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Zwangsversorgungen und Nonnen als CEO

Zwangsversorgungen und Nonnen als CEO Zwangsversorgungen und Nonnen als CEO

111. Ausgabe der Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz ist erschienen

220 Seiten umfassen die neuesten «Mitteilungen». Sie geben Einblicke ins bisher kaum erforschte Leben von Schwyzer Klosterfrauen vor 1848. Oder warten auch mit neuen Erkenntnissen zur Insel Ufnau auf, bis zu neuen Erkenntnissen zu den Pfahlbausiedlungen bei der Insel Lützelau.

hvs. Geschichtsschreibung ist in den vergangenen Jahren oft die Neuinterpretation von bereits Bekanntem gewesen. Sie ist aber im Idealfall das Begehen neuer und unbekannter Spuren. Die 111. Ausgabe der «Mitteilungen » des Historischen Vereins ist ein gutes Beispiel für Letzteres. Dass das Begehen von neuen Wegen Interessantes, aber nicht immer nur «Erfreuliches » zutage fördert, ist auch eine Konsequenz des Anspruchs, auf originalen Quellen gestützt über Vergangenes zu berichten. 1300 Zwangsversorgungen in 35 Jahren Dies leisten die «Mitteilungen» mit einem Beitrag zu den administrativen Versorgungen im Kanton Schwyz. Von den Schwyzer Behörden bis Anfang der 1970er-Jahre angeordnete Massnahmen waren dafür verantwortlich, dass zahlreiche Männer und Frauen, die den gesellschaftlichen Normen nicht entsprachen oder Mühe hatten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, in der Zwangsarbeitsanstalt Kaltbach in Schwyz oder in ähnlichen Institutionen untergebracht wurden. Sara Galle, Flavia Grossmann und Mirjam Häsler Kristmann haben als Mitarbeiterinnen der Unabhängigen Expertenkommission Administrative Versorgungen die Entstehung und Entwicklung der Gesetzesgrundlagen, das Behördenhandeln, den Alltag in den Anstalten und die Biografien von Betroffenen untersucht. Ihre Erkenntnisse sind in die Berichte eingeflossen, welche vor Kurzem für die ganze Schweiz publiziert wurden.

Der Artikel in den «Mitteilungen » beleuchtet die Verhältnisse im Kanton Schwyz, insbesondere die zentrale Rolle, welche die Zwangsarbeitsanstalt Kaltbach in Schwyz für die Umsetzung von Massnahmen hatte. Die Autorinnen machen aber auch deutlich, dass es für die 1280 Anträge von kommunalen Behörden aus dem Kanton Schwyz und anderen Kantonen, welche der Regierungsrat von 1935 bis 1970 für die Beurteilung von Zwangsversorgungen hatte, kaum Alternativen zum «Kaltbach» gab. Es gab weder ein Gefängnis noch ein Erziehungsheim oder eine psychiatrische Klinik im Kanton. Mit dem Gesetz über die Errichtung einer Zwangsarbeitsanstalt von 1896, mit der Polizeiverordnung von 1892 und dem Zivilgesetzbuch operierte man zudem mit einem gesetzlichen Gerüst, das klare Rahmenbedingungen setzte.

«Keine von oben initiierten Entscheide» Die Autorinnen halten allerdings fest: «Gleichwohl waren Anstaltsversorgungen keine von oben initiierten Entscheide. Ausgangspunkt bildete vielmehr das nahe Umfeld der Personen in den Gemeinden. Familienangehörige, Verwandte, Nachbarn und Vormunde konnten eine Anzeige an die kommunalen Behörden richten. Diese gelangten mit ihrem Antrag je nach Rechtsgrundlage entweder ans Bezirksamt oder direkt an den Regierungsrat.» Der Artikel schildert anschaulich Einzelschicksale und die zentrale Rolle des kantonalen Schutzaufsichts- und Fürsorgeamts. Schwyzer Klosterfrauen als frühneuzeitliche CEOs Auf unbekanntes Terrain begeben hat sich auch Martina Kälin- Gisler bei ihrer Suche nach Schwyzer Klosterfrauen. Dabei hat sie für den Zeitraum von 1550 bis 1848 über 400 Schwyzerinnen gefunden, welche in Schweizer Frauenklöster eingetreten sind. Fast zwei Drittel der Schwyzerinnen waren in einem Schwyzer Kloster. Die akribische Analyse von über 30 Klostergemeinschaften hat unglaublich viel Interessantes zutage gefördert. So kann Martina Kälin-Gisler zeigen, dass sich die heute in vielen Klostergemeinschaften übliche «strenge» Klausur erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts oder gar im 19. Jahrhundert durchsetzte.

Zwei Drittel der Frauen stammten aus dem Land Schwyz (dem heutigen Bezirksgebiet); auch aus Einsiedeln traten über 60 Frauen in Klöster ein. Aus dem Bezirk Höfe wiederum konnten «nur» fünf Frauen eruiert werden. Die Autorin macht daran deutlich, dass sie mit ihrer Forschungsarbeit, welche mit einer Tabelle zu allen erfassten Frauen abgerundet wird, die Türe zu diesem Feld erst aufgestossen hat. Sie zeigt anhand von Beispielen zu Schwyzer Äbtissinnen, dass sich die vertiefte Auseinandersetzung mit diesen frühneuzeitlichen CEOs absolut lohnt.

Neues zur Insel Ufnau

1958 fanden auf der Insel Ufnau umfangreiche archäologische Grabungen statt. 2007 kam es im Rahmen einer sogenannten Rettungsgrabung zu weiteren Untersuchungen, vorab um die Kirche St. Peter und Paul. Jakob Obrecht hat diese Grabungen nun mit Unterstützung von weiteren Spezialistinnen und Spezialisten dokumentiert – und dabei viel Spannendes entdeckt, welches die Erkenntnisse von 1958 ergänzt und erweitert.

So fanden die Archäologen auch 2007 Material, das menschliche Spuren vom Neolithikum bis in die Gegenwart belegt. Beim gallorömischen Vierecktempel etwa wurden zwei bisher unbekannte Treppensockel freigelegt. Bei der Kirche St. Peter und Paul vermutet Obrecht die Existenz eines ersten Beinhauses. Im Detail dokumentiert und bildlich dargestellt werden die Materialfunde sowie die Grablegen um diese Kirche. Diese belegen zum Beispiel, dass im Osten und Süden der Kirche die bevorzugten Lagen für nicht erwachsene Verstorbene waren.

Maria Anna Eberle von Einsiedeln leitete als Äbtissin von 1700 bis zu ihrem Tod 1727 das Benediktinerinnenkloster St. Lazarus in Seedorf UR.

Foto: Kloster St. Lazarus, Seedorf/Martina Kälin-Gisler, Brunnen

Archäologische Entdeckung auf der Insel Ufnau: Beim gallorömischen Vierecktempel bei der Kirche St. Peter und Paul wurden zwei bisher unbekannte Sockel (vorne links und rechts) für eine Treppe zum Tempelumgang freigelegt. Foto: Jakob Obrecht, Füllinsdorf

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