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Die feine Nase und das gute Händchen

Die feine Nase und das gute Händchen Die feine Nase und das gute Händchen

Zum 90. Geburtstag der Diogenes Verleger Daniel Keel und Rudolf C. Bettschart

Morgen Samstag könnten die beiden Einsiedler, die den Zürcher Diogenes Verlag zu einem überaus erfolgreichen Unternehmen gemacht haben, ihren 90. Geburtstag feiern. Bei Diogenes sind seit 1952 mehr als 5000 Bücher von 800 Schriftstellerinnen und Zeichnern erschienen.

wkä. Gerd Haffmans, der langjährige Cheflektor des Diogenes Verlags, beschrieb die Sternstunde so: «Vom Kirchturm dumpfts zwölfmal glockenstark in die herbstliche Bergluft. Wir schreiben den 10.10.1930. Und ein Jauchzen und Jubilieren erhebt sich in der Verlagswelt, denn hier und heute werden gleichzeitig gleich zwei Erlöser geboren: Daniel Keel und sein Freund, Partner, Retter Rudolf C. Bettschart. Ein Paar, auf das die verschnarchte Schweizer Verlagslandschaft schon lange gewartet hatte.» Tatsächlich sind Mickey und Rex – so ihre späteren Pfadinamen – am gleichen Tag auf die Welt gekommen. Und so konnten sie ihre Geburtstage wie Zwillinge immer gleichzeitig feiern. Wenn sie schon am gleichen Tag geboren sind, meinte Bettschart einmal, dann könnten sie doch auch am gleichen Tag sterben. Das Schicksal wollte es anders: Er starb 2015, Keel vier Jahre vor ihm. Sie hinterliessen an der Sprecherstrasse in Zürich, im Umkreis von Schauspielhaus und Kronenhalle, einen der grössten belletristischen Verlag Europas, der heute von Keels jüngerem Sohn Philipp geleitet wird.

Geschrieben und gezeichnet

Daniel Keel gründete den Verlag 1952, was der Einsiedler Anzeiger zwei Jahre später auch registriert und ihm «zu seinen verheissungsvollen Erfolgen» gratuliert hatte. Die Verlagsgeschichte begann mit Cartoonisten wie Ronald Searle, Paul Flora und Loriot, den damals kaum jemand kannte. Aus der Gilde der Zeichner konnte Keel in der Folge weitere Koryphäen für sich gewinnen: Sempé («Der kleine Nick»), Tomi Ungerer («Kein Kuss für Mutter», «Das grosse Liederbuch »), Maurice Sendak («Wo die wilden Kerle wohnen»), F.K. Waechter («Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein») oder Tatjana Hauptmann («Ein Tag im Leben der Dorothea Wutz»).

Die vielleicht wichtigste Erwerbung gelang Keel aber mit einem Mann, der sich weniger den Buchstaben als vielmehr den Zahlen verschrieben hatte: Bereits 1954 kümmerte sich sein Jugendfreund Ruedi Bettschart abends und am Wochenende um die sträflich vernachlässigte Buchhaltung. Auf den 1. November 1961 kündigte er seine Stellung in einer Betonstahlfabrik, um die Gesamtleitung des kaufmännischen Bereichs zu übernehmen: Finanzen, Verwaltung, Herstellung und Vertrieb. Zusammen schufen die beiden Einsiedler ein Unternehmen, das zwar auch finanziell schwierige, aber mehrheitlich doch gute Zeiten kannte. Spätestens ab 1985, als der Diogenes Verlag mit dem unbekannten Autor Patrick Süskind einen Weltbestseller landete. «Das Parfum» wurde weltweit 20 Millionen Mal verkauft.

Für hohe Auflagen und häufig für Bestseller sorgten und sorgen auch Patricia Highsmith und Donna Leon, Alfred Andersch und Bernhard Schlink, Urs Widmer und Hansjörg Schneider, John Irving und Ian McEwan, Ingrid Noll und Martin Walker. Und dann ganz viele Klassiker. Und grosse Krimiautoren aus früheren Jahrzehnten. Und natürlich Dürrenmatt. Dass diese Ikone ihn einmal anrufen und fragen würde, ob er ihn wolle – «Wotsch du mi?» –, hätte Keel sich nie träumen lassen.

Gepflegte Unternehmenskultur Der Erfolg des Verlags wäre ohne die ideale Verbindung von Keel und Bettschart undenkbar gewesen. Da hatten sich zwei gefunden, die auf ihren unterschiedlichen Terrains überdurchschnittlich talentiert waren. Beide waren auf ihrem Gebiet clever und manchmal etwas schlitzohrig. Und beide liessen den andern machen. Das war auch Ausdruck ihrer Grosszügigkeit, von der neben den Autoren die ganze Belegschaft, die Vertreter, die Buchhändlerinnen, die Journalisten und Freunde profitierten. Martin Suter, der die «Business Class» kannte und beschrieb wie kein zweiter, bedankte sich nach dem Erscheinen seines ersten Romans «Small world» bei Keel und fügte an: «Bitte geben Sie diesen Dank an alle Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter. Sagen Sie ihnen und Ihrem Partner, dass ich in meiner ganzen Zeit als Beobachter vieler Firmen noch nie eine angetroffen habe mit so hoch motivierten Mitarbeitern und einer so gepflegten Unternehmenskultur.» Keel und Bettschart kamen beide auch aus gepflegten Häusern. Vater Josef Keel zog von St. Gallen nach Einsiedeln, nachdem er in der Rezession Ende der 1920er-Jahre seine Arbeit in einer Bank verloren hatte. Er fand eine Anstellung beim Benziger Verlag, wo er Schulbücher und Kirchengesangsbücher betreute. Seine Frau Andrée hatte toggenburgisch-französische Wurzeln. Dani ist das älteste von drei Kindern. Sein Bruder Othmar ist emeritierter Professor für Bibel- und Religionswissenschaft, von seiner Schwester Marie-Theres wissen wir, dass sie die Mutter unserer Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga ist.

Bettschart stammte aus einem Haus, in dem mit Sicherheit viel politisiert wurde. Sein Vater August war Rechtsanwalt und Regierungsrat des Kantons Schwyz. Verheiratet war er mit Anna Kollmuss, die aus Bayern stammte. Ruedi war das mittlere von fünf Kindern. Der älteste Bruder ist Peter, die jüngeren Geschwister sind Monika und Meinrad. Seine Schwester Felicitas ist schon vor längerer Zeit verstorben. Im Gegensatz zu Keel pflegte Bettschart immer enge Beziehungen zu Einsiedeln. Er war im Verwaltungsrat dieser Zeitung und in jenem des Benziger Verlags, er ermöglichte das Pfadiheim und unterstützte das kulturelle Leben in Einsiedeln, wann immer er darum gebeten wurde. Ihm ist auch das Museum Fram zu verdanken, in dem der Fram-Club am 22. Oktober ihn und Daniel Keel hochleben lässt. Inserat folgt.

Zwei Freunde, ein Verlag. Eine Textcollage von Walter Kälin zu Ehren von Daniel Keel und Rudolf C. Bettschart, den Gründern und früheren Inhabern des Diogenes Verlags. Mit Oscar Sales Bingisser, Masha Bingisser, Jonas Züllig und Laurent Girard (Klavier). Donnerstag, 22. Oktober, 20 Uhr, Museum Fram. Eintritt: 10 Franken/Mitglieder Fram Club gratis.

Daniel Keel (links) und sein Freund, Partner, Retter Rudolf C. Bettschart. Foto: Martin Walker

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