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«Ich war gerne der General»

«Ich war gerne der General» «Ich war gerne der General»

Nach 35 Jahren im Dienst ist der Einsiedler Generalbotsweibel Bepi Roos auf Ende 2020 zurückgetreten

Dreissig Jahre lang war Bepi Roos Pedell und organisierte klösterliche Prozessionen. Nun hat der 74-jährige ehemalige Geschäftsführer des Bücherdienstes auch sein Amt als Generalbotsweibel aufgegeben: «Ich war gerne der Chef auf dem Platz.» Bepi Roos bleibt derweil Mitglied der Einsiedler Zunft der Geschenkten.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Fällt Ihnen der Abschied schwer, als Generalbotsweibel den Hut zu nehmen und Adieu zu sagen? Nein, überhaupt nicht. Der Abschied löst bei mir keine Wehmut aus. 35 Jahre sind ja auch eine ziemlich lange Zeit. Jedenfalls hat sich niemand aufgedrängt, das Amt übernehmen zu wollen. Es ist nicht wirklich schwierig auszuführen, allerdings zeitaufwendig: Man muss als Weibel allerhand Termine einhalten, abklären, organisieren. Was hat Ihnen am meisten Freude gemacht in der Funktion als Generalbotsweibel? Als Weibel steht man naturgemäss dem Kloster Einsiedeln nahe, seine Funktion färbt auf das Kloster ab: Das hat mir sehr gefallen. Sehr erfüllend im emotionalen Sinne waren die Grossen Engelweihen mit grossen Prozessionen, wenn der 14. September auf einen Sonntag gefallen ist: Eine faszinierende Lichtprozession, an der unzählige Kerzen die Fassaden der Klosterkirche, die Arkaden, den Frauenbrunnen und Privathäuser am grossen Platz vor dem Kloster bis die Hauptstrasse hinunter schmücken und beleuchten. Was waren die Höhepunkte in Ihrer Zeit als Generalbotsweibel?

Höhepunkt waren für mich die Prozessionen, die als spezielle Anlässe in einem Zusammenhang mit dem Abt des Klosters Einsiedeln gestanden sind. Davon gab es in den letzten 35 Jahren drei an der Zahl: Eine Prozession ging bei der Verabschiedung von Abt Georg Holzherr über die Bühne. Eine zweite Prozession folgte bei der Wahl von Abt Martin Werlen, eine dritte bei der Amtseinführung von Abt Urban Federer. Noch heute pflege ich eine gute Beziehung zum Kloster und den Patres. Schön war es, dass es in meiner Zeit gelungen ist, dass wieder wie früher der Abt als Ehrenpräses der Einsiedler Zünfte fungiert.

Gab es auch Tiefpunkte?

Es gibt beim Bezirk Einsiedeln unzählige Kommissionen, die neuerdings ein Bewilligungsverfahren einfordern. Es braucht zum Beispiel ein umfassendes Sicherheitskonzept. Das Bewilligungswesen zieht eine Menge Papierkram mit sich. Früher habe ich einfach den Einsiedler Polizeiposten angerufen, und dann war für mich die Strassensicherung erledigt. Ich bin froh, muss ich mich nach meinem Rücktritt nicht mehr mit dieser Bürokratie herumschlagen (lacht).

War es Ihr Bubentraum, Generalbotsweibel zu werden?

Oh, nein (lacht). Vielmehr war bereits mein Vater Generalbotsweibel: Er hat mir dieses Amt gewissermassen weitervererbt. Jetzt aktuell habe ich wiederum das Zepter an meinen Schwiegersohn weitergegeben. Nicht an meinen Sohn: Er ist bei der Feuerwehr und zeitlich bereits ausreichend ausgelastet, so dass er nicht auch noch das Amt eines Generalbotsweibel bekleiden kann. Welche Talente und Fähigkeiten braucht man, um Generalbotsweibel werden zu können? Man muss über kaufmännische Fähigkeiten verfügen, geübt sein mit Korrespondenz, terminieren können, ein Organisationstalent sein. Das sind alles Dinge, die man lernen kann. Das Wichtigste ist allerdings, führen zu können: Und just dies ist etwas, das man nicht lernen kann. Das wird einem als Talent in die Wiege gelegt oder man hat es eben gerade von Grund auf nicht. In der Armee gibt es einen General, im Staatsdienst einen Weibel. Beide regieren. Sind Sie gerne der General, der Chef auf dem Platz? Ja, ich war gerne der General, der Chef auf dem Platz. Ich war nicht unbedingt streng, eher freundlich, aber zielgerichtet. Mein Wort hat gegolten. Selbst die Äbte haben immer auf mich geschaut: Ich habe ihnen den Weg gewiesen (lacht). Ohne Chef auf dem Platz funktioniert eine Prozession nicht. Den General braucht es eben. Was bedeuten Ihnen Prozessionen?

