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«Ob der erwartete Anstieg noch kommt, weiss ich einfach nicht»

«Ob der erwartete Anstieg noch kommt, weiss ich einfach nicht» «Ob der erwartete Anstieg noch kommt, weiss ich einfach nicht»

Im Umgang mit dem Coronavirus rät der Einsiedler Bezirksarzt Dr. Fabrizo Verga zu Vorsicht statt Panik. Das Interview wurde am Donnerstag, 9. April, geführt.

VICTOR KÄLIN

Am 30. März wurde beim Gebäude von MedicoPlus an der Spitalstrasse das Corona-Testzentrum eröffnet. Bewährt es sich? Ja, es bewährt sich und erfüllt seine Aufgabe. Organisation und Leitung des Praxiszentrums liegen bei Dr. med. Simon Stäuble. Warum braucht es überhaupt ein solches Zentrum? Ziel des Testzentrums ist, dass nebst der nötigen Coronatests auch diejenigen Patienten mit Coronasymptomen direkt dort vom Hausarzt untersucht werden. Damit halten wir unsere Hausarztpraxen möglichst frei von Corona-Fällen und können uns den unbedingt nötigen Kontrollen unserer chronisch kranken Patienten und all den anderen Neuerkrankungen widmen.

Wir signalisieren damit allen Nicht-Corona-Patienten, und hier wiederum besonders den älteren, dass sie vor einem Arztbesuch keine Angst haben müssen. Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung in einer Hausarztpraxis in unserer Talschaft ist damit äusserst gering – ich denke geringer als zum Beispiel beim Einkaufen.

Damit sind wir in der Lage, die Vorgaben des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) umzusetzen. So sollen besonders gefährdete Personen geschützt und das Spital Einsiedeln entlastet werden, damit es die Kapazitäten behält für die wirklich schweren Fälle. Wie viele Tests gab es bisher?

Per 9. April gab es in Einsiedeln 127 ambulante Tests – also im Zentrum und den Arztpraxen. Im Spital wurden zusätzlich 128 Tests durchgeführt. Insgesamt 17 Personen wurden positiv getestet. Drei Patienten mussten hospitalisiert werden; bei einer Person war der Ausgang der Krankheit bisher tödlich. Wer wird vor allem dort getestet? Und wer nicht? Auch hier befolgen wir die Vorgaben des BAG. Getestet wird, wer akute Atemwegssymptome aufweist in Verbindung mit weiteren schweren Symptomen wie Lungenentzündung oder Atemnot. Auch Risikopersonen mit Atemwegssymptomen werden getestet. Und natürlich die Gesundheitsfachpersonen in Spitälern und Heimen, welche in direktem Patientenkontakt stehen.

Genügt das Ihrer Meinung nach? Ja. Das ist genügend. Denn der Test selbst heilt niemanden. Was bringt ein Corona-Test überhaupt? Welche verlässlichen Aussagen kann man von ihm erwarten? Ist der Test negativ, wenn also kein Nachweis auf Corona erbracht wird, kann die betreffende Person wieder zur Arbeit gehen. Was insbesondere für das Gesundheitspersonal sehr wichtig ist.

Ist der Test positiv, die Person also mit dem Virus angesteckt ist, verhängen wir im Regelfall eine häusliche Quarantäne. Damit soll die weitere Verbreitung eingedämmt werden. Nur bei schweren Symptomen weist der Hausarzt die Patienten ins Spital ein. Die allermeisten Personen können das Coronavirus zu Hause auskurieren – wie eine normale Grippe.

Wie viele in Prozent können das Virus alleine auskurieren?

Diese Zahlen liegen uns nicht vor – weder aus China, noch aus der Schweiz oder anderen Ländern. Das macht quantifizierbare Aussagen auch sehr vage. Dazu bräuchte es eine flächendeckende Untersuchung aller Personen.

Wir kennen die Dunkelziffer der effektiv infizierten Personen nicht, da viele eben keine besonderen Symptome aufweisen. Ihr Anteil kann sehr gross sein, aber auch viel kleiner, als da und dort hochgerechnet. Kurzum: Wir wissen es einfach nicht. Ist immun, wer den Virus nachweislich gehabt hat? Auch hier kann die Wissenschaft noch keine ganz präzisen Angaben machen. Ist es wie bei einer normalen Grippe, bei der man immun ist bis zur nächsten Saison? Oder ists eher wie bei einer Kinderkrankheit mit einer lebenslangen Immunität? Zum Thema Coronavirus ist alles noch kurzfristig; die Erfahrungswerte fehlen. Die Wissenschaft macht täglich Fortschritte – zum Beispiel auch mit dem Nachweis von Antikörpern.

Doch auch für jene, welche eine Corona-Ansteckung überstanden haben, gelten die allgemeinen Verhaltensregeln wie Abstandhalten und Händewaschen unverändert weiter: Man kann nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass diese Menschen die Krankheit nicht doch noch übertragen können. Was bringt der Test eben nicht?

Er ist kein Allheilmittel, sondern vor allem ein arbeitstechnisches Tool: Er besagt, ob ich wieder zur Arbeit gehen kann, oder zu Hause bleiben muss. Aber sonst löst er kein Problem. Unterschiedliche Ansichten gibt es auch zum Tragen von Schutzmasken (FFP2- und FFP3-Standard). Was empfehlen Sie? Ich verweise auch hier auf das BAG: Es gibt keine generelle Pflicht zum Tragen einer Maske. Anders im Gesundheitswesen: Dort ist es Pflicht. Als Selbstschutz kann es Sinn machen. Wie schätzen Sie als Bezirksarzt in unserer Region die allgemeine Lage ein? Es ist ruhig. Wir verzeichnen sehr wenig infizierte Personen, alle gesundheitsrelevanten Einrichtungen funktionieren einwandfrei. Der erwartete Anstieg ist noch nicht eingetroffen … Kommt dieser Anstieg tatsächlich?

(Überlegt) Ich weiss es einfach nicht. Aber wir wären vorbereitet. Das Testzentrum ist ja gerade im Hinblick auf deutlich höhere Zahlen eingerichtet worden. Welche Sorgen der Bevölkerung, der Patienten nehmen Sie als Bezirksarzt wahr? Ich spüre eine Verunsicherung, Angst. Diese wird teilweise auch durch die Medien hervorgerufen …

Inwiefern?

Im Fernsehen, Internet und in Zeitungen wird fast stündlich die Zahl der Corona-Toten nachgeführt. Überall und dauernd hören und lesen wir von steigenden Zahlen. Sie stehen aber in keinem Verhältnis zu anderen Epidemien, welche teilweise sogar höhere Todesfallraten aufweisen. Die Zahl der Corona-Toten steht für sich isoliert und ist absolut. Das macht jedem Angst.

Wird übertrieben?

Die Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Virus ist gut; Angst aber unnötig. Wenn Leute aus Angst vor einer Corona-Ansteckung die Arztpraxen meiden, verhindert dies die notwendige medizinische Betreuung. Dabei sind für ältere, immobile Menschen mit schweren gesundheitlichen Problemen gar Hausbesuche möglich. Und was vernehmen Sie noch?

Immer wieder spüre ich Ärger über den teilweisen Shutdown; viele Leute sorgen sich um die immensen ökonomischen Folgeschäden.

Und welche Corona-Sorgen haben Sie als Bezirksarzt? Selbst wenn alle Erkrankungen und jeder einzelne Todesfall tragisch ist, bereitet mir das Coronavirus keine übertriebenen Sorgen. Auch deshalb, weil wir uns mit den entsprechenden Strukturen gewappnet haben. Die Ziele des Bundesamtes für Gesundheit zur Eindämmung des Virus müssen wir ernst nehmen. Dennoch gehört das Schlusswort der Natur …

«Die selektiven Untersuche genügen. Denn der Test selbst heilt niemanden.»

Spürt in der Bevölkerung «Verunsicherung und Angst»: Bezirksarzt Dr. Fabrizio Verga.

Foto: Victor Kälin

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