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«Neue Männer braucht das Land»

«Neue Männer braucht das Land» «Neue Männer braucht das Land»

Die 26-jährige Einsiedlerin Sandra Auf der Maur ist froh, dass es das Frauenstimmrecht gibt: «Frauen haben die Politik verändert»

Im Jahr 1971 sagten die Schweizer Männer an der Urne Ja zum eidgenössischen Stimmund Wahlrecht für Frauen. Sandra Auf der Maur kann sich fünfzig Jahre danach gar nicht mehr vorstellen, dass es einst eine Zeit gab, als nur die Männer stimmen durften.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Beschäftigt Sie das Frauenstimmrecht noch oder ist das für Sie Schnee von gestern? Ich bin froh, dass es das Frauenstimmrecht gibt: Wir können alle einen Nutzen daraus ziehen. Und ich finde auch gut, dass derzeit allerorten über die Abstimmung vom 7. Februar 1971 geredet wird: Das ist ein Zeichen dafür, wie wichtig das damalige Ereignis für die Geschichte unseres Landes gewesen ist. Ist die damalige Abstimmung noch ein Thema bei den jüngeren Frauen?

Ich beobachte, dass diese Urnenabstimmung gerade bei jüngeren Frauen und auch Männern immer mehr zum Thema wird: Nicht zuletzt dank Social Media und zahlreichen Interviews in den Zeitungen werden die Leute auf dieses Thema aufmerksam gemacht. Klar ist, dass sich Leute, die sich für Geschichte und Politik interessieren, mit diesem Thema beschäftigen. Wenn Sie einen Blick auf die Jugend von heute werfen: Interessieren sich junge Leute überhaupt noch für Frauenrechte und die Gleichstellung von Frau und Mann? Gerade bei Jugendlichen sind Frauenrechte ein Thema, das unter den Nägeln brennt. Viele sind offen für die Gleichstellung von Frau und Mann und werden hellhörig, wenn es darum geht, dass im Sinne der Gerechtigkeit alle den gleichen Lohn für dieselbe Arbeit erhalten sollten. Können Sie sich vorstellen, dass es eine Zeit gab, als nur die Männer stimmen und wählen durften?

Nein, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen (lacht). Es schockiert michallerdingsauchnicht– angesichts dessen, dass in früheren Zeiten noch viel Schlimmeres geschehen ist: Man denke nur an die Zeit der Hexenverfolgung.

Werden auch heute noch Frauen von den Männern unterdrückt und diskriminiert? Ja, das geschieht überall auf der ganzen Welt – je nach Land in verschiedenen Bereichen. In der Schweiz stechen besonders zwei Aspekte ins Auge: Zum einen erhalten Frauen noch immer nicht überall den gleichen Lohn wie die Männer. Zum anderen bekommen Frauen überhaupt keinen Lohn für ihre Hausarbeit und ihre Kinderbetreuungsarbeit: Das ist ein grosses gesellschaftliches Problem in unserem Land. Zudem werden Frauen immer noch diskriminiert, wenn sie in typischen Männerberufen tätig sind: Es ist kein leichtes Unterfangen für Frauen, als CEO in einem Unternehmen, als Lastwagenfahrerin oder auf der Baustelle zu arbeiten. Haben Sie selber auch schon Diskriminierung aufgrund Ihres Geschlechts am eigenen Leibe erlebt? Ich habe Diskriminierung erlebt, wenn es um mein Aussehen oder meine Kleider gegangen ist. Oder darum, dass ich lesbisch bin und eine Freundin habe: Das hat aber primär weniger mit dem Geschlecht, mit dem Frausein, zu tun, sondern vielmehr mit der Sexualität: Schwule haben ja als Männer oft dieselben Probleme. Erleben Sie Vorurteile im Klosterdorf aufgrund dessen, dass Sie eine Frau sind? Ganz konkret gibt es Vorurteile in Einsiedeln, wenn es um Frauen im Ausgang geht: Frauen werden im Ausgang im Klosterdorf als Objekte betrachtet. Wenn eine Frau nicht als Subjekt wahrgenommen wird, sinkt ihr Stellenwert und ihr Selbstbewusstsein.

In welchen Bereichen müssen Frauen heutzutage für ihre Sache einstehen und kämpfen?

Das Problem zeigt sich in ganz einfachen Bereichen: Mir fällt auf, dass sich Frauen immerzu rechtfertigen müssen vor den Männern – für ihren Job in der Arbeitswelt, für ihre Wünsche, ihre Hobbys, ihren Musikgeschmack. Männer dürfen ganz selbstverständlich über die Stränge schlagen, ohne dass jemand nachfragt. Frauen müssen sich jederzeit erklären – eben wenn zum Beispiel ihr Musikgeschmack etwas aus dem Rahmen fällt. Wo hapert es in diesen Zeiten in Sachen Gleichstellung von Frau und Mann? Im politischen Sinne ist Gleichstellung erreicht worden in der Schweiz. Hingegen hapert es noch immer bei der ökonomischen Gleichstellung von Frau und Mann. Und hier sind Männer aufgerufen, auf die Frauen zuzugehen, sich offen zu zeigen, offen zu werden, diesem Missstand in die Augen zu sehen: Neue Männer braucht das Land. Nur wenn sich auch die Männer emanzipieren, verändert sich etwas in diesem Land. Sind Sie selber politisch aktiv?

Nein, das bin ich eigentlich nicht. Allerdings beschäftige ich mich mit dem Gedanken, am nächsten Frauenstreik teilzunehmen: Um ein Zeichen zu setzen, dass in unserem Land noch nicht alles zum Besten bestellt ist. Bezirksrätinnen kann man in Einsiedeln an einer Hand abzählen: Wieso gibt es auch heutzutage kaum Frauen im Bezirksrat, im Kantonsrat, im Regierungsrat?

Das hat viel mit dem Kanton Schwyz an sich zu tun: Dieser Kanton gehört zu den konservativsten im ganzen Land. Und konservativ heisst nun mal: Alles so bewahren, wie es früher einmal war, als die Männer das alleinige Sagen hatten. Die Frauen müssen sich allerdings auch selber an der Nase nehmen: Viele Frauen im Kanton Schwyz haben überhaupt kein Interesse an der Politik. Hat sich dank den Frauen die Politik in der Schweiz verändert?

Die Politik in unserem Land hat sich dank den Frauen spürbar gewandelt. Abstimmungen, Wahlen, die ganze Gesetzgebung verlaufen in anderen Bahnen, seit sich Frauen am politischen Prozess beteiligen dürfen. Vor allem ist die Politik ökologischer und sozialer geworden, seit die Frauen der Politik ihren Stempel aufdrücken.

Würden Sie sich als Feministin bezeichnen? Selbstverständlich. Feminismus ist ja nichts anderes als eine Richtung in der Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen, der traditionellen Rollenverteilung und der patriarchalischen Kultur anstrebt. Schön, dass es auch Männer gibt, die sich Feministen nennen: Schliesslich leiden Männer selber ja auch an der patriarchalischen Kultur und an der traditionellen Rollenverteilung. Wie ist Ihnen der Einstieg als Frau in das Berufsleben gelungen?

Im kaufmännischen Bereich sind Stellen aufgrund der Digitalisierung rar geworden. Mit der ganzen Corona-Krise ist die Arbeitssituation noch schwieriger geworden, weil Stellen abgebaut oder ein Einstellungsstopp verfügt wurden. Mit dem Geschlecht haben meine Schwierigkeiten, in der Arbeitswelt Fuss zu fassen, aber nichts zu tun: Männern geht es ja genau gleich. Wohin bewegt sich die Welt?

Die Welt verschiebt sich immer mehr ins Virtuelle. Social Media haben das Leben verändert – das ist vor allem bei jungen Leuten zu beobachten. Bezüglich Social Media gibt es Licht und Schatten. Der Vorteil des Internets ist, dass sich die Leute sehr gut informieren können. Der Nachteil liegt darin, dass immer mehr Junge Social Media als Zufluchtsort betrachten, um ihrer Realität zu entfliehen. Die virtuelle Realität wird zu ihrer eigentlichen Wirklichkeit.

Sandra Auf der Maur: «Männer leiden selber auch an der patriarchalischen Kultur und an der traditionellen Rollenverteilung.» Foto: Magnus Leibundgut

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