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Nachlese zu einem Tag, der ganz anders hätte verlaufen können

Nachlese zu einem Tag, der ganz anders hätte verlaufen können Nachlese zu einem Tag, der ganz anders hätte verlaufen können

Selbst in Zeiten des Versammlungsverbotes wäre Fasnacht möglich. Mit Abstand und Anstand. Aber nicht so, wie in Einsiedeln.

VICTOR KÄLIN

Lange vor dem Start des Sühudiumzugs war klar, wohin er sich bewegen würde: in Richtung Corona- Verstösse. Mit geschätzten 500 Maskierten war der Aufmarsch ähnlich gross wie in den Vorjahren. Das Zuschaueraufkommen war wegen Corona zwar bescheidener, doch dürften sich am Montagmorgen noch immer gegen 1500 Personen entlang der Hauptstrasse eingefunden haben. Die Mehrheit der Hudi und Zuschauer trug keine Schutzmaske.

In einer ersten Mitteilung schrieb die Kantonspolizei um 16 Uhr, dass sich in Einsiedeln «trotz Veranstaltungsverbot über 1000 Personen zum wilden Sühudiumzug » versammelt hätten und das «wilde Fasnachtstreiben Polizeiintervention erforderte».

Die Kantonspolizei intervenierte in einer ersten Phase mit der am Schmutzigen Donnerstag bewährten Strategie der Abmahnung. Als dies keinen Erfolg zeigte, ging sie dazu über, die Anwesenden zu büssen. Daraufhin zerstreuten sich die Menschenansammlungen. Insgesamt wurden rund 100 Ordnungsbussen ausgestellt, wobei Hudi wie Zuschauer gleichermassen gebüsst wurden und entweder 100 Franken (Missachtung des Veranstaltungsverbots) oder 50 Franken (nicht erlaubte Menschenansammlungen) zu bezahlen hatten.

Um weitere Ansammlungen, wie sie sich unter anderem auch vor Take-Away-Ständen bildeten, zu verhindern, erklärten sich die Betreiber im Gespräch mit der Kantonspolizei Schwyz bereit, diese für heute zu schliessen (siehe Kasten «Hier geschlossen – nebenan offen»).

Ein Blick in den Kanton ergab, dass die Kantonspolizei bislang nur wenige Ermahnungen aussprechen musste. Sie blieb aber weiterhin präsent, um Versammlungen von Personen zu verhindern und die Einhaltung der Corona- Schutzmassnahmen zu gewährleisten.

Alkoholisierte Pöbler Die zweite Medienmitteilung der Kantonspolizei vom Dienstagmorgen um 8.00 Uhr klang mit kantonsweit «zahlreichen Polizeieinsätzen » aber weniger erfreulich. Während sich an den meisten Orten nach entsprechenden Polizei-Appellen die Menschen einsichtig zeigten und die Ansammlungen auflösten, überbordeten in Einsiedeln am Güdelmontag nach 20 Uhr die Aggressionen.

Gemäss Darstellung der Kantonspolizei versammelten sich nach 20 Uhr mehr als 50 mehrheitlich jüngere Personen im Zentrum des Dorfes. Ein Grossteil der Personen war stark alkoholisiert, hielt sich in keiner Weise an die geltenden Corona- Schutzmassnahmen und liess sich nicht wegweisen. Die Einsatzkräfte der Kantonspolizei Schwyz wurden mit Flaschen und Böllern beworfen. Mittels Ordnungsdienstkräften wurde die Versammlung in der Folge aufgelöst. Insgesamt wurden über 40 Personen weggewiesen und zwei in Ausnüchterungshaft genommen. Eine der inhaftierten Personen verübte zudem eine Sachbeschädigung.

Grosse Empörung Die Auswüchse in Einsiedeln führten landesweit zu grosser Empörung. In den Print-Medien, aber noch mehr auf den Social- Media-Kanälen wurde das Tun in Einsiedeln mehrheitlich aufs Schärfste verurteilt.

