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Das Monatsgespräch im September

Das Monatsgespräch im September Das Monatsgespräch im September

Franziska Keller trifft Marina Lohri, «Herzraserin»

Jahrgang: 1986 Bürgerort: Einsiedeln Geburtsort: Einsiedeln Wohnort: Einsiedeln In diesem Sommer haben viele Schweizerinnen und Schweizer Velotouren unternommen. So auch Marina Lohri, die mit ihrem E-Bike einen Teil der Herzroute zurückgelegt hat: Diese geht quer durch die Schweiz. Die zurückgelegte Velotour führte über 500 Kilometer mit 8854 Höhenmetern Aufstieg und 9303 Höhenmetern Abstieg. Zurück von ihrer elftägigen Herztour treffe ich die junge Frau, die mir aus ihrem Leben und ihren Erfahrungen erzählt. Für sie war es nicht nur eine gewöhnliche Rad-Tour – dahinter steckt ihre Lebensgeschichte.

Wonach entscheidest du dich jeweils: Bist du mehr Herz- oder Kopfmensch? Ich habe einen angeborenen Herzfehler und da hilft es mir wenig, nach Fakten zu gehen – ich muss immer erst auf meinen eigenen Körper hören und kann dann entscheiden: mit Herz und Bauch. Dann war auch deine Herztour ein Bauchentscheid? Mein Mann Beat und ich hatten unsere gemeinsamen Ferien schon länger geplant. Ursprünglich wollte ich 2021 eine längere Veloreise in den Norden machen, die ich nun coronabedingt nicht antreten werde.

Dann kam mir im Juli geistesblitzartig die Idee, unsere Veloferien auf der Herzroute als Benefiz- Tour anzupreisen, um anderen Betroffenen Mut zu machen und für die gemeinnützige Organisation Herznetz.ch Geld zu sammeln.

Wie war deine Tour?

Wir waren zwei Wochen lang unterwegs und hatten ein unglaubliches Wetterglück. Anfangs war es extrem heiss, dann war es schlicht perfekt mit jedem Tag Sonnenschein und einem einzigen Regentag. Da ich alles im Voraus gebucht hatte, mussten wir die Route bei jedem Wetter fahren. In Thun genossen wir einen Wellnesstag, bevor wir uns am Tag darauf «pflotschnass» in einer Pizzeria trockneten. Und wie wirkte sich die Radtour auf dein Herz aus? Das lange Fahren tat mir erstaunlich gut, ich fühlte mich oft besser als im Alltag, wenn mich aus dem Nichts heraus Herzrhythmusstörungen aufsuchen und mein Puls plötzlich auf 180 ansteigt. Dies ist jedoch eine normale «Alterserscheinung » bei einem Fontankreislauf, bei welchem nur das halbe Herz funktioniert. Wie ist es denn dazu gekommen, dass du diese elftägige Tour gemacht hast? Als ich auf die Welt kam, sagten die Ärzte meinen Eltern, es sei nicht sicher, ob ich überlebe. Bereits mit 11 Monaten wurde ich dann am offenen Herzen operiert und 2018 musste ich mich einer Herzkatheter-Ablation unterziehen. Ansonsten hatte ich keine weiteren Eingriffe, bin aber halbjährlich in ärztlicher Kontrolle. Ich gehöre in der Schweiz zu den Ersten, die einen solch schweren Herzfehler überlebt hat. Deshalb möchte ich Eltern mit herzkranken Kindern Mut machen und ihnen zeigen, dass man auch mit einem schweren Herzfehler ein schönes Leben führen kann. Herzfehler ist die Nummer eins an Geburtsfehlern, nur wissen dies viele nicht. Ich möchte durch meine Aktion weitere Betroffene, das Pflegepersonal und die Forschung mitunterstützen.

Du bist mit einem angeborenen Herzfehler auf die Welt gekommen. Inwiefern hat sich deine Kindheit von anderen Kindern unterschieden? Im Turnen war ich immer bei den Schwächeren und erlebte überfürsorgliche Lehrpersonen, die mich bei lässigen Spielen raussitzen liessen, was mir natürlich nicht gefiel. Meine Lippen werden dunkler, wenn ich müde werde oder wenn ich friere und aus Sorge ihrerseits musste ich verzichten. Wiederum andere wollten mich beim Konditionstest über meine Leistungen zwingen.

Musstest du auf weitere Dinge oder Erlebnisse verzichten?

Nein, nicht wirklich. Ich habe nichts anderes gekannt und erlebte eine sehr schöne Kindheit, dafür bin ich meinen Eltern und meinem Bruder sehr dankbar. Trotz meinem Herzfehler konnte ich mit 16 Jahren für ein Austauschjahr nach Amerika. Was hast du in deiner Kindheit besonders geliebt? Mit meinem Bruder «Säich» machen. Wir waren oft in der Lenzerheide und lernten schon sehr früh Skifahren. Auf einer Höhe, die uns die Ärzte eigentlich untersagt hatten. Wir hörten immer auf meinen Körper – nicht nur auf die Grenzen der Ärzte. Musst du heute mit Einschränkungen leben?

Ich darf nicht tauchen – es gibt Schlimmeres … Die Ärzte rieten meinen Eltern, mit mir nie über 1500 Meter über Meer zu gehen – ihnen, den glücklichen Besitzern einer schönen Ferienwohnung in der Lenzerheide. Sie nahmen mich sukzessive in die Höhe mit und ich hatte keine Beschwerden. Im Januar 2019 heirateten Beat und ich in der Lenzerheide auf 1900 Meter über Meer. Was scheint dir persönlich wichtig, Kindern weiterzugeben? Selbstbewusstsein. Dass man auf sein Herz hört – dem eigenen Körper und sich selbst vertraut. Du lebst heute am Utoplatz in Einsiedeln. Könntest du dir vorstellen, in die Stadt zu zügeln? Ich bin hier geboren, aufgewachsen, war oft auf Reisen (Australien, Neuseeland, Südamerika, Island, Asien) und viele Bekannte meinten früher: «Du wanderst sowieso einmal aus!», was mir selber aber nicht im Traum einfallen könnte: Hier ist meine Heimat, denn hier ist die perfekte Kombination von allem. Wie sehen deine weiteren Lebensträume aus? Ich bin sehr glücklich, so wie es ist. Was braucht der Mensch, um glücklich und zufrieden zu sein? Trotz Makel oder einer Krankheit mit sich selbst eins und zufrieden sein.

Gerne darf weiterhin gespendet werden mit dem Vermerk: «Marina Lohri Herzraserin»: Herznetz.ch, Lange Gasse 78, 4052 Basel, Spendenkonto Raiffeisenbank Basel IBAN: CH44 8080 8009 1584 4685 7

Foto: Franziska Keller

Von Franziska Keller

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