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Auch Johann Baptist Babel war ein Zünfter

Auch Johann Baptist Babel war ein Zünfter Auch Johann Baptist Babel war ein Zünfter

ERNST-LOUIS BINGISSER

Während man bei den Schneidern und Webern über das Patronat Fragen stellen kann, können wir bei der «Geschenkten Zunft» über ihren Namen rätseln. Die Akten lassen nicht viel Konkretes darüber verlauten. Aber etwas ist erwiesen. Ehemals in Einsiedeln eingetroffenen ausgewiesenen Berufsleuten, die ein anderes Handwerk ausübten als es bei den drei anderen beruflich klar definierten Zünften Brauch war, wurde empfohlen, sich bei den Geschenkten zu bewerben. Eine ganz grosser Bildhauer

Aus dem Jahre 1814 zum Beispiel ist bekannt, dass der damalige Statthalter des Klosters mit den «Geschenkten» eine Übereinkunft traf, damit seine Gesellen der Glaserei und Schlosserei von diesen aufgenommen werden. Es ist anzunehmen, dass das auch für Johann Baptist Babel (1716–1799) zutrifft. Babel war einer der ganz grossen barocken Bildhauer seiner Zeit und stand im Dienste von Nikolaus Imfeld, von 1734 bis 1773 langjähriger Einsiedler Fürstabt. Babels Aufnahme in die Einsiedler Zunft und deren Bruderschaft im Jahre 1777 ist belegt. Somit dürfte es auch kein Zufall sein, dass abweichend von den drei anderen Zünften auch heute noch rund die Hälfte der «Geschenkten» Nicht-Einsiedler sind.

Dieses Vorrecht der Geschenkten hat sich jedoch erst im Verlauf der Zeit eingebürgert. Die Zunftordnung von 1620 führt einerseits Bestimmungen sowohl gewerblichen als auch religiösen Inhalts auf, andererseits eine beträchtliche Anzahl Berufe, letzteres höchstwahrscheinlich nach noch viel älterer Übung hiesiger Berufsgruppen. So waren 1620 neben den hier schon mehrmals genannten Berufen auch noch Hafner, Ofner, Zimmerleute, Walker, Strumpfwirker, «Bettlindreher» und andere mehr vollberechtigt in der Zunft. Das führte längerfristig dann aber dazu, dass die grosse Zahl Zünfter eine von allen mitgetragene Tätigkeit erschwerte und die einzelnen Berufe immer mehr ihre besonderen Interessen verfolgten. Und so kam es 1731 zur Aussonderung einiger Berufsgruppen und zu einer gezielten Konzentration auf die vier heute noch bestehenden Handwerkerzünfte.

Zünftisch organisierte Genossenschaften gab es anfänglich nur in den Städten und dort schon sehr früh. Im deutschsprachigen Raum findet sich ein derartiger gewerblicher Verband erstmals 1226 in Basel. Hundert Jahre später begannen sich auch in kleineren Ortschaften immer mehr Handwerkervereinigungen zu organisieren. Ihre Anliegen waren anfänglich weit weniger Machtansprüche und Gewinnmaximierung, sondern die Sicherung des Lebensunterhaltes des Einzelnen und der so organisierten Berufe und letztlich der ganzen Dorfgemeinschaft. Mit gerechten Löhnen und «anständigen » Preisen sollten die Übervorteilung welcher Art auch immer eingedämmt und andererseits wirtschaftlich sinnvolle Produktionsmengen und Qualitätsvorschriften festgelegt sowie der Schutz vor auswärtiger Konkurrenz gesichert werden. Ein weiteres wichtiges Anliegen war die Ausbildung der Gesellen zu Berufsleuten, von denen erwartet wurde, dass sie ihr Handwerk «comme il faut» beherrschten. Das sollte zur Existenzsicherung beitragen, welche diskret, aber verständlich von den Frauen erwartet und von den Behörden bewusst gefördert wurde. In jüngeren Jahren kam den Gesellen diese Ausbildung auch zugute auf der jahrhundertelang üblichen «Walz» (Berufswanderung), auf der sich die Handwerksburschen «in fremden Landen» nicht nur ihre Abenteuerlust zu befriedigen hofften, sondern vor allem zusätzliche unerlässliche Berufs- und Lebenserfahrungen erwerben konnten. Einsiedler Krankenkasse geht auf die Zunft zurück Nicht nur in Einsiedeln, sondern in ganz Europa machten sich die Zünfte bis zur Französischen Revolution (vor 1789) vielerorts für eine würdige Gestaltung der Friedhöfe und ein aktives Mitwirken in der Feuerwehr stark. Wie in Einsiedeln lebte generell in den katholischen Stammlanden der Alten Eidgenossenschaft allgemein in den Zünften das Bewusstsein als eine religiöse Bruderschaft, welcher das Seelenheil ihrer Mitglieder und deren Familien ein ganz besonderes Anliegen war.

Zudem engagierten sich die Einsiedler Zünfte zusammen mit bestimmten hiesigen Männer- und Frauenvereinen mehrmals jährlich dafür, dass die Prozessionsaltäre, die in nächster Nähe zum Kloster, aber auch unten im Dorf zu stehen kamen, rechtzeitig und sicher aufgestellt und religiös sinnvoll und dekorativ geschmackvoll ausgestattet wurden. Die Einsiedler Zunft hatte früher sogar die Entlöhnung des ehemals im Rathaus tätigen Schulmeisters übernommen. Von der Zunft, insbesondere den «Metzgern und Bäckern», ging auch die Gründung der ersten, heute noch bestehenden «Einsiedler Krankenkasse» aus. Vieles wurde übernommen, einiges ging verloren Es überrascht sicher nicht, wenn abschliessend festgestellt wird, dass viele einst von der Zunft wahrgenommenen Aufgaben und Interessen von staatlichen Institutionen, den öffentlich zugänglichen Berufsschulen und Gewerbeverbänden übernommen worden sind. Ebenso wenig überrascht es, dass einiges des einst zusammen mit dem Kloster von den Zünften vorbildlich gepflegten Brauchtums infolge fortschreitender Technik, des ungemein höheren Wohlstands und der allgemeinen Verweltlichung verloren gegangen ist.

Dessen ungeachtet sind die Einsiedler Zünfte weiterhin bestrebt, in gutem Einvernehmen mit dem Kloster und dem Bezirk im Interesse der breiten Öffentlichkeit politisch, sozial und religiös neue Ideen zu entwickeln und sich um gute Lösungen zu bemühen. Das wird weiterhin einer der Hauptzwecke der löblichen vier Zünfte von Einsiedeln bleiben, ohne dabei die Pflege alter Traditionen und der Geselligkeit hintanzustellen.

In diesem Sinn soll auch das einzigartige 400-Jahr-Jubiläum begangen werden, wenn nicht dieses Jahr, dann sicher im nächsten Jahr, und zwar mit berechtigtem Stolz, mit Freude, Genugtuung und Begeisterung und insbesondere auch mit einem zuversichtlichen Blick in die Zukunft.

Hafner, Ofner, Strumpfwirker und «Bettlindreher» … wurden im Jahr 1731 ausgesondert. Die Zünfte dienten unter anderem zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Glasmaler und Heraldiker Meinrad Liebich (1909–1980) schuf die vier Glasscheiben der Zunft – hier die Metzger und Bäcker.

Der 1791 präzis gestochene und kunstvoll umrahmte Gesellenbrief der Einsiedler Zünfte von Dominik Oechslin. Fotos: Ernst-Louis Bingisser

Schön gestaltete Glasscheibe der Zunft der Schuhmacher. Alle vier Glasscheiben sind in der Zunftstube im Bären zu sehen.

Ausdrucksstark: die Glasscheibe der Schneider- und Weber-Zunft.

Zunft der Geschenkten mit dem sinnigen Motiv des heiligen Martins.

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