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«Schulstandorte aufzuheben ist der falsche Weg»

«Schulstandorte aufzuheben  ist der falsche Weg» «Schulstandorte aufzuheben  ist der falsche Weg»

Nach acht Jahren im Dienst der Stiftsschule Einsiedeln nimmt Rektor Johannes Eichrodt den Hut: «Ich habe im Klosterdorf eine wunderbare Zeit erleben dürfen.» Im Sommer wechselt der 57-Jährige an die Freie Evangelische Schule (FES) in Zürich.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Mit welcher Motivation sind Sie im Jahr 2013 dazu gekommen, das Rektorat an der Stiftsschule Einsiedeln in Angriff zu nehmen? In der Zeit unmittelbar vor Einsiedeln bin ich in der Zürcher Bildungsverwaltung tätig gewesen – in einer klassischen Amtsstube: Die Beschäftigung in dieser Funktion war doch einigermassen blutleer, theoretisch und routiniert. So zog es mich wieder hin zu einer Arbeit, in der ein Austausch mit Menschen und eine praktische Auseinandersetzung rund um Bildung möglich war. Haben sich Ihre Erwartungen bezüglich der Stellung an der Stiftsschule Einsiedeln erfüllt? Ja, in jeder Beziehung. Die Erwartungen wurden gar noch übertroffen. Ich habe im Klosterdorf eine wunderbare Zeit erleben dürfen und bin überaus gerne als Rektor an dieser Schule tätig gewesen. Jetzt ist es an der Zeit, aufzubrechen und eine neue Herausforderung anzunehmen. Wenn es Ihnen so gut gefällt im Klosterdorf: Wieso bleiben Sie nicht einfach hier? Ich fühle mich fit und agil, um nochmals einen Stellenwechsel in Angriff zu nehmen. Von meinem Alter her betrachtet ist jetzt der letztmögliche Zeitpunkt, eine neue Herausforderung anzunehmen. Es entspricht meinem Werdegang, dass ich so alle sieben Jahre die Stelle, den Arbeitsort gewechselt habe. Hinzu kommt, dass ich dank des durch die Corona- Pandemie ausgelösten Homeoffice wieder gemerkt habe, wie schön es eigentlich ist, ständig mit meiner Frau zusammenzuleben (lacht): Ich war ja jetzt acht Jahre lang Wochenaufenthalter im Klosterdorf und habe da alleine gewohnt. Hätten Sie sich jemals vorstellen können, dass just während Ihrer Amtszeit eine Seuche ausbricht und Schüler und Lehrer mit Masken durch die Gänge eilen? Einerseits habe ich während meiner Tätigkeit in Thailand bereits Erfahrungen mit Pandemien und Katastrophen gemacht: Im Jahr 2003 brach in Südostasien Sars-CoV-1 aus, im Jahr 2005 die Vogelgrippe. Am Stephanstag im Jahr 2004 kam es zum Tsunami. Andererseits sind wir in der Schweiz seit Jahrzehnten von Seuchen und Pandemien verschont geblieben: In diesem Sinne haben mich diese Coronavirus- Pandemie und ihre Folgen hier doch sehr überrascht. Welche Lehren ziehen Sie persönlich aus der Corona-Krise? Dass wir eine Menge aus dieser Pandemie lernen können. Der Mensch muss wieder zurückbuchstabieren: Erwartungshaltungen sind zerbrochen – im heutigen Selbstverständnis gab es bis vor Kurzem gar keinen Raum mehr für derlei Katastrophen in unserer Gesellschaft. Wir waren ungemein privilegiert. Jetzt stellt sich die Frage, wie wir einen anderen Umgang finden können mit dem Anrecht auf Freiheiten: Wo fängt die Freiheit an, wo endet sie? Die Toleranz-Frage rückt in den Fokus: Was toleriere ich an Einschränkungen für mich selbst, was nicht? Haben sich Schulschliessungen im Rückblick als übertriebene Massnahme erwiesen? Diese Frage kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschliessend beantwortet werden. Zu berücksichtigen gilt es, dass es im letzten Frühling an Masken gemangelt hat. Es ging damals darum, Begegnungen zwischen Menschen zu verhindern, um das Virus stoppen zu können. Naturgemäss sind Schulschliessungen sehr belastend. Allerdings sind wir in der Schweiz mit ihrem viermonatigen Lockdown noch mit einem blauen Auge davongekommen. In umliegenden Ländern sind die Schulen ein ganzes Jahr lang geschlossen worden! Wieso hat der Erziehungsrat im letzten Jahr die Zeugnisnotengebung für das zweite Semester der Maturanden gestrichen? Der Schwyzer Erziehungsrat war wohl von der Sorge getrieben, die Schüler könnten zu Hause im Fernunterricht während den Prüfungsarbeiten betrügen, die Leistungen in jenem Semester seien nur teilweise objektivierbar: Der Rat befürchtete ungleiche Voraussetzungen für die Schüler und strich die Wertung des zweiten Semesters. Dementsprechend fühlten sich die Maturanden um ihre Leistungen geprellt. An der Uni hat man inzwischen längst valide Prüfungsverfahren für die Studenten im Fernunterricht geschaffen. Ich bin froh, dass im letzten Jahr immerhin die schriftlichen Maturaprüfungen stattfinden konnten. Wäre es angebracht, dass wir das Coronavirus als einen Teil des Lebens annehmen, als Ausdruck dieses Universums, als Schicksal des Kosmos? Wir haben gar keine Wahl als dieses Halbwesen als Teil der Natur anzuerkennen: Viren sind Bestandteil des Lebens und gehören zur Schöpfung dazu. Naturgemäss brauchen sie den Menschen als Wirt, um selber überleben zu können. Natürlich ist das für den Menschen gefährlich und bringt ihm mitunter den Tod. Was ihn wiederum auf sich selbst zurückfallen lässt: Auch die Auseinandersetzung mit dem Tod gehört schliesslich zum Leben. Wie fällt Ihre Bilanz aus im Rückblick auf Ihre Amtszeit? Ich habe eine schöne, erfüllende Zeit in einer tollen Schule in einer überaus angenehmen Umgebung mit dieser wunderbaren Natur erleben dürfen. Nur schon die Luft im Klosterdorf ist aussergewöhnlich: Ich habe es sehr genossen, als Allergiker den Pollen im Unterland aus dem Weg gehen zu können. Das Glück der Stiftsschule liegt darin, dass das Kloster Einsiedeln ihre Trägerschaft ist. Die Benediktiner nehmen es auf sich, diese Schule zu tragen. Und dies nicht nur in erheblichem finanziellen Sinne: Sie prägen die Schule auch entscheidend mit ihrer Spiritualität. Dafür bin ich überaus dankbar. Wo haben Sie Höhepunkte, in welchen Bereichen haben Sie Tiefpunkte erlebt in diesen acht Jahren? Wir haben die operative Schulführung und die Administration auf neue Beine gestellt, die Organisation professionalisiert und weite Bereiche digitalisiert. Wir haben für die Schüler einen dreiwöchigen Sprachaustausch an Partnergymnasien im Tessin beziehungsweise im Welschland lanciert. Wesentlich war auch der Ausbau der Beziehungen zum Bezirk Einsiedeln. Längst gilt die Stiftsschule nicht mehr als ein Hort für «Mehrbessere», sondern ist vielmehr offen für alle. Dies nicht zuletzt dank Stipendien für Schüler, deren Eltern nicht in der Lage sind, das Schulgeld zu bezahlen. Ein anderer Höhepunkt war das Treffen der Schweizer Mittelschulrektoren im Jahr 2017, das hier bei uns im Klosterdorf über die Bühne gegangen ist. Ein Tiefpunkt waren die vom Kanton Schwyz im Jahr 2013 verfügten Sparmassnahmen, die zu massiven Kürzungen für den Betrieb der privaten Mittelschulen geführt haben. Das ging und geht immer noch an die Substanz und entspricht nicht einer fairen und existenzsichernden Finanzierung der vereinbarten Bildungsleistungen, die wir im Auftrag für den Kanton erbringen. Wie haben Sie die Veränderungen in der Mittelschullandschaft im Kanton Schwyz erlebt? Die Aufhebung von Schulstandorten ist der falsche Weg: Sie führt zu einem Verlust von regionaler Identität und ist der Standortqualität des Kantons nicht eben förderlich. Nicht umsonst hat das Schwyzer Stimmvolk der Auflösung des Kanti-Standorts in Nuolen in der March eine Abfuhr erteilt. Ich zweifle daran, ob mit einer Fusion von Schulen eine Einsparung erreicht werden kann: Man hat dann einfach eine grössere Schule mit mehr Schülern und mehr Lehrern und einer grösseren Administration. Allerdings kostet dann diese neue grössere Schule auch mehr. Mit welcher Strategie nimmt das Schwyzer Bildungsdepartement die Aufgaben in Angriff? Am Ursprung der Entwicklung steht eine Immobilien-Strategie, die der Kanton Schwyz in Angriff nimmt: Erst soll Geld in diese Strategie investiert werden, um später dann Geld einsparen zu können. Doch man bezahlt einen hohen Preis dafür, wenn man bewährte Strukturen der Schullandschaft zerschlägt. Mehr als 500 Schüler in einem Haus bedeuten keine ideale Schulgrösse und grosse Schulen kommen reichlich «industriell» daher. Eine kleinere Schule hat Vorteile: Man kennt sich, die Schule bleibt überschaubar, die Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern sind dank mehr Begegnungsmöglichkeiten besser. Ich empfinde die Zahl an der Stiftsschule Einsiedeln, es sind zirka 350 Schüler, als ideal. Was belastet die Schulleitungen und Trägerschaften der privaten Gymnasien in der heutigen Zeit?

Die Belastungen der Schulleitungen der privaten Gymnasien werden grösser, deren Kampf um faire Ausgangsbedingungen dauert an. Im Zentrum steht die Frage, wieso nicht alle Schwyzer Schüler den gleichen Beitrag vom Kanton erhalten sollen. Der Kanton vergisst oft, dass hierzulande die privaten Mittelschulen zu den ersten höheren Bildungsinstitutionen gehört haben. Der Kanton Schwyz hat erst spät, in den 70er-Jahren, in Pfäffikon eine eigene staatliche Mittelschule gegründet. Wie empfinden Sie den Umgang mit dem Theresianum Ingenbohl?

Das ist eine standortpolitische Frage, welche die Geister spaltet. Als Antwort darauf sind die Mittelschul-Initiativen lanciert worden. Die beiden Volksinitiativen für starke Mittelschulen verfolgen zwei unterschiedliche Ziele. Die erste Initiative verlangt, dass an der bewährten regionalen Verteilung und an der für das Lernklima optimalen Grösse der Schwyzer Mittelschulen festgehalten wird. Die zweite Initiative will, dass der Kanton an die privaten Mittelschulen ab Schuljahr 2022/23 faire Beiträge leistet. Welche Sorgen treiben die Lehrer an der Stiftsschule um? Naturgemäss sind die Lehrer während der Corona-Pandemie sehr gefordert gewesen und haben diese Situation bemerkenswert gut gemeistert. Die Anforderungen an die Lehrerschaft sind gestiegen. Zum Glück gab es bei uns im Vergleich zu anderen Schulen keine Burnout-Fälle, auch die Fluktuation hält sich in Grenzen. Eher spüren wir einen Generationenwechsel an der Stiftsschule. Weil in diesem Jahr die Zahl der Schüler auf neu 360 ansteigt, sind zusätzliche Lehrkräfte nötig. So kommen wir neu auf etwa fünfzig Lehrer an der Stiftsschule Einsiedeln. Was brennt den Schülern unter den Nägeln? Der Druck auf die Schüler ist im Vergleich zu früheren Zeiten sicherlich grösser geworden. So beobachten wir in der Zeit der Pandemie eine grössere Zahl an Beratungsgesprächen, welche die Schüler in Anspruch nehmen. Im Fernunterricht ging es für sie erst einmal darum, sich neu zu strukturieren, zu lernen, einen vernünftigen Umgang mit dieser Situation zu finden. Naturgemäss haben sich die beruflichen Zukunftsaussichten fundamental und auch existenziell verändert. Nur wenige studieren heute noch ein Phil.-I-Fach. Stattdessen stehen BWL, Jus, Medizin und technische Berufe hoch im Kurs. Wichtig ist, dass man das, was man macht, mit vollem Einsatz macht, wie es unser Schulmotto «Mit ganzem Herzen, aus voller Seele, mit aller Kraft» (toto corde, tota anima, tota virtute) ausdrückt. Was macht den speziellen Spirit in der Stiftsschule Einsiedeln aus? Das Kloster Einsiedeln und die Bildung an der Stiftsschule gehen eine einmalige Verbindung ein. Dann handelt es sich erst noch um eine Tagesschule mit Internat, das in den vergangenen Jahren einen Zuwachs von 22 auf rund 40 Schüler erlebte. Es ist einfach eine «coole» Schule, in der man eine grosse inhaltliche Vielfalt und einen grossen Gemeinschaftsgeist entdecken und erleben kann. Und dies erst noch inmitten dieses Kraftortes Einsiedeln. Die Schüler schätzen die grosse Offenheit der Schule. Nun wechseln Sie an die Freie Evangelische Schule nach Zürich. Vom Katholizismus zum Protestantismus: Wie schaffen Sie diesen Spagat? Das ist für mich kein allzu grosser Spagat (lacht): Ich bin der erste reformierte Rektor in der Geschichte der Stiftsschule Einsiedeln. Ich freue mich darauf, dass die christliche Spiritualität auch an meiner neuen Stelle an der Freien Evangelischen Schule in Zürich zum Schulprofil gehört und ein verbindendes Element darstellt.

Zur Person

ml. Johannes Eichrodt ist am 12. Juni 1963 in Basel geboren und in Schaffhausen aufgewachsen. Nach einem Studium in Altphilologie und Germanistik hat er an Gymnasien, in Muttenz, und als Schulleiter an der Kantonsschule Stadelhofen sowie in Bangkok (Schweizer Schule) gewirkt. Von 2006 bis 2013 leitete Johannes Eichrodt auf der Bildungsdirektion des Kantons Zürich die Abteilung Mittelschulen. Seit dem Jahr 2013 ist er Rektor der Stiftsschule Einsiedeln. Johannes Eichrodt ist Rotarier, im Vorstand der Katholischen Schulen der Schweiz und Mitglied der Arbeitsgruppe «Bildungskonferenz der Standortförderung Zimmerberg- Sihltal». Zu seinen Hobbys gehören Lesen, Joggen, Langlaufen und die Natur. Johannes Eichrodt ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Einsiedeln und Uhwiesen.

Johannes Eichrodt, Rektor der Stiftsschule Einsiedeln, vor der Statue von Jesus Christus in der Stiftsschule: «Ego sum via, veritas et vita» (Evangelium nach Johannes).

Foto: Magnus Leibundgut

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