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«Auch ich hatte Vorurteile gegenüber Behinderten»

«Auch ich hatte Vorurteile gegenüber Behinderten» «Auch ich hatte Vorurteile gegenüber Behinderten»

Heute Abend werden an der Kantonsschule Ausserschwyz in Pfäffikon Abschlussarbeiten präsentiert. Ayse Sanli hat eine Fachmaturaarbeit über «Sensibilisierung von Primarschülern im Umgang mit behinderten Menschen» geschrieben.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Mit welchem Thema beschäftigt sich Ihre Abschlussarbeit?

In meiner Arbeit geht es darum, wie man mit Wissensvermittlung und Rollenspielen die Einstellung und das Verhalten von Primarschülern gegenüber behinderten Menschen sensibilisieren kann. Es geht darum, sich in einen Menschen und dessen alltägliche Probleme hineinversetzen zu können, der aufgrund einer Behinderung handicapiert ist. Wie entstehen Vorurteile gegenüber behinderten Menschen? Es ist uns nicht fremd, dass wir bereits Vorurteile gegenüber Behinderten haben, ohne mit ihnen im persönlichen Kontakt gestanden zu haben. Schon im Babyalter kopieren wir das Verhalten unserer Eltern. Ein kleines Kind beobachtet die Mutter, den Vater: Wenn diese negative Einstellungen gegenüber Behinderten haben, überträgt sich dies auf ihre Kinder. Ist es Ihnen gelungen, die Vorurteile der Schüler abzubauen? Ich habe versucht, mit verschiedenen Aufgaben die Einstellung der Kinder positiv zu verändern. Kein einfaches Unterfangen! Kinder haben viel Angst, weil sie nicht wissen, wie sie auf Behinderte reagieren sollen. Weil die Schüler bereits einmal ein behindertes Kind in der Klasse hatten, war ihnen die Thematik nicht ganz unbekannt. Können Sie schildern, wie die Collage der Fünftklässler zustande gekommen ist? In einem Postenlauf mussten die Schüler mit dem Stift im Mund Sätze schreiben. Da sind ihnen die Augen aufgegangen, wie schwierig das Leben und der Alltag für Menschen sind, die keine Hände haben, um schreiben zu können.

Was hat Sie am meisten überrascht in Ihrer Arbeit mit diesem Thema?

Wir sind während meiner letzten Fachmatura-Arbeit mit Julian, einem Jungen mit Crash-Syndrom, das zu körperlicher und geistiger Behinderung führt, in ein Restaurant gegangen: Welche Strapazen für ihn dieser Gang in ein Lokal bedeutet. Nur schon das Problem, mit dem Rollstuhl einen Platz in einem Restaurant zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen!

Besteht die Gefahr, dass aus Vorurteilen ein Mobbing entstehen kann?

Das ist durchaus möglich. Wenn man nur schon bedenkt, welche Dynamik der Begriff «Behindert» auslösen mag. Kinder und Jugendliche lachen bei diesem Wort und setzen es ein, um andere abzuwerten und runterzubutzen.

Lässt sich die Quintessenz Ihrer Arbeit auch bei Vorurteilen gegenüber Ausländern, Homosexuellen und Frauen anwenden? Das halte ich für möglich, weil sich Vorurteile oftmals auf ähnlichen Prämissen aufbauen. Vorurteile können sich gar schon bei etwas rein Äusserlichem wie Kleidern bilden: Wenn wir Menschen wegen ihrer Kleider abwerten, weil wir diese nicht kennen und etwa unmöglich und verrückt finden. Dann schliessen wir von den Kleidern auf den Menschen und werten diesen ab. Haben Sie selber auch Vorurteile gegenüber behinderten Menschen?

Auch ich hatte Vorurteile gegenüber Behinderten – zumindest als ich klein war. Dank der Familie von Julian, den ich durch meinen Vater kennenlernte, ist es mir dann gelungen, diese Vorurteile abzubauen. Durch die Beschäftigung meines Vaters in der BSZ-Stiftung bin ich in Kontakt mit behinderten Menschen gekommen. Es ist eben just genau so: Wir haben Vorurteile vor Menschen, wenn wir diese nicht kennen. Haben Sie selber auch schon Vorurteile am eigenen Leibe erfahren?

Oh ja, das geschieht immer wieder einmal – wegen meines Namens werde ich des Öftern angesprochen: Leute schliessen aus meinem Namen, dass ich einer fremden Kultur angehöre, Ausländerin bin. Sobald sie mich dann reden hören, entschwindet dieses Vorurteil, weil ich Schweizerdeutsch spreche und nicht etwa Türkisch. Daran erkennt man, wie wichtig die Sprache ist für die Integration in einem Land.

Foto: zvg

Ayse Sanli

Jahrgang: 2002 Wohnort: Einsiedeln Beruf: Kantischülerin FMS Hobbys: Reiten, Fotografieren

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