Prozessionen sind Zeichen des katholischen Glaubens und wirken stark nach aussen. Sie sind Ausdruck einer starken Verbundenheit zwischen dem Klosterdorf und dem Kloster Einsiedeln. Allerdings sinkt die Bedeutung der Prozessionen in der heutigen Zeit: Ich mag mich an Prozessionen erinnern, an denen tausend Leute teilgenommen haben. Heute kommen noch hundert Gläubige an eine Prozession. Hintergrund dieser Entwicklung: Der katholische Glauben nimmt ab und befindet sich auf dem Rückzug. Darunter leiden alle und alles.

Weshalb verdunstet der christliche Glauben zunehmend? Ich bin nicht der Papst, das müssten Sie den Pontifex maximus fragen. Die katholische Kirche betreibt Unfug am Laufmeter. Damit erledigt sich die Kirche selber: Die Zahl der Kirchenaustritte nimmt überhand. Es gibt immer weniger Priester, Mönche und Klosterfrauen. Kein Wunder angesichts der Pädophilie- Fälle in der katholischen Kirche und angesichts dessen, welche Schindluderei der Vatikan mit den Finanzen anstellt. Hinzu kommt der fragwürdige Umgang der Kirche mit den Frauen. Was bedeuten Ihnen Bruderschaften und Zünfte?

Die einen oder anderen Zünfte in Einsiedeln gehen auf religiöse Bruderschaften zurück. Letztere existieren nicht mehr, nur den Marianischen Rat gibt es noch. Mir bedeuten die Zünfte sehr viel. Ich bin Mitglied der Zunft der Geschenkten: In dieser werden fremde Fötzel – wie ich einer bin – aufgenommen. Währenddem etwa in der Metzger- und Bäckerzunft nur astreine hiesige Einsiedler aufgenommen werden.

Welchen Stellenwert haben die Zünfte für das Klosterdorf?

Die vier löblichen Zünfte in Einsiedeln haben heutzutage nur noch eine meist symbolische Bedeutung und sind etwa zuständig für die Fahnen-, Himmel- und Laternenträger an den Prozessionen. Hinzu kommt das Böllerschiessen an kirchlichen Feiertagen. Früher war das anders: Die Zünfte haben im öffentlichen Wesen mitbestimmt und zum Beispiel im Bestattungswesen eine leitende Rolle gespielt, indem sie Bestattungen organisiert haben.

Haben die Zünfte im Klosterdorf ausreichend Nachwuchs?

Währenddem in diesen Zeiten viele Vereine, Clubs und Kirchen unter Mitgliederschwund leiden, haben wir kein Nachwuchsproblem: Die Mitglieder bleiben in der Regel bis zum Tod in der Zunft. Sie werden nach ihrem Ableben ersetzt, indem die Zünfte einen Nachfolger bestimmen. Man kann sich also nicht bewerben für eine Mitgliedschaft in einer Zunft, sondern wird von dieser auserwählt. In der Regel lehnt ein Mann, der angefragt wird, das Angebot nicht ab. Dadurch bleibt die Zahl der Mitglieder der vier Zünfte immer konstant gleich hoch. Aktuell gibt es 68 Mitglieder in den Zünften. Geniessen Sie es, innerhalb der Zunft unter Männern sein zu können? Ja sehr (lacht). Es ist schön, einen Raum zu haben, in dem wir Männer unter uns sein können. Es ist einfach anders, wenn Frauen auch mit dabei sind. Auch wenn die gesellschaftliche Bedeutung der Zünfte nicht mehr dieselbe ist wie früher, sind die Bräuche und Traditionen geblieben. Zünfte sind wie Verbindungen ein Netzwerk: Dieses sorgt für Geselligkeit und verschafft uns auch Hilfe, wenn einer in Not geraten mag. Wir stehen uns bei.