Selbst die beiden Fasnachtsgesellschaften Goldmäuder und Bürgerwehr sahen sich veranlasst, auf Distanz zu gehen: In einem gemeinsamen Inserat in unserer Zeitung weisen sie darauf hin, «dass die Aktionen am Güdelmäntig nach der Schliessung der Take-Away-Betriebe in keiner Weise etwas mit den Werten der Tradition und des Brauchtums der Fasnacht zu tun haben. Von diesem in allen Medien als ‹Fasnächtler› bezeichneten Mob wollen wir uns entschieden distanzieren! » «Kein Ausgehverbot» Der Schwyzer Sicherheitsdirektor Herbert Huwiler (SVP) will auf Anfrage den Vorfall «nicht überbewerten ». Man dürfe nicht vergessen: «Es gibt kein Ausgehverbot in der Schweiz.» Und er relativiert: «In den Skigebieten oder an der Bahnhofstrasse in Zürich sind auch viele Leute unterwegs. » Unter Einhaltung der Abstände und der Maskenpflicht sollte «alles möglich sein». Das gelte eben auch für den Sühudi- Umzug in Einsiedeln. Huwiler betont dabei die Eigenheit dieses wilden Umzugs. Es gebe «kein Organisationskomitee, entsprechend auch keine Ansprechpartner, kein Schutzkonzept und keine Auflagen». Die Einsiedler wüssten einfach: Am Güdelmontag trifft man sich um 9 Uhr auf der Hauptstrasse zum Umzug.

Hätten also auch die Behörden im Kanton Schwyz strenger sein und das närrische Treiben unterbinden müssen? Einen offiziellen Aufruf, auf die Fasnacht zu verzichten, gab es nicht – anders als im Kanton Luzern. Sicherheitsdirektor Huwiler macht sich und der Regierung aber keine Vorwürfe. Alle Fasnachtsanlässe seien abgesagt worden. Zudem rufe die Regierung die Bevölkerung regelmässig dazu auf, sich an die Massnahmen zu halten. «Das ist die Möglichkeit, die wir haben, um auf die Bevölkerung einzuwirken.» Auch in Bern hat die Einsiedler Massenveranstaltung zu Diskussionen geführt. Für Patrick Mathys, den Leiter Sektion Krisenbewältigung beim BAG, sind solche Veranstaltungen aus epidemiologischer Sicht «nicht wünschenswert ». Er habe aber auch Verständnis, dass die Bevölkerung der Massnahmen müde sei und sich Normalität wünsche.

Leiser Nachklang

Am Fasnachtsdienstag blieb es ruhig. Das war weniger auf die persönliche Katharsis oder das unverminderte Polizeiaufgebot zurückzuführen, sondern ganz einfach auf den Umstand, dass sämtliche offiziellen Einsiedler Anlässe abgesagt worden waren. Es gab kein Brotauswerfen, kein «Usbrüele» und kein Pagatverbrennen. Zehn Joch-Trichler versuchten am Abend um 19 Uhr dennoch ihr Glück, zwei Domino und etwa zehn Brüeli-Hudi verloren sich in den Weiten der Hauptstrasse und des Klosterplatzes. Die Polizei markierte Präsenz und die rund 100 weitläufig verteilten Passanten wussten nun, was es geschlagen hatte. Definitiv.

«Das wilde Treiben fordert eine Intervention der Polizei.»

Medienmitteilung der Kantonspolizei Schwyz

«Ein Gwändli aus dem Manor und eine Flasche Wodka machen noch kein Hudi.»

Einsiedler Fasnächtler anonym

«In den Skigebieten und auf der Zürcher Bahnhofstrasse sind auch viele Leute unterwegs.»

Regierungsrat Herbert Huwiler Sicherheitsdirektor

Es war einfach schön – so wie jedes Jahr am Sühudiumzug. Doch 2021 ist nicht wie jedes Jahr – ein Teil der Umzugsteilnehmer macht es sich auf dem Klosterplatz gemütlich. Foto: Wädi Kälin

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