Veröffentlicht am

«Die einen wollen die Schleusen komplett öffnen, die anderen möglichst geschlossen halten»

«Die einen wollen die Schleusen komplett öffnen,  die anderen möglichst geschlossen halten» «Die einen wollen die Schleusen komplett öffnen,  die anderen möglichst geschlossen halten»

VICTOR KÄLIN

Doch etwas überraschend hat der Nationalrat mit 98 zu 85 für das Stimmrechtsalter 16 gestimmt. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema? Ich habe für das Stimmrechtsalter 16 gestimmt. Wenn man die Jungen einbindet und ihnen Verantwortung übergibt, entsteht eine Dynamik und es findet eine Horizonterweiterung statt, die sich positiv auswirken kann. Ich glaube aber nicht, dass Abstimmungen und Wahlen anders herauskommen, wenn zukünftig 16- und 17-Jährige abstimmen können. Im Ständerat erwarte ich ein knappes Resultat gegen Stimmrechtsalter 16. Vergangene Woche kippte der Ständerat die Corona-Hilfe für Selbständige weitgehend aus dem Covid-19-Gesetz. Der Nationalrat beharrt aber auf dem Erwerbsersatz. Wie beurteilen Sie diese Frage? Das Covidgesetz ist in der Differenzbereinigung. Aus meiner Sicht braucht es den Erwerbsersatz für Selbständige, wenn der Umsatz um die Hälfte einbricht. Unternehmen in der Event-, Schausteller- und Reisebranche sind von der Krise sehr stark betroffen. Wenn nicht geholfen wird, kommt es unter dem Strich den Staat teurer zu stehen. Beide Räte tun sich schwer mit diesem Gesetz. Die einen wollen die Geldschleusen komplet öffnen, die anderen möglichst geschlossen lassen. Bleiben wir bei der Corona-Hilfe: Beim Massnahmenpaket zugunsten der Kultur ist ebenfalls noch keine Einigung in Sicht. Wie der Bundesrat will der Ständerat für das nächste Jahr 80 Millionen Franken zur Unterstützung von Kulturunternehmen bereitstellen. Der Nationalrat will 100 Millionen Franken sprechen. Wo stehen Sie? Als Mitglied der Finanzkommission sehe ich die Milliardenbeträge, die schon gesprochen wurden. Der Nationalrat hat die Tendenz, immer mehr auszugeben. Ich ärgere mich, wie leichtfertig der Nationalrat mit den Steuergeldern umgeht. 80 Millionen für Kulturunternehmen erachte ich als genügend.

Corona hält die Schweiz unverändert im Griff. Forderungen an den Staat nach finanzieller Unterstützung bleiben aktuell. Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung? Einen zweiten Lockdown kann sich die Schweiz nicht leisten. Teile der Wirtschaft würden damit an die Wand gefahren. Bis jetzt hat die Krise den Bund mehr als 20 Milliarden Franken gekostet. Fast täglich werden neue Forderungen gestellt. Es ist schwierig, alle Begehren abzudecken.

Wechseln wir zur Familienpolitik: Der Nationalrat hat einen Vorstoss abgelehnt, der den Kündigungsschutz für Mütter nach der Geburt auf 32 Wochen ausdehnen wollte. Es bleibt somit bei 16 Wochen. Ein Kündigungsschutz von 16 Wochen ist genügend. Eine Ausweitung des Kündigungsschutzes halte ich für übertrieben. Hohe Wellen wirft derzeit die SVP: Sie empfiehlt ihren Bundesrichter Yves Donzallaz zur Abwahl. Ein Aufruf, dem die anderen Parteien kaum Folge leisten werden …

Es ist problematisch, wenn die Politik in die Judikative eingreift und Richter unter Druck setzt, wenn sie Urteile fällen, die gewissen Parteien nicht passen. Ich werde Bundesrichter Donzallaz wiederwählen. Es ist aber das Recht der Parteien, Bundesrichter nicht mehr zu wählen. Es wurden ja auch schon Bundesräte nicht mehr gewählt.

Blicken wir noch etwas voraus: Am 27. September gibt’s gleich fünf eidgenössische Abstimmungen. Ist das im Bundeshaus noch ein Thema? Wird da noch lobbyiert? Es werden noch Fotos gemacht für letzte Aktionen in den sozialen Medien und Inserate, ansonsten sind wir schon bei den kommenden, nächsten Abstimmungen vom 29. November. Ich habe bereits verschiedene Anfragen für eine Teilnahme an Podien zur Konzernverantwortungsinitiative und der Initiative für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten erhalten. Zum Schluss noch die Frage nach der eigenen Befindlichkeit: Wie verläuft die Session im Bundeshaus angesichts der Corona-Massnahmen? Die Boxen im Ratssaal und allen Sitzungszimmern sind nach wie vor sehr gewöhnungsbedürftig. Fast alle Personen bewegen sich innerhalb des Bundeshauses mit Maske. Besuchergruppen sind nach wie vor nicht zugelassen. Es ist ruhiger im Haus als in normalen Zeiten.

«Der Staat schützte uns nicht»

Einsiedeln. Edwin Beelers Film «Hexenkinder» zeigt, wie in der Gewalt an Kindern in Schweizer Heimen dunkelstes Mittelalter weiterlebte. Weil sie das Bett nässt, tunkt sie die Schwester Nacht für Nacht in kaltes Wasser. Sie sei vom Teufel besessen, muss sie sich anhören. Sittlich verwahrlost. MarieLies Birchler, geboren 1950, eine Kindheit im Waisenhaus Einsiedeln. «Ich hatte den ganzen Tag Angst», erinnert sie sich.

Anhand von Einzelschicksalen erzählt der Film, wie im Namen der Religion in der Schweiz im letzten Jahrhundert zahllose Kinder von ihren Familien getrennt, in Heimen untergebracht und vom Erziehungspersonal beider Konfessionen gequält und missbraucht wurden. Ihr Schicksal hallt bis heute nach – und erinnert auch an viele Kinder und Jugendliche, die in der frühen Neuzeit der Unholderei bezichtigt, gefoltert und zu ihrem angeblichen Seelenheil oft auch hingerichtet wurden.

«Ein so aufwühlender wie bestärkender, wunderbarer Film.» (Luzerner Zeitung) – man beachte auch die Seite 13

«Hexenkinder» Freitag/Samstag/ Sonntag 18./19./20. September je 18 Uhr. Montag/Dienstag 21./22. September je 20.15 Uhr, darüber hinaus bis auf Weiteres im Programm der Cineboxx

Share
LATEST NEWS