundlagen des Rehwilds und die Methoden zur Rettung der Rehkitze vor dem Mähtod. Der Film wurde bereits über 5000 Mal angeklickt, wobei über 30 Prozent den Film bis zum Ende geschaut haben. Der Film wurde von Mario Theus von Palorma GmbH realisiert und zeigt eindrücklich auf, wie die Arbeit der Rehkitzrettung vonstatten geht. Wer hat den Anstoss gegeben, dass es zur Rehkitzrettung im Bezirk Einsiedeln gekommen ist? Die Rehkitzrettung hat in der Region eine lange Tradition. Sie wird bereits seit Jahrzehnten durchgeführt. Dadurch wurde auch ein grosses Wissen angesammelt, das auch an jüngere Jäger weitergegeben wurde.

Andreas Schädler (links), Hegeobmann im Jägerverein Einsiedeln, und Erich Kälin sind parat: Auf geht es in die Wiesen und Weiden, in denen sie mit Fahnen das Wild verblenden. Fotos: Magnus Leibundgut

Erich Kälin erklärt, wie mit einer Multikopter-Drohne, an der eine Wärmebildkamera fixiert ist,Wiesen überflogen werden. Auf dem Monitor des Computers sind denn aufgestöberte Rehkitze erkennbar.

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