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«Ich freue mich sehr, die Stiftsschule leiten zu dürfen»

«Ich freue mich sehr, die Stiftsschule leiten zu dürfen» «Ich freue mich sehr, die Stiftsschule leiten zu dürfen»

Morgen nimmt die Stiftsschule Einsiedeln das 183. Schuljahr in Angriff. Neu führt der Rektor Sebastian Lamm das Ruder der Schule: Der 45-jährige Historiker und Mathematiker aus Berlin hat bereits konkrete Vorstellungen, wohin die Reise gehen soll.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie kommen Sie als «Dütscher» dazu, das Rektorat der Stiftsschule Einsiedeln zu übernehmen?

Möglicherweise ist es in der über 183-jährigen Geschichte der Stiftsschule Einsiedeln durchaus schon einmal vorgekommen, dass ein deutscher Pater aus der Klostergemeinschaft der Schule vorgestanden ist. Sicherlich bin ich der erste deutsche Weltliche, der die Stiftsschule leitet. Hinzu kommt, dass ich nicht einmal katholisch bin (schmunzelt). Für mich geht ein Lebenstraum in Erfüllung. Mit diesem Brauch kam es bereits unter Ihrem Vorgänger zu einem Ende: Er war und ist nämlich reformiert …

Nun, ich bin evangelisch-lutherisch – also gewiss der erste Lutheraner in diesem Amt. Mir ist von verschiedenen Seiten beschieden worden, das sei nicht so schlimm, dass ich Lutheraner sei – oder am wenigsten schlimm (lacht): Schliesslich würden die Lutheraner als die Katholischsten unter den Protestanten gelten. Mit welchen Erwartungen starten Sie in Ihr neues Amt? Ich hege die stille Hoffnung, dass die Stiftsschule Einsiedeln möglichst von Auswirkungen der Corona-Pandemie verschont bleiben möge. Alleine das Maskentragen sorgt für eine empfindliche Störung im zwischenmenschlichen Bereich. Erst recht hoffe ich natürlich, dass es nicht mehr zu Schulschliessungen kommen mag: Das wäre dann ein Worst-Case-Szenario, auf das wir aber auch gut vorbereitet wären.

Mit welchen Corona-Massnahmen startet die Stiftsschule Einsiedeln in das neue Schuljahr? Es gilt bei uns wie für alle Schwyzer Mittelschulen das Schutzkonzept des Kantons. Nicht ganz einfach ist die Situation für uns, weil wir ja auch ein Untergymnasium haben: Für diese Stufe gelten in der Regel andere Vorgaben als für das Obergymnasium. Innerhalb eines Schulhauses erfordert es eine einheitliche Linie. Alle Schülerinnen und Schüler werden jede Woche zum Spucktest antreten – in Achtergruppen und wie vor den Sommerferien auch schon. Fällt eine Probe positiv aus, müssen die betroffenen Schüler separat getestet werden. In den ersten beiden Wochen des neuen Schuljahres gilt eine allgemeine Maskenpflicht – bis wir die Resultate der Tests haben. Fallen die Zahlen gut aus, hoffen wir dann, zeitnah die Maskenpflicht fallen lassen zu können.

Ist alles strikt vorgegeben oder gibt es einen Spielraum für die Stiftsschule bezüglich der Corona- Massnahmen? Verschärfende Massnahmen sind naturgemäss immer möglich – eher als denn lockernde (lacht). Wir verfolgen einen pragmatischen Weg. Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt derweil die Impfung allen Jugendlichen im Alter von 12 bis 15 Jahren, die sich impfen lassen wollen, um sich vor einer Infektion zu schützen. Finden Sie denn die Massnahmen eher übertrieben oder würden Sie sie vielmehr verschärfen wollen? Ich finde die Corona-Massnahmen, so wie sie in der Schweiz getroffen wurden, im Grossen und Ganzen ausgesprochen ausgewogen – mit Augenmass getroffen. In den umliegenden Ländern waren die Massnahmen ja um einiges härter. In Deutschland etwa sind die Schulen mehrheitlich fast das ganze Jahr über geschlossen gewesen: Das ist doch etwas übertrieben. Die Schülerinnen und Schüler haben sehr unter diesem Regime gelitten. Für das Zwischenmenschliche und die psychosoziale Entwicklung war das nicht förderlich. Welches Bild haben Sie von Einsiedeln? Was prägt Ihre Vorstellung das Klosterdorf betreffend? Als Historiker hat mich naturgemäss eine geschichtliche Sicht der Dinge zuallererst interessiert. Faszinierend fand ich etwa die verschiedenen Darstellungen der beiden Raben des heiligen Meinrads: Sie kamen bisweilen als Enten, Eulen oder Gänse daher (lacht). Natürlich ist mir die grosse Bedeutung des Ehrfurcht erheischenden Benediktinerklosters für Einsiedeln nicht verborgen geblieben. Ebenso wenig die so viele Jahre über andauernde Tradition der Stiftsschule mit ihren vielen Alumni. Hinzu kommt: Einsiedeln ist an sich ein Ort, an dem viel mehr los ist als in vergleichbaren Ortschaften.

Was würden Sie als spezielle Herausforderung bezeichnen in Bezug auf Ihre neuen Aufgaben? Bis im Herbst will man auf Bundesebene entscheiden, wie das neue Matura-Reglement aussehen soll – das stellt sicherlich eine grössere Baustelle dar: Anschliessend hätten wir mit vielleicht zwei bis drei Jahren nicht viel Zeit für die Umsetzung. Hierbei könnte es um die Fächerwahl, die Notengebung und ein neues Versetzungs-Reglement gehen. Bisher sind noch keine Entscheide gefallen. Darüber hinaus kommen Mittelschulen an sich unter Druck: Die Universitäten wollen ein härteres Gymi und verlangen, dass man die Matura nur bestehen kann, wenn man in den Fächern Mathe und Deutsch die Note vier schafft. Eine besondere Bedeutung kommen da den sogenannten Basalkompetenzen zu, gleichzeitig soll das Gymnasium natürlich auch auf das Leben vorbereiten. Beides gelingt unseren Absolventinnnen und Absolventen bisher sehr gut. Wollen Sie das pädagogische Konzept überarbeiten oder übernehmen Sie das bisherige?

Es wäre wohl vermessen zu sagen, unter mir bleibe kein Stein auf dem anderen: Mit Bestimmtheit werde ich keine Revolution auslösen (lacht) oder das Rad neu erfinden. Das Bildungswesen ist ein ziemlich statisches System: Da ergibt sich wenig Spielraum für einschneidende Veränderungen von jetzt auf gleich. Stetig am Ball bleiben und immer ein bisschen besser sein, ist da sicher eine gute Devise. Ich freue mich sehr, die Stiftsschule leiten zu dürfen. Revolutionär wäre wohl, wenn Sie als Rektor gleich einmal die Noten und die Hausaufgaben abschaffen würden. Die Noten abzuschaffen, ist ein Ding der Unmöglichkeit und ergibt wenig Sinn, weil die Notengebung ja zwingend zum Bestehen der Maturität und der Gymiprüfung gehören. Das zu ändern, läge nicht in meiner Macht. Bezüglich der Hausaufgaben: Dies ist jedem Lehrer, jeder Lehrerin selbst überlassen, ob er oder sie Hausaufgaben geben will oder nicht. Hausaufgaben sind also nicht zwingend vorgesehen oder obligatorisch, aber sicher pädagogisch nützlich, um zum Beispiel fachliche Inhalte zu vertiefen. Bei mir gibt es regelmässig Hausaufgaben.

Würden Sie einer Jahrespromotion gegenüber einer Halbjahrespromotion den Vorrang geben?

Ich bin kein bedingungsloser Anhänger einer Jahrespromotion: Diese kann mit sich bringen, dass sich Schüler ein halbes Jahr lang auf die sogenannte faule Haut legen und sich erst im zweiten Teil eines Schuljahres ins Zeug legen, weil nur noch jährlich die Gefahr besteht, repetieren zu müssen, wenn die Noten ungenügend sind. Auf der anderen Seite brächte vielleicht eine Jahrespromotion mit sich, dass das Repetieren oder ein Übertritt an andere Schulen einfacher zu gestalten wäre. Haben Sie bereits konkrete Vorstellungen, wohin die Reise gehen soll mit einem Kapitän Sebastian Lamm am Steuerrad?

Wir sind auf gutem Kurs und hoffen, dass wir nicht in einen Sturm geraten (lacht). Ich werde bestimmt ruckartige Bewegungen vermeiden, eine scharfe Links- oder Rechtskurve. Das würde nur unnötige Unruhe an Bord auslösen. Das Schiff ist bereits seit über 180 Jahren erfolgreich unterwegs – und dies mit grosser Konstanz. Da ist aus meiner Sicht ein abrupter Kurswechsel nicht vonnöten. Wie würden Sie Ihren Führungsstil bezeichnen?

Ich verfolge das Prinzip der offenen Tür: Zuhören, um Probleme zu sichten und einen gemeinsamen Lösungsweg zu finden, steht klar im Vordergrund. Sicher, am Schluss muss ich die Verantwortung übernehmen. Kommen Sie mit Ihrer Berliner Schnauze gut an beim Schweizer Publikum? Ich bin ja schon eine längere Zeit im Land und weiss daher, dass eine direkte Art bei Schweizern nicht immer so gut ankommen mag. Ich habe mich da bereits angepasst und habe gelernt, mich zurücknehmen zu können – auch beim Sprachtempo. Direkt auf Menschen zuzugehen birgt natürlich auch Vorteile, weil es sehr transparent ist – das kommt durchaus gut an. Bei den Berlinern gibt es im Grunde zwei verschiedene Typen: Den eher muffligen, widerborstigen, wortkargen Taxifahrer und die liebenswürdige, freundliche, zuvorkommende Berliner Mutti. Ich habe gehört, dass ich nicht zu ersterem tendiere (lacht). Sind Sie ein Zahlenmensch?

Als Mathematiker bin ich wohl ein Stück weit zwangsläufig ein Zahlenmensch, als Historiker nicht zwingend – da ginge es mir mehr um Zusammenhänge: In der Geschichte geht es nicht einfach darum, Jahreszahlen auswendig zu lernen. Wobei man schon wissen müsste, dass das Attentat von Sarajevo auf den Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie, nicht im Mittelalter stattgefunden hat. Ich fand die Kombination der beiden Fächer Geschichte und Mathematik von Anfang an spannend und bereichernd.

Dann wissen Sie auch, wie viele Schüler und Lehrer die Stiftsschule hat?

Es starten morgen Mittwoch 375 Stiftsschülerinnen und -schüler ins neue Schuljahr. Anscheinend ist das ein Hochstand. Es sind gut 45 Lehrer an der Stiftsschule Einsiedeln angestellt. Wie könnte sich die Finanzlage der Schule mittelfristig verändern?

Wesentlich für unsere Finanzen ist die Initiative «Für starke Mittelschulen im Kanton Schwyz»: Sie fordert, dass der Kanton an die privaten Mittelschulen ab dem Schuljahr 2022/23 faire Beiträge leistet. Zum Schluss die Gretchenfrage: Wie halten Sie es mit der Religion? Ich würde mich als religiös bezeichnen. Eine Schule mit katholischer Prägung leiten zu dürfen, an der die Gemeinschaft gefördert und Gottesdienste gefeiert werden, schätze ich sehr. In einer Schule mit religiöser Ausstrahlung entsteht ein spezieller Geist der gegenseitigen Achtsamkeit. Positive Routinen stärken uns – in uns und gegenseitig. Wohin bewegt sich die Welt?

Derzeit verdüstern sich gerade wieder die Wolken auf der Welt, wenn man an die Geschehnisse in Afghanistan denkt. Wieder einmal bestätigt sich, dass es schwierig ist, wenn der Westen versucht, sich in andere Staaten einzumischen. Wenn die USA und Europa anderen diktieren wollen, wie sie es zu machen haben: Es erinnert fast an die imperialistischen Zeiten. Die Geschichte wiederholt sich zwar nicht auf dieselbe Weise. Nichtsdestotrotz bleibt sicher die spannende Frage bestehen, ob der Mensch in der Lage ist, aus der Geschichte, aus seiner Geschichte zu lernen. Im Grunde bin ich aber ein positiv-optimistischer Mensch.

Sebastian Lamm, Rektor der Stiftsschule Einsiedeln, öffnet die Türe zum Gymnasium, das morgen Mittwoch in sein 183. Schuljahr startet. Foto: Magnus Leibundgut

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