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Einsiedler Zunft ist 400 Jahre alt

Einsiedler Zunft ist 400 Jahre alt Einsiedler Zunft ist 400 Jahre alt

Die löblichen vier Zünfte von Einsiedeln werden am 29. Juni 400 Jahre alt. So richtig gefeiert wird aber erst im nächsten Jahr.

ERNST-LOUIS BINGISSER

Nicht selten reagieren Leute mit Erstaunen, wenn ihnen gesagt wird, man sei ausnahmsweise unabkömmlich wegen eines bestimmten Zunftaufgebotes. «Was! In Einsiedeln gibt es eine Zunft?» ist meistens die Reaktion. «Ja, eine solche gibt es, und am 29. Juni 2020 gibt es die Einsiedler Zünfte seit sage und schreibe 400 Jahren.» Das wäre wahrlich eine Jubiläumsfeier wert. Und so war es auch geplant. Aber wegen der Corona- Pandemie muss diese «volens nolens» auf später verschoben werden. Auf 2021.

Vier verschiedene Zünfte

Streng genommen drückt die Bezeichnung «Zunft» in der Waldstatt (das ist der historische Name für Dorf und Bezirk Einsiedeln) nur die halbe Wahrheit aus. Denn seit bald 300 Jahren sind in der hiesigen Zunft vier verschiedene Zünfte zusammengeschlossen: die Zunft der Metzger und Bäcker, die Zunft der Schneider und Weber, die Zunft der Schuhmacher und die Zunft der Geschenkten. Obschon nur noch eine verschwindend kleine Anzahl «Meister und Gesellen» die erwähnten Berufe ausüben, halten die Zünfter an diesen von alters her überlieferten Namen traditionsbewusst und auch mit einem gewissen Stolz fest.

Jede einzelne Zunft zählt rund 20 Zunftherren, die eine etwas mehr, die andere etwas weniger. Am letzten Sonntag des katholischen Kirchenjahres, am letzten Sonntag vor dem Advent, findet jeweils die grosse gemeinsame Versammlung der vier Zünfte, das sogenannte Generalbot, statt. Nach alter Tradition findet sich zu diesem Anlass die grosse Schar sonntäglich gekleideter, eher etwas älterer Zünfter bei der Gnadenkapelle zum feierlichen Gottesdienst ein. Anschliessend halten sie im Dorf ihre alljährliche gemeinsame Jahresversammlung ab. Diese findet seit 1956 ausschliesslich im Zunftsaal des Hotels Bären statt. Auch im 2014 neu eröffneten bekannten Gastronomiebetrieb ist dafür dank Urs und Fränzi Schefer wieder ein schöner neuer Zunftsaal entstanden. Josef Roos – ein unverzichtbares Faktotum In der vom Generalbotsweibel erlassenen Einladung zum Generalbot steht jedes Mal «Mitmachen ist Ehrensache». Als Generalbotsweibel amtet für die Zunft als unverzichtbares Faktotum seit vielen Jahren der Zünfter Josef Roos, ehemaliger Geschäftsleiter der Bücherdienst AG Einsiedeln. Den für ein Jahr gewählten Präsidenten könnten «Business-English-Fans» etwas übertrieben CEO nennen; für die Zünfter heisst er seit alters her «Vogt». Im Jubiläumsjahr 2020 hat Victor Kälin, Chefredaktor des Einsiedler Anzeigers, als geschickter Akteur das ehrenvollste Amt der Zunft inne. In seiner Arbeit wird der Vogt unterstützt vom Vorstand, vom sogenannten Generalbot, so auch vom Schreiber und dem Quästor (Kassier). Eine alte Tradition will, dass die Hauptversammlung durch einen Ehrenpräses, einen Vertreter aus dem Kloster, abgeschlossen wird – in den letzten Jahren regelmässig mit einer kurzen, heiteren, intelligenten Schlussrede von Abt Urban Federer.