Halten Sie es für möglich, dass sich die Zünfte Frauen gegenüber öffnen werden? Hierzu flammen immer wieder einmal Diskussionen auf, ob man nicht Frauen den Zugang zu den Zünften verschaffen sollte. Ich kann Ihnen getrost versichern: Das wird nie geschehen. Das würde dem Grundgedanken einer Zunft widersprechen, ihren Charakter nachhaltig verändern. Eher halte ich es für möglich, dass Frauen wie in Zürich ihre eigene Zunft gründen. Abgesehen gibt es ja auch Netzwerke, in denen nur Frauen zugelassen sind. Und das ist auch gut so. Wie entwickelt sich Einsiedeln in diesen Zeiten aus Ihrer Sicht? Das Klosterdorf entwickelt sich zunehmend zu einer Schlafstadt, was ich sehr bedauere. Einsiedeln hat zu wenig Arbeitsplätze und schafft es nicht, weitere zu schaffen. Es gibt vor allem nicht genügend Arbeitsplätze in der Industrie im Klosterdorf, weil diese kaum vorhanden ist in Einsiedeln. Das hat alles auch damit zu tun, dass das im Klosterdorf traditionell stark vertretene Druckgewerbe ausgestorben ist. Und dass es Berufe wie Schriftsetzer und Buchdrucker nicht mehr gibt. Betreibt der Bezirk Einsiedeln eine gute Politik? Es kommen zwar viele Neuzuzüger nach Einsiedeln, die Bevölkerung wächst. Allerdings finden sich kaum gute Steuerzahler darunter, was naturgemäss mit dem Steuerfuss im Bezirk Einsiedeln in Zusammenhang steht. Dementsprechend kann der Bezirk finanziell betrachtet nur kleine Brötchen backen. Infrastruktur- und Personalkosten etwa im Schulwesen sind allerdings hoch. Da beisst sich die Schlange in den Schwanz. Die Gretchenfrage zum Schluss: Wie haben Sie es mit der Religion?

Ich bin gut katholisch und gehe ab und zu in die Kirche. Ohne dass ich mich gleich zuvorderst in der Klosterkirche an das Gitter presse … (lacht). Ich bin weniger mit der Kirche als solche verbunden, sondern stehe vielmehr dem Kloster nahe und pflege gute Beziehungen mit Abt Urban, dem Wallfahrtspater Philipp und mit Pater Lukas. Wohin bewegt sich die Welt?

Ich hoffe doch sehr, dass wir im neuen Jahr das Coronavirus hinter uns bringen werden. Ansonsten glaube ich, dass die Digitalisierung die Welt vollends erfassen wird. Das hat nicht nur positive Folgen: Gerade junge Leute laufen nur noch mit Kopfhörer auf der Strasse herum und sind gänzlich auf ihr Smartphone fixiert. Ich habe zwar auch ein Handy: Es ist aber nie in Betrieb (lacht). Sogar bei den altehrwürdigen Zünften hat die Digitalisierung Einzug gehalten: Meinen letzten Brief an die Mitglieder habe ich elektronisch verschickt. Ein einziger Mann unter den 68 Mitgliedern der Zünfte hat keine E-Mail-Adresse und erhielt in der Folge einen Brief mit der Post zugeschickt.

Zur Person

ml. Josef Roos ist am 15. August 1946 in Einsiedeln geboren und aufgewachsen. Nachdem er eine kaufmännische Banklehre absolviert hatte, wurde er Bankkaufmann. Später wurde Bepi Roos Betriebswirtschafter und Logistiker. Er war Geschäftsführer des Bücherdienstes Einsiedeln. Von 1986 bis 2016 fungierte Bepi Roos als Pedell, von 1986 bis 2020 war er Generalbotsweibel. Josef Roos war Mitbegründer des 42-jährigen Tolggä- Chörlis Einsiedeln und des Curlingclubs Sihlsee. Während vielen Jahren war er Mitglied des Männerchors Einsiedeln. Bepi Roos ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Einsiedeln.

«Die katholische Kirche betreibt Unfug am Laufmeter. Damit erledigt sich die Kirche selber.» Es ist einfach anders, wenn Frauen auch mit dabei sind.» «Das Klosterdorf entwickelt sich zunehmend zu einer Schlafstadt, was ich sehr bedauere.»

Kein Blick zurück im Zorn: Bepi Roos fällt es nicht schwer, sein Amt als Generalbotsweibel in Einsiedeln hinter sich zu lassen.

Foto: Magnus Leibundgut

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