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«Den Toten zu gedenken ist wichtig, just in diesen Zeiten»

«Den Toten zu gedenken ist wichtig, just in diesen Zeiten» «Den Toten zu gedenken ist wichtig, just in diesen Zeiten»

Am Sonntag steht Allerheiligen vor der Tür, gefolgt von Allerseelen am Montag. Der 32-jährige Steffen Michel, Diakon in der Pfarrei Einsiedeln, gibt Auskunft über die Bedeutung dieser beiden kirchlichen Feiertage.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Ärgern Sie sich, dass Halloween Allerheiligen immer mehr verdrängt?

Ich habe kein Problem mit Halloween, weil dieser Brauch in Zusammenhang mit Allerheiligen steht: Das Wort leitet sich von «All Hallows’ Eve», der Abend vor Allerheiligen, ab. Ich gönne den Kindern den Spass an diesem Brauch: Wichtig ist, dass man mit ihnen im Religionsunterricht diesen Brauch bespricht. Welche Bedeutung hat Allerheiligen in der heutigen Zeit noch? Das Hochfest wird gefeiert, um uns an das Menschsein zu erinnern: Zu diesem gehören unweigerlich der Tod und das Sterben dazu. Auf einem Gang zum Friedhof setzen wir uns mit unserer eigenen Sterblichkeit auseinander. Wie kommt es, dass die Schwyzer am 1. November gerne nach Zürich fahren, um einzukaufen? Es gibt viele katholische Feiertage, wie zum Beispiel Fronleichnam oder Auffahrt, deren Bedeutung und Herkunft die Leute heutzutage kaum mehr verstehen. Es ist einfach für viele ein arbeitsfreier Tag, den man etwa für einen Ausflug nutzt. Wie leitet sich Allerheiligen aus der Kirchengeschichte ab? Im Lauf der ersten Jahrhunderte wurde es wegen der steigenden Zahl von Heiligen zunehmend schwierig, jedes Heiligen an einem eigenen Fest zu gedenken. So wurde aus der Not heraus das Hochfest Allerheiligen geschaffen, das seit dem 9. Jahrhundert auf den 1. November gelegt wurde. Vorher wurde das Fest nach Ostern gefeiert.

Wie ist es zum Allerseelentag am 2. November gekommen? An Allerseelen begeht die katholische Kirche das Gedächtnis ihrer Verstorbenen. Ursprünglich fand an diesem Tag die Gräbersegnung auf den Friedhöfen statt. Heutzutage gehen die Gläubigen meist an Allerheiligen auf die Friedhöfe, weil sie am 1. November frei haben. Es hat also eine Vermischung der beiden Feiertage stattgefunden. Die Menschen gedenken am 2. November aller Armen Seelen im Fegefeuer. Spielt das Fegefeuer heute noch eine Rolle? Theoretisch ja. Weil der Begriff «Fegefeuer» aber ziemlich vorbelastet ist, spielt er heutzutage keine grosse Rolle mehr. Im Grundsatz geht es darum, dass man an Allerseelen für die Verstorbenen betet: Und das Gebet soll ja nützen und den Verstorbenen Heil bringen. Den Toten zu gedenken ist wichtig, just in diesen Zeiten. Früher sind an Allerheiligen die Menschen en masse auf die Friedhöfe geströmt, um ihrer verstorbenen Angehörigen zu gedenken. Ist das heute noch so?

In Hergiswil, meiner früheren Pfarrei und Kirchgemeinde, gehen auch in der heutigen Zeit noch viele Leute an Allerheiligen auf den Friedhof. Und auch in Einsiedeln, das ja gleichsam sehr katholisch geprägt ist, hat Allerheiligen eine grosse Bedeutung. Heuer fällt Allerseelen mit der zweiten Corona-Welle zusammen: Zufall oder Schicksal? Wir stecken mitten in einer schwierigen und ganz merkwürdigen Zeit. Wir erleben eine starke Einschränkung in den Gottesdiensten, weil nur noch maximal 30 Besucher zugelassen sind. Wohin bewegt sich die Welt?

Ich bin sehr enttäuscht, dass wir keinen besseren Umgang mit dem Virus gefunden haben. Es ist eine grosse Kluft zwischen Gegnern und Befürwortern der Massnahmen entstanden. Es fehlt an Rücksichtnahme und Solidarität. Auf der Strecke geblieben ist die Menschlichkeit.

Foto: Magnus Leibundgut

Steffen Michel

Jahrgang: 1988 Wohnort: Einsiedeln Beruf: Diakon Hobbys: Technik (Home-TV) Musik (Gitarre, Keyboard)

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