Dem Generalbot geht beispielsweise bei den Schuhmachern ein Monat früher das Crispinbot voraus. Im hier schon mehrmals vorgekommenen Wortteil «Bot» fallen zwei Bedeutungsstränge zusammen; zum einen ist es zurückzuführen auf «Gebot» im Sinne von «gebieten, anordnen, leiten», zum andern auf «Aufgebot, Einladung, Zusammenkunft». Für die Zünfter bedeutet der (!) Generalbot der Vorstand der vier Zünfte, andererseits das (!) Generalbot die Generalversammlung der Zünfte. Der Name Crispinbot seinerseits bezieht sich auf Crispinus und Crispinianus. Das sind die beiden Patrone der Schuhmacher nicht nur der Zünfte, sondern ganz allgemein. Ursprünglich von Rom, sollen sie im 4. Jahrhundert im Gebiet des heutigen Lothringen Schuhe bester Qualität hergestellt und mit dem reichlich verdienten Geld die vielen Armen unterstützt haben. Weil sie dem dortigen Präfekt und Christenverfolger aber als Anhänger Christi angezeigt worden waren, mussten sie den Märtyrertod erleiden. Mehr Heiligkeit geht fast nicht

Auch die anderen drei Einsiedler Zünfte hatten sich ehemals nach alter religiöser Tradition unter ein Patronat gestellt, so standen die «Metzger und Bäcker » unter dem Schutz des Namens Jesu und die «Geschenkten » sinnvollerweise unter dem Patronat des heiligen Martins. Wohl weil den Schneidern und Webern mehrere Schutzpatrone zugeordnet werden können, ist in dieser Zunft das Patronat nicht so klar ausgeprägt und wird auch weniger bewusst wahrgenommen.

Demgegenüber werden von der im Jahre 1620 neu gegründeten Einheitszunft, identisch mit einer vom damaligen in Einsiedeln geborenen Abt Augustin Hofmann von Baden geförderten Bruderschaft, die Schutzpatrone schon in der Präambel ganz klar feierlich bezeichnet. Da gelobt die entsprechende Bruderschaft und Zunft, «sich unter den Schutz der Allerheiligsten Dreifaltigkeit und der Gottesmutter Maria und des heiligen Erzengels Michael und des heiligen Märtyrers Mauritius zu stellen». Da kann man nur noch sagen, mehr Heiligkeit geht fast nicht. Und dennoch wurde das 30 Jahre später noch überboten. 1650 – zur Zeit des einzigen Klostervorstehers, der einer Einsiedler Familie entstammte – bemühte sich die damalige klösterliche Geistlichkeit unter Abt Plazidus Reimann, die Handwerksbruderschaft von Einsiedeln in Rom in die Erzbruderschaft zur Verehrung des heiligen Altarsakramentes aufzunehmen. Schon ein Jahr später traf die ersehnte Bulle aus dem Vatikan im Kloster Einsiedeln ein und der Abt konnte in der Klosterkirche mit der hocherfreuten Geistlichkeit und der löblichen Zunft feierlich dieser Aufnahme gedenken.

Somit wurde Fronleichnam (Abendmahlsgedenktag) auch das Bruderschaftsfest. Mit dieser grossen Ehre war für die Zunft die Verpflichtung verbunden, sich von nun an an verschiedenen Aufgaben damals wichtiger religiöser Traditionen zu beteiligen, so zum Beispiel bei den Prozessionen. Jetzt wird auch verständlich, warum Fronleichnam aus religiöser Sicht zu einem der wichtigsten Anlässe der löblichen Einsiedler Zünfte geworden ist.

Business-EnglishFans würden den Vogt als CEO bezeichnen.

Eine im Kloster aufbewahrte Copia hält die 1620 erfolgte Gründung der Zunft fest. Fotos: Archiv Zunft Einsiedeln

So kennt man die Zunft: als Himmelträger mit dem Allerheiligsten am Fronleichnamsfest.

Der von Oswald Effinger wunderschön geschaffene Zunftbecher aus dem Jahre 1703.

Zum Autor

Vi. Ernst-Louis Bingisser ist seit 1995 Mitglied der Schuhmacherzunft von Einsiedeln. Im Jahr 2012 stand er als Vogt allen vier Zünften vor. Der Historiker und ehemalige Sprachlehrer (lic.phil.) ist im Klosterdorf aufgewachsen und wohnt in Kempraten. Zu seinen Hobbys zählen Lesen, Wandern, Musik hören, Zeichnen und die Besichtigung fremder Städte. Regelmässig trifft man Ernst-Louis Bingisser in Einsiedeln an – unter anderem als sprachversierten Klosterführer.

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