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Die Vorstellung von Unabhängigkeit ist attraktiv – aber trügerisch

Die Vorstellung von Unabhängigkeit ist  attraktiv – aber trügerisch Die Vorstellung von Unabhängigkeit ist  attraktiv – aber trügerisch

Das Vögele Kultur Zentrum in Pfäffikon widmet sich in seiner aktuellen Ausstellung «abhängig? wer, wie von wem oder wovon» einem komplexen Thema. Die Ausstellung zeigt auch die positiven Aspekte von Abhängigkeit.

HANS-RUEDI RÜEGSEGGER

Fast ein bisschen unscheinbar sind die beiden Stühle, denen die beiden vorderen Beine fehlen, gleich am Eingang zur Ausstellung im Vögele Kultur Zentrum in Pfäffikon. Das Exponat darf zwar nicht ausprobiert werden, ein Foto zeigt aber, wie zwei Personen auf den Stühlen sitzen können, wenn sie denn einander unterstützen. Sie hängen einander mit den Beinen ein und haben so die Balance. Die eine Person ist von der anderen abhängig, gemeinsam schaffen sie es.

«Sie haben schon einige Abhängigkeiten durchlaufen, bis Sie hier angekommen sind», begrüsste Monica Vögele, Leiterin des Vögele Kultur Zentrums in Pfäffikon, die Besucherinnen und Besucher an der Vorbesichtigung der Ausstellung am Freitag. «Der Wecker, die Kaffeemaschine, die pünktlich fahrende Eisenbahn. Wir sind uns diese Abhängigkeiten oft nicht bewusst.» Viele Abhängigkeiten – beispielsweise vom Smartphone – würden aber auch kreiert.

«Freiheit macht süchtig» Monica Vögele betonte die positiven Aspekte von Abhängigkeiten. So basierten viele positive Aspekte des Zusammenlebens auf Abhängigkeitsverhältnissen. Familie und Freundschaften tragen zu einem grossen Teil zu Geborgenheit bei, ohne Vertrauen kann sich kein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln. Eine solche soziale Abhängigkeit könne stärken und beflügeln.

Das Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit ist aber omnipräsent. «Die Vorstellung von Unabhängigkeit ist attraktiv», sagte Mirjam Bayerdörfer, die zusammen mit Valerie Keller und der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich die Ausstellung kuratiert hat. «Himmel, Weite, Ferienbilder, Freiheit – die Werbung suggeriert Unabhängigkeit. Aber letztlich soll ein Produkt verkauft werden», so Mirjam Bayerdörfer. «Freiheit macht süchtig», sagte Monica Vögele zum Plakat mit dem bekannten Marlboro-Man.

Negative Abhängigkeit Negative Aspekte von Abhängigkeit negiert die Ausstellung nicht, zeigt auf, was damit im Hirn passiert, wenn sich Genuss und das sich damit einfindende Glücksgefühl wiederholen. Vom Genuss über den Rausch ist die Sucht nicht mehr weit.

Mehr als Alkohol und Drogen widmet sich die Ausstellung dem Konsum und warum wir was kaufen, sie zeigt die Abhängigkeiten von einem sozialen Umfeld auf, das uns vorgibt, was wir tragen sollen. Illustriert wird dies von einer Collage aus Modeheften und Pillen. Aber: was passiert, wenn jemand sich unabhängig macht von Mainstream, wenn jemand die Grenzen überschreitet, ein Mann ein Kleid trägt oder die Geigerin mit Baseballmütze ein Konzert gibt? Droht Ausgrenzung, Stigmatisierung oder entsteht ein neuer Trend?

Die Ausstellung regt einmal mehr zum Nachdenken an. Darüber, von wem oder wovon wir abhängig sind und ob diese Abhängigkeiten einen einschränken, beflügeln oder schlicht nicht zu ändern sind: Pflegebedürftige sind nun mal von Betreuungspersonen abhängig. Interessant sind auch die Arbeiten von Jugendlichen des Berufs- und Bildungszentrums Pfäffikon in der Mezzanin zum Thema. Während der Ausstellung, die bis am 22. März dauert, werden diverse Veranstaltungen angeboten.

www.voegelekultur.ch

Finden auf der grossen Scheibe die Balance (von links): die beiden Szenografinnen Nele Dechmann und Esther Kempf, die Co-Kuratorin Mirjam Bayerdörfer und Monica Vögele, Leiterin des Vögele Kultur Zentrums.

Foto: Hans-Ruedi Rüegsegger

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