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«Heiliger Vater, ich nehme die Ernennung an»

«Heiliger Vater, ich nehme die Ernennung an» «Heiliger Vater, ich nehme die Ernennung an»

Bischof Joseph Bonnemain spricht im Interview über Risse im Bistum Chur und wie sie zu heilen sind: Er redet über Kirchenaustritte, Ökumene und über sein Krafttraining.

PIERINA HASSLER FABIO THEUS

Vor vierzig Jahren begann Joseph Maria Bonnemain seine Tätigkeit im Bistum Chur. Jetzt ist er Bischof. Papst Franziskus hatte sich nach der geplatzten Ernennung im November persönlich in die Churer Bischofswahl eingemischt. Mit der Wahl von Bonnemain spreche der Papst Klartext, sagen Insider. Er wolle eine Heilung der offenen Wunden im Bistum Chur. Bischof Joseph ist sich der schwierigen Situation bewusst. Im Interview spricht der 72-Jährige über die tiefen Risse im Bistum. Um sie zu flicken, brauche es Frauen und Männer, die ihm dabei helfen. Bischof Joseph, die Erwartungen an Sie sind sehr hoch. Ist das eher Last oder Herausforderung?

Zu merken, dass im Bistum eine Aufbruchstimmung herrscht, ist eine grosse Freude. Viele sagen, es gäbe wieder Perspektiven. Die Zuversicht wachse. Das war übrigens auch der einzige Grund, weshalb ich ja gesagt habe, als Papst Franziskus mir diese Aufgabe übertragen hat. Die Menschen warten schon zu lange darauf, dass in Chur eine Veränderung stattfindet. Ich erlebe die Freude dieser Menschen. Aber gleichzeitig muss ich mit all den Erwartungen und Wünschen klarkommen. Das setzt mich schon unter Druck, weil mir natürlich klar ist, dass ich das als kleiner Mensch niemals erfüllen kann. Deswegen gebe ich den Ball zurück an jene, die Erwartungen haben. Wenn sie selbst nicht mitmachen und mittragen, können die Erwartungen nicht erfüllt werden.

Im Zusammenhang mit dem neuen Bischof fiel und fällt immer wieder das Wort «Brückenbauer ». Was ist für Sie ein Brückenbauer? Eher der Ingenieur und Chef über die Statik oder der Arbeiter, der die gute Zusammenarbeit sucht? In letzter Zeit habe ich über tausend Gratulationen bekommen. Es war mir leider nicht möglich, alle persönlich und ausführlich zu beantworten. Obwohl ich das sehr gerne gemacht hätte. Sobald ich aber Zeit habe, werde ich es tun. Allerdings habe ich allen eine Karte geschrieben und eine Bibelstelle zitiert: Ich möchte ein Maurer sein und die Risse flicken. Dazu habe ich geschrieben: «Ich brauche aber mehr Maurer, Frauen und Männer, um alle Risse zu flicken.» Sie sprechen Risse an. Wo im Bistum Chur gibt es die grössten Risse?

Ich sehe die tiefsten Risse bei den Seelsorgenden, unter denen es seit Langem eine Polarisierung gibt. Damit aber eine neue Stimmung im Volk Gottes aufkommt, braucht es die Seelsorgenden als Zündstoff. Dort müssen wir beginnen, damit wir uns wieder verstehen. Dass wir merken, dass die Vielfalt eine Bereicherung ist. Dass wir uns ernst nehmen. Uns achten. Und zwar so, wie wir sind, jeder und jede in seiner Art.

Wir haben munkeln gehört, dass Sie gerne Fitness betreiben. Sie werden von manchen sogar Athlet Gottes genannt. Das ist völlig übertrieben. Manche wissen einfach, dass ich zwei Mal die Woche Krafttraining mache. Der einzige wirkliche Athlet, der alles stemmen kann, ist Gott selber. Ich bin nur ein kleiner Mann, der versucht, Gott beim Stemmen ein wenig zu helfen. Gehen Sie ins Fitnesscenter? Mögen Sie lieber das Laufband oder bevorzugen Sie Hanteltraining?

Das Laufband mag ich weniger. Ich mache vor allem Krafttraining. Das gefällt mir. Und ja, ich habe vor, weiterhin zu trainieren. Und wie sollen Sie Ihre Trainingskollegen, falls sie Sie erkennen, ansprechen? Herr Bischof? Hallo Herr Bonnemain? Grüezi Herr Bischof?

Ergänzend muss ich noch sagen, dass seit drei Monaten alle Fitnesscenter wegen Corona geschlossen sind. Ich vermisse das Training sehr. Zurück zur Frage, wie man mich ansprechen soll: Ich heisse Joseph und wenn man mich so ruft, habe ich damit keine Probleme. Es ist lustig; im Spital, in dem ich arbeite, fragten mich plötzlich alle, wie sie mich künftig nennen müssten. Ich sage dann: Joseph. Ich bin immer noch derselbe wie vor meiner Weihe zum Bischof. Wenn Ihnen gegenüber Kritik geübt wird, geht es oft um Ihre Mitgliedschaft beim Opus Dei. Können Sie kurz erklären, warum dieses Thema viele Menschen irritiert oder unheimlich ist? Weil sie im Grunde eine vorgefasste Meinung zum Opus Dei haben und dieses gar nicht kennen. Mich fasziniert die Vision des Gründers von Opus Dei, Josemaria Escriva, dass wir nicht unbedingt eine Kirche brauchen, um Gott zu begegnen. Gott findet man auch auf der Strasse, beim Sport, bei der Arbeit, in der Familie, beim Tanzen. Dort, wo wir das Leben geniessen und dort, wo wir es schwer haben, dort ist Gott mittendrin. Genau dort können wir Gott finden. Diese Vision fasziniert mich bis heute. Weg von der Muskelstärke hin zur Glaubenskraft. Wie wollen Sie als Bischof diese Kraft stärken? Indem ich die Kernaussage des christlichen Glaubens vermittle. Und diese Kernaussage ist absolut schlicht und einfach. Nämlich: Gott liebt uns. Er wird uns nie fallen lassen. Er liebt uns so, wie wir sind. Es macht ihm auch nichts aus, dass wir ihn manchmal ablehnen, dass wir sündigen, dass wir nicht treu sind. Er bleibt einfach der Liebende, der uns trägt, der uns versteht, der uns auch entschuldigt und Geduld mit uns hat. Sein einziges Ziel ist, dass wir glücklich sind. Traurige Menschen gehören nicht zum Plan Gottes. Papst Franziskus sagt, als Christen dürfen wir nicht ein Gesicht machen wie eine saure Gurke. Und dann noch dies: Wir sind unterwegs als Pilger auf Erden zum endgültigen Ziel und das ist dann die Heimat im Herzen Gottes. Wenn wir das vermitteln, schaffen wir es, den Menschen zu geben, was sie schon lange suchen. Jeder Mensch trägt im Herzen die Sehnsucht, eine Liebe zu finden, die nicht verraten wird, die keine Lügen aushalten muss. Freude, die nicht getrübt wird. Wenn wir zu all dem Sorge tragen, können wir unsere Welt vielleicht ein wenig verändern. Machen Sie sich Sorgen um die Kirchenaustritte? Nein, das mache ich mir nicht. Was heisst schon, aus der Kirche austreten? Was ist die Kirche? Die Kirche sind wir alle. Es gibt viele Menschen, die konfessionslos sind und die Kirche trotzdem im Herzen tragen. In einer Datenbank steht «Ausgetreten », aber die Sehnsüchte bleiben. Es sorgt mich nicht. Die Menschen sind von Grund auf religiös. Religion heisst verbinden. Die Beziehung zwischen Gott und Mensch bleibt bis zuletzt bestehen.

Wie war das, als Papst Franziskus Sie zum Bischof berufen hat? Hätten Sie eigentlich nein sagen können? Ja, das hätte ich tun können. Ich kann aber genau erklären, wie das vor sich ging. Als das Domkapitel im Herbst die drei vorgeschlagenen Kandidaten ablehnte, ich war einer dieser Kandidaten. Ich dachte, jetzt ist der Kelch an mir vorbeigegangen. Jetzt bin ich befreit und darf glücklich weiterhin im Spital arbeiten. Ich war überzeugt, dass Abt Mauro Lepori, auch er war unter den drei Kandidaten, zum Zuge kommen würde. Am 8. Februar, am Abend um 22 Uhr, bekam ich ein Telefon von Kardinal Marc Ouellet, der für die Bischöfe zuständig ist. Er sagte, Papst Franziskus hätte mich zum nächsten Bischof von Chur ernannt. Ich begann zu zittern und fragte den Kardinal: «Haben Sie sich das gut überlegt? Gibt es keine Alternative? » Er gab mir ein wenig Zeit zum Überlegen, sagte aber noch: «Wissen Sie, ernannt sind Sie schon. Wenn Sie nein sagen wollen, müssen Sie den Papst bitten, dass er Sie von dieser Ernennung befreit.»

Er setzte Sie also unter Druck?

(Lacht) Ich habe in jener Nacht keine Sekunde geschlafen. Meine Überlegung war dann: «Wenn ich jetzt nein sage, muss die Diözese nochmals monatelang warten. Ich darf das den Menschen nicht antun. Sie sind entmutigt und unsicher.» Nur aus diesem Grund habe ich dann zugesagt. Der Kardinal erinnerte mich, dass ich sofort per E-Mail die Wahl bestätigen müsste. Worauf ich dann schrieb: «Heiliger Vater, ich nehme die Ernennung an.» Haben aktuelle Themen wie Klimawandel und Rassismus in der katholischen Kirche Platz? Einen grossen Platz, selbstverständlich. Sie müssen nur die Ansprachen und Stellungnahmen des Papstes verfolgen. Wie er sich beispielsweise gegen den Menschenhandel engagiert. Was er in Bewegung setzt, ist unglaublich. Alles, was ungerecht ist, bewegt ihn. In seiner letzten Enzyklika Fratelli tutti fordert er radikale Solidarität mit den Armen, den Entrechteten und Marginalisierten. Also: Was die Welt bewegt, bewegt auch mich und die katholische Kirche. Wie wichtig ist Ihnen die Ökumene?

Nicht nur wichtig, die Ökumene ist wesentlich. Es ist eine Schande, dass wir Christen getrennt sind. Mit der Hilfe Gottes hört das vielleicht auf. Ich war sehr froh, dass bei meiner Weihe die Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, Rita Famos, der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller und der christkatholische Bischof Harald Rein dabei waren.

Bischof Joseph Bonnemain: «Viele sagen, es gäbe wieder Perspektiven. Was die Welt bewegt, bewegt auch mich und die katholische Kirche.» Foto: zvg

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