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«S schüch Anneli» wird 95-jährig

«S schüch Anneli» wird 95-jährig «S schüch Anneli» wird 95-jährig

Geistig fit feiert die heute noch rüstige Einsiedlerin Anna Studerus-Kälin morgen Mittwoch ihren 95. Geburtstag

Ihre Weihnachtsguetzli und ihre Bebefinkli sind legendär, ihr Flair für Zahlen und ihr Gedächtnis beim Jassen schon fast unheimlich, ihre direkte und gastfreundliche Art und ihr offenes Haus für alle sympathisch und ihr Einsatz für die Gesellschaft und vor allem für ihre grosse Familie vorbildlich.

MARLIES MATHIS

«S isch scho eine gschtorbe bim Mischle», wirft Anna Studerus am vergangenen Freitagabend trocken in die Runde, als sie Heidi Reichmuth beim Mischen der Jasskarten zuschaut, schliesslich will die 95-Jährige, dass es zügig weitergeht. Die Seniorin ist wie immer der Knecht, wenn ihre Tochter Anna, deren Partner Walti und ich, die Schreiberin, wieder einmal einen gemütlichen Jassabend verbringen. Will sagen, dass sie bei jedem Spiel von einem Paar zum andern wechselt und dann am Schluss immer zu den Gewinnern gehört.

Das heisst aber nicht, dass sie das locker nimmt, im Gegenteil. Sie kann sich an jede Karte erinnern, und ist ein richtig alter Fuchs, der sich schelmisch über ein gelungenes Spiel oder übers Stechen mit der letzten Karte freuen kann. Sie macht aber auch ihre Mitspieler unverzüglich darauf aufmerksam, wenn sie einen Fehler begangen haben, hat sie doch jeden Spielzug der letzten Runde noch im Kopf. Noch unglaublicher ist es, in welchem Tempo sie die Karten zählt und ausrechnet, was auf die Tafel zu schreiben ist. Da müsste sich mancher sputen, wenn er mit ihr mithalten möchte, und es ist wohl auch der beste Beweis dafür, dass Jassen bis ins hohe Alter geistig fit hält.

Anna Studerus erzählt dann auch, dass ihr dieses Spiel schon fast in die Wiege gelegt worden sei. Geboren in der Frohen Aussicht in Bennau, sei sie schon als kleines Mädchen oft bei ihrer Gotte «Bäsi», welche dort wirtete, im Gasthaus gesessen und habe zugeschaut, wie die Gäste gejasst haben. Sie habe sogar einmal eine Dame darauf aufmerksam gemacht, dass sie eine falsche Karte gegeben habe, was dann aber gar nicht gut angekommen sei, wie sie rückblickend lachend meint. Sie sei ja eigentlich als Kind und auch später noch sehr scheu gewesen. Das habe ihr übrigens auch den Übernamen «s schüch Anneli», wie der Titel des Gedichts aus dem ersten Band des «Schwäbelpfyffli» von Meinrad Lienert, eingetragen.

Das Jassen aber habe sie in all den Jahren begleitet, wenn sie auch nicht immer Zeit dafür gefunden habe. Gerade als junge Frau, die, nach der obligatorischen Schulzeit in Bennau, dem Institutsjahr in der Westschweiz und einigen Stellen in der Region, wo sie jeweils am liebsten als Verkäuferin im Laden gearbeitet habe, ihrer Heirat mit Anton Studerus und der eigenen jungen Familie, sonst genug um die Ohren gehabt habe.

Die «Grossstadt» Einsiedeln

Ich durfte denn auch am Samstagmorgen das Interview in ihrem Haus «Arve» an der Eisenbahnstrasse 11 in Einsiedeln weiterführen, schliesslich war sie am Abend zuvor zum Jassen und nicht zum Schwatzen bei mir gewesen.

Anna Studerus oder «s Mutti », wie sie bis heute von ihren drei Töchtern, den zwei Söhnen, den 15 Grosskindern, den 15 Urenkeln, allen Angeheirateten und gar von vielen Bekannten genannt wird, erzählt sogleich, dass ihr Vater dieses Haus 1938/39 gebaut, sie sich aber zu Beginn hier überhaupt nicht daheim gefühlt habe. Der Wechsel vom beschaulichen Bennau in die «Grossstadt» Einsiedeln sei für sie ein richtiger Schock gewesen, sie habe sich mit 15 Jahren nicht einmal getraut, allein an der Hauptstrasse Milch zu holen!

Das Dreifamilienhaus, in dem sie nun seit 80 Jahren wohnt, ist aber inzwischen längst ihre Heimat, und sie fühlt sich am wohlsten hier, zumal sie da auch ohne Stock, der ihr sonst als Gehhilfe dient, auskommt, weil ihr das Gleichgewicht ab und zu einen Streich spielt. Doch auch für alle anderen, seien es Familie, Verwandte, Schulkollegen, Freunde oder Nachbarn, war die Arve sprichwörtlich immer ein offenes Haus und war und ist der gute Geist von Anna überall zu spüren. Vielleicht sei es auch Bequemlichkeit gewesen, dass sie selber nicht habe hinausgehen müssen, sinniert die Frau, sie sei halt immer eine «Gluggere » gewesen.

Noch nie eine Konfitüre gekauft

Dass ihr einnehmender und offener Charakter und ihre Talente als Hausfrau und Mutter, sei es beim Kochen, Backen, Stricken, Nähen und Flicken oder beim Kinderhüten im Haus oder weiter weg, aber von allen geschätzt wurden, zeigt sich auch heute noch daran, dass sie häufig Besuch von Klein und Gross bekommt, für die «s Mutti» wie eine Freundin ist. Was für sie selber eine Selbstverständlichkeit war und ihr Leben geprägt hat, wird von allen gerühmt und geliebt. Ihre gesellige und unkomplizierte Art wirkt ganz einfach anziehend und man fühlt sich in ihrer Nähe wohl. Und die leckeren selbstgemachten Konfitüren und erst ihre verschiedensten feinen Sorten Weihnachtsguetzli, die sie oft verschenkte, oder die unzähligen Kuchen für den Chilbistand der Pfarrei Einsiedeln waren geradezu legendär.

Dass sie als Mitglied des Einsiedler Müttervereinsvorstands nach der Eröffnung des Altersheims Gerbe während vielen Jahren für die Einteilung des Personals in der Cafeteria zuständig und wenn Not am Mann oder besser an der Frau war, auch immer selber einsprang, erfahre ich nebenbei. Genau so, dass sie auch über Jahre Pro-Juventute- Marken verkauft hat, und das alles immer ehrenamtlich. Das erste eigene Geld hat sie erst in späteren Jahren im Hotel St. Josef verdient, hat sie doch dort jeweils, wohl nicht zuletzt dank ihrer Französisch-Kenntnisse, im Devotionalien-Laden aushelfen dürfen, wenn grosse Pilgergruppen ankamen.

Trouvaillen noch und noch Dass sie die gute Seele in der Arve ist, erlebte auch ich eins zu eins. Einerseits empfingen mich bereits im Treppenhaus wunderschön gemalte Bilder und Schriften ihres im Jahr 1986 verstorbenen Ehemannes Anton Studerus, der diplomierter Malermeister und langjähriger Berufsschullehrer in Goldau gewesen war. Ein wirklicher Künstler, der beispielsweise damals alle Kranzschleifen der Verstorbenen von Hand mit schönsten Kalligrafie-Buchstaben beschriftet hat. Sein Talent konnte er aber nur bedingt ausleben, hatte er doch eine achtköpfige Familie zu ernähren, und war so auf Malerarbeiten für den Alltag angewiesen.

Andererseits kam er bei seinen Tätigkeiten in Kontakt mit den verschiedensten Leuten, und so ging unter anderem auch der bekannte deutsche Künstler Bartholomäus Wappmannsberger, der zusammen mit ihm das ganze Diorama gestaltet hat, ein und aus. Dieser hatte während seines Aufenthalts in Einsiedeln ein Zimmer, das aber über keine Dusche verfügte, und so war es für Familie Studerus selbstverständlich, dass er bei ihnen baden oder duschen konnte. Die grossartigen, fast schon fotografischen Porträts der ganzen Familie Studerus, welche seit den Sechzigerjahren die heimelige Stube schmücken, erinnern eindrücklich an die Präsenz des Kunstmalers. Darauf angesprochen, kramt Anna Studerus aus einer Holzkiste sogleich ein kleines Selbstbildnis von Wappmannsberger aus dem Sekretär hervor, welches er ihnen mit einer Widmung in Freundschaft geschenkt hat. Schönes und Trauriges erlebt

Diese Schatulle ist eine eigentliche Schatzkiste. Da finden sich Fotos, Bilder, Schriften, Briefumschläge, Verse, Reiseprogramme und vieles mehr aus den letzten 95 Jahren von Anna Studerus, die ihre Scheu aus den Kinderjahren glücklicherweise längst abgelegt hat.

Zu allem und jedem weiss sie eine Episode zu erzählen und unzählige Erinnerungen werden wach. So waren für die rüstige Jubilarin, bei der die Familie immer an erster Stelle stand, die Hochzeiten und vor allem die vielen Taufen und Weissen Sonntage die schönsten Momente in ihrem Leben. Aber auch den traurigsten Tag, als ihre Tochter Theres mit gut siebzehn Jahren tödlich verunglückte, wird sie nie vergessen. Seit 1976 denke sie täglich daran und bete für sie. Aber das Leben sei weitergegangen und sie sei dankbar für alles, was sie an Bereicherndem erlebt habe.

So freut sie sich, auch weiterhin ihre Socken und vor allem die herzigen «Günschli», die als Geschenk für den Nachwuchs stets überall Anklang finden, zu stricken, mit viel Geduld ihre «1000er-Zämesetzi » zu vervollständigen und natürlich zu jassen. Dies ist gar nicht selbstverständlich, zumal sie vor fünf Jahren einen Schlaganfall erlitten hat, von dem sie sich aber mit Ausnahme einer Einschränkung des Gesichtsfeldes glücklicherweise erholt hat und mit Unterstützung der Familie weitgehend noch selber kochen und vor allem in ihrem Haus bleiben kann. Am meisten freut sich Anna Studerus aber, dass sie am Wochenende im Kreise ihrer grossen Familie ihr Wiegenfest feiern kann, ist das doch das allerschönste Geschenk für sie, und zu ihrem 95. Geburtstag sei ihr auch an dieser Stelle herzlich gratuliert und nur das Beste gewünscht.

Oben: Die junge Anna Kälin und spätere Anna Studerus kleidete sich schon damals gerne hübsch, dies ist bis heute so geblieben. Unten: Der Künstler Bartholomäus Wappmannsberger hat nebst den Bildern ihrer sechs Kinder und ihres Gatten auch von ihr, Anna Studerus, ein fast fotografisches Porträt gemalt.

Links: Die im Jahre 1924 geborene Anna Kälin aus Bennau war ein richtiger Wonneproppen. Rechts: Ihre unzähligen «Günschli» in den unterschiedlichsten Farben sind bei allen Eltern von Neugeborenen ein willkommenes Geschenk. Daneben sind ihre «1000er-Zämesetzi» eine Herausforderung und gleichzeitig ein ausgezeichnetes Hirntraining.

Fotos: zvg / Marlies Mathis

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