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Heilige Maria

Heilige Maria Heilige Maria

BRIEF AUS DEN USA

Der Gletscher der heiligen Maria bietet den Bewohnern von Denver eine willkommene Abkühlung während der Sommerhitze. Dank einer kurzen, aber steilen Wanderung durch den schattigen Wald ist der Gletscher gut erreichbar und somit ein Mekka für Möchtegern- Bergsteiger. Die für amerikanische Verhältnisse kurze Anfahrt von einer Stunde lädt manche zu einem Tag in der Höhe ein. Hier, auf 3200 Metern über Meer, ist es mindestens 15 Grad kühler als in der Metropole.

Im Sommer tummeln sich Skifahrer, Snowboarder und Hunde auf dem Gletscher. Manch ein Paar bringt die Hängematte mit und lässt am Rande des Sees für mehrere Stunden die Seele baumeln. Kinder spielen am Ufer des Bergsees und balancieren gekonnt über Baumstämme. Der Grossvater schleppt die Kühltruhe und den Klappstuhl an, während der Enkel eifrig die Fischerrute testet. Jugendliche finden hier eine ideale Umgebung für eine Mutprobe. Sie klettern barfuss über die Felsen und wagen es, sich 15 Meter ins kalte Wasser zu stürzen. Die Zuschauer applaudieren. Keuchende Mountainbiker spritzen sich das kalte Wasser ins Gesicht. Manch ein Eichhörnchen und Streifenhörnchen saust in der Hoffnung auf ein paar Überresten um die Leute herum. Der Gletscher ist neuerdings auch eine Hochzeitsdestination. Nicht selten wird sich hier das Ja-Wort gegeben und Champagner oder Bier getrunken.

Der Gletscher der heiligen Maria verdient aber den Namen schon lange nicht mehr. Die typischen Gletscherspalten fehlen. Der Gletscher beeinflusst die Landschaft um sich herum schon längst nicht mehr und von einer Bewegung der Eismasse ist weit und breit nichts zu sehen. Bei genauer Betrachtung handelt es sich ganz einfach um ein halb-permanentes Schneefeld.

Auf der Landkarte sind 14 Gletscher im Gebiet der Rocky Mountains in Colorado aufgelistet. Selbst die Experten sind sich streitig, wie viele von den winzigen Gletschern heute noch als echte Gletscher gelten würden. Sie alle wurden vor langer Zeit als Gletscher bezeichnet und eine Umbenennung ist kaum eine Priorität. Nur zwei kleine Gletscher fliessen mit Sicherheit noch immer unter ihrem eigenen Gewicht vor sich hin. Vor 15’000 Jahren hatten diese noch zahlreiche echte Gletscher- Nachbarn.Die Rocky Mountains wurden von Gletschern geformt. Die meisten schmolzen aber bereits vor 11’000 Jahren dahin. Mittlerweile bieten die Schneefelder ein dankbares Reduit für die von der Sommerhitze und den Welt-Ereignissen ermüdeten Einwohner von Denver und der Umgebung. Für ein paar Stunden kann man alle Sorgen hinter sich lassen und etwas Bergluft schnuppern. Mir schien, dass der Parkplatz an diesem Junimorgen besonders gut besetzt war und sich dieses Jahr mehr Leute in die ruhige Umgebung des falschen Gletschers aufmachten. Regula Grenier * Die Einsiedlerin Regula Grenier-Flückiger (*1973) zügelte 2007 nach Denver im amerikanischen Bundesstaat Colorado, am Fusse der Rocky Mountains. Seit 2011 wohnt sie im Nachbarort Thornton. Dort kamen 2011 Sohn Cody Frederick und 2015 Tochter Stephanie Nova zur Welt.

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