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«Samichlaus ist kein Bölimaa»

«Samichlaus ist kein Bölimaa» «Samichlaus ist kein Bölimaa»

Karl Wehrli ist als St. Nikolaus seit 35 Jahren auf den Strassen von Einsiedeln unterwegs

Die Kinder aus dem Klosterdorf hätten heutzutage keine Angst mehr vor dem Samichlaus, berichtet Karl Wehrli. Umso mehr freut sich der 54-jährige Einsiedler auf seine Einsätze als St. Nikolaus.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie kommt es dazu, dass Sie als Samichlaus Familien besuchen?

Vor 35 Jahren startete ich bei der Pfarrei Einsiedeln als Schmutzli der beiden Chläuse Alois und Viktor Gmür. Seit dem Jahr 1994 bin ich als selbstständiger Samichlaus unterwegs, mache Hausbesuche bei Familien und trete an Chlausund Weihnachtsfeiern bei Vereinen und Firmen auf. Meine Motivation schöpfe ich hierfür aus meiner grossen Freude an diesem Brauch, der zurückgeht auf den heiligen Nikolaus, der im vierten Jahrhundert Bischof von Myra war. Was haben Sie so allerhand erlebt als Samichlaus? Ich staune immer wieder, wie voller Freude die Kinderaugen sind, wenn ich die Familien besuche. Und ich bin überrascht, wie gut Kinder Gedichte und Chlaus-Versli auswendig lernen und mitsamt dazugehörender Rhetorik rezitieren können. Naturgemäss gibt es auch immer wieder mal eine familiäre Tragödie, wenn etwa mitten während des Samichlaus-Besuchs Streit ausbricht. Oder Chaos, wenn Kinder und Namen verwechselt werden … Waren Sie schon immer der gute Hirte und Heilige – oder eher der Bölimaa? Ich war nie ein Böser, weil ja der Samichlaus an sich kein Bölimaa ist. Natürlich gehört es dazu, dass St. Nikolaus aufmerksam darauf macht, wie sich Kinder zu verhalten haben – wenn es Eltern mitunter verpasst haben, ihre Kinder zu erziehen (lacht). Die Rute habe ich als Schmutzli durchaus angedeutet, indem ich mit der Fitze auf das eigene Bein schlug. Buben habe ich allerdings nie in den Sack gesteckt. In keiner Weise habe ich Angst und Schrecken auf den Strassen von Einsiedeln verbreitet.

Was haben Sie selber für Erinnerungen aus ihrer Kindheit an den Samichlaus? Mitten in den 70er-Jahren kam es zu einem Polizeieinsatz auf der Langrütistrasse: Ein Samichlaus getraute sich nicht mehr auf die Strasse raus, weil fünfzig Kinder und Jugendliche Schneebälle auf den St. Nikolaus warfen! Zeichen dafür, dass es damals zu jener Zeit noch richtig prachtvoll Schnee gab im Klosterdorf (lacht)! Wissen die Leute, wer sich hinter Ihrem Samichlaus-Bart versteckt?

Nein, in der Regel nicht. Die Kinder zupfen öfters am Bart, um zu schauen, ob der echt ist. Aber keine Sorge: Der ist gut fixiert und hält (lacht)! Erkennbar bin ich vielmehr daran, dass ich nicht eine rotes, sondern ein goldgelbes, sehr wertvolles Samichlaus- Gewand trage. Weinen die Kinder mitunter, wenn Sie kommen? Haben sie Angst? Das kommt ab und zu vor, aber diese Kinder beruhigen sich schnell wieder, sobald man ihnen etwas gibt. Manche Kinder haben Zweifel, ob es den Samichlaus wirklich gibt und ob er aus dem Wald kommt. Aber sobald ich mitten in der guten Stube stehe, vergehen die Zweifel …

Ist das Bedürfnis immer noch gross, die Nachfrage nach dem Samichlaus? Sehr! Kein Wunder, wird der Samichlaus von Aufträgen überflutet. Oftmals hat das mit den Eltern zu tun: Diese wollen ihren Kindern den Samichlaus-Besuch ermöglichen, weil sie damals als Kind selber sehr viel Freude erlebt haben, als der St. Nikolaus vorbeikam. Der Brauch lebt also stark von der Mund-zu-Mund-Propaganda. Vielleicht sehnen sich auch viele nach einer heilen Zeit, die man mit dem Samichlaus in Verbindung bringt. So kommt es dazu, dass ich generationsübergreifend im gleichen Haus zu den Kindern komme, deren Eltern ich bereits vor dreissig Jahren besucht habe.

Erhalten Sie einen Obolus für Ihren Besuch?

Ja. Damit finanzieren wir uns die Gewänder. Für eine ganze Samichlaus- Gruppe kosten die Kleider schnell einmal 10’000 Franken. Nur schon der Bart kostet tausend Franken. Hat sich am Ablauf des Chlausbesuchs etwas verändert im Lauf der Jahre? Nach wie vor poltern und klopfen wir an die Türe – es wird nicht geklingelt. Dann lesen wir aus dem Buch, was da so drin steht über die Kinder. Je nachdem sind wir dann etwas strenger oder milder gestimmt. Was sich sehr verändert hat, ist der Inhalt im Chlaussäckli, den die Eltern bestimmen. Früher waren da Nuss und Birne drin im Säckli und vielleicht ein Mandarinli und ein Lebkuchen. Heute finden sich Geschenke darin, als wär Weihnachten. Irgendwie kommen sich da verschiedene Bräuche in die Quere. So kommt es vor, dass ein Bub von seinem Götti einen Schlitten bekommt – und das am Samichlausabend. Ich spreche da von einer Wohlstandserscheinung … Hat sich das Sündenregister der Kinder verändert? In einem Punkt schon: Kinder werden heutzutage oftmals wegen ihres exzessiven Handy- und Smartphone-Gebrauchs gerügt. Diese Geräte gab es natürlich früher nicht. Sonst ist alles beim Alten geblieben: Die Kinder räumen ihr Zimmer nicht auf, verlegen ihre Schuhe, wollen nicht ins Bett abends, streiten untereinander, essen nicht auf, was auf den Tisch kommt. Wie kommt bei Ihnen die Konkurrenz durch den Weihnachtsmann aus den USA an? Ganz schlecht. Das ist ein Brauch aus Amerika, der nichts mit unserer Kultur und unserer Religion zu tun. Denn bei uns bringt das Christkind die Weihnachtsgeschenke, nicht dieser Weihnachtsmann. Kommt hinzu, dass viel Werbung läuft, in der ein Samichlaus oder Weihnachtsmann für ein Produkt wirbt. Diese Samichlaus-Kommerzialisierung wertet naturgemäss den St. Nikolaus ab. Man sagt, der christliche Glaube verdunste zunehmend. Betrifft das auch den Glauben an den Samichlaus? Überhaupt nicht. Wenn etwas Bestand hat in diesen Zeiten, dann ist es der Glaube an den heiligen Nikolaus. Und das ist ja auch gerade das Schöne daran: Dass dieser Brauch lebt und immer noch so viel Freude bereitet. Und dass er zurückgeht auf den St. Nikolaus, der ja arme Kinder und Familien mit seinen Gaben beschenkt hat. Wofür würden Sie als heiliger Nikolaus dem «Einsiedler Anzeiger » die Rute geben beziehungsweise eine Gabe? Für hin und wieder auftretende Schreib- und Druckfehler gibt es die Fitze (lacht). Für den Umstand, dass viele Leute aus Einsiedeln dienstags und freitags den EA vermissen, wenn er mal nicht erscheint an einem dieser Tage, dafür gibt es eine schöne Gabe.

Karl Wehrli freut sich auf die kommenden Einsätze als St. Nikolaus auf Hausbesuch. Zudem besucht er als Samichlaus zahlreiche Weihnachtsfeiern von Vereinen und Firmen. Foto: Magnus Leibundgut